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Synonyme: Grundbedarf, Existenxminimum

Mit dem Begriff wird der Geldbedarf bezeichnet, um das physische Überleben eines Menschen zu sichern, welches den Naturgesetzen unterworfen ist, und wozu ausreichende Nahrung, Kleidung, medizinische Notfallversorgung und Schutz vor Witterung daher jedem notwendig. Der erforderliche Geldbedarf, um das eigene physische Leben überhaupt fortsetzen zu können, wird in der Landeswährung berechnet.

Es ist evident, dass der Notbedarf unabhängig davon besteht, ob ein Mensch einer Erwerbsarbeit nachgehen kann, oder nicht nachgehen kann, aus welchen Gründen auch immer. Um zu gewährleisten, dass ein Mensch nicht deswegen stirbt, weil ihm die erforderlichen Mittel fehlen, um das eigene physische Überleben fortzusetzen, ist seit alters her Konsens in Gemeinschaften von Menschen, dieses Naturrecht jedes Einzelnen nicht anzutasten, und ihm diese Mittel zu belassen, oder ihm diese zur Verfügung zu stellen, sollten sie in nicht ausreichendem Maße ihm zur Verfügung stehen.

Dieses von Generation an Generation weitergereichte Erbe des Menschseins führte in westlichen Gemeinschaften, da übereinstimmende Auffassung dieser Gemeinschaften zu Lohnarbeitsgesellschaften geführt hatten, so dass dort jeder Einzelne nur noch über Geld das eigene physische Überleben erzielen kann, zur Ermittlung des Notbedarfs mithilfe der Methode „Rechnen“, um den Notbedarf eines Menschen zu beziffern.

Dies führte – hier am Beispiel der Stadt München in Deutschland aufgezeigt – zu folgendem Ergebnis:

Ein Mensch, der keiner Erwerbsarbeit nachgehen kann, und daher auch nicht mehr sein physisches Überleben fortsetzen kann, wohnt in einem einfachen Zimmer in einer Mansarde, für die der Vermieter eine Miete von 440 € verlangt. Die Gemeinschaft ermittelt als Notbedarf daher 440 €, die sie dem Vermieter überweist, und legt die Summe für ausreichende Nahrung und Kleidung für einen Erwachsenen auf 404 € im Monat fest, was in Summe 844 € ergibt.

Zur gleichen Zeit und am selben Ort wird jedem Menschen ein jährlicher Freibetrag von 8.652 € bei der Steuererhebung eingeräumt, da der Notbedarf keiner Abgabe unterliegt. Dies ergibt nach Abzug der Beiträge zur Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung, Krankenversicherung und Pflegeversicherung einen monatlichen Betrag von 571 € für das physische Überleben eines Menschen.

Da bereits ein einfachen Zimmer in einer Mansarde wenigstens 440 € kostet, muss es demnach in München für einen Menschen möglich sein, mit 131 € im Monat sein physisches Überleben herbeizuführen, also mit 4,36 € für jeden Tag. Vorausgesetzt, er ist gerade derjenige, der mit 440 € Miete im billigsten Zimmer wohnt.

Hilfestellung für Rechenaufgaben in deutschen Grundschulen (Fach: Mathematik), Stand 2017:

http://www.hartziv.org/hartz-iv-rechner.html

Miete: 600 €
Heizung: 150 €
3 Kinder
2.399 €
– 582 € Kindergeld
Hartz IV: 1.817 €

http://www.brutto-netto-rechner.info/gehalt/lohnsteuerrechner.php

Bei 1.817 € Brutto-Einkommen:
LSt: 0 €
RV: 169,89 €
AV: 27,26 €
KV: 152,63 €
PV: 23,17 €
Summe: 372,94 €
Netto: 1.444,06 €

Mindestlohn: 8,84 € * 8 *21 = 1.485,12 €
RV: 138,85 €
AV: 22,28 €
KV: 124,74 €
PV: 18,93 €
Summe: 304,80 €
Netto: 1.180,20 €

Im Zeitalter von Lohnstreifen und Barauszahlung wurde der Lohn noch von Menschen mit Rechenmaschine errechnet, der Lohnstreifen mit Kugelschreiber manuell ausgefüllt, das Arbeitsentgelt exakt am Ende des Monats bzw. wöchentlich oder zweiwöchentlich unverzüglich und pünktlich ausbezahlt, und niemals einen Tag später.

Aufgabe 1:

Da im Zeitalter der wissenschaftsbasierten Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts, in welchem die Lohnabrechnungen vollautomatisch von Computern erstellt werden, die daraufhin auch die Zahlungen elektronisch ausführen, die Computer jedoch trotz aller Bemühungen der IT-Experten derart langsam geworden sind, dass sie die Lohnzahlungen oft erst am 12. Tag des Folgemonats auf dem Konto des Lohnempfängers gutschreiben, berechne den Betrag, den das Girokonto am Monatsende als Guthaben bei Fall 1 – 3 aufweisen muss, damit a) die laufende Zahlungen wie Miete, Strom, etc., die bereits am 1. Tag des Monats fällig gestellt, bezahlt werden können, und b) die Familie bis zum 12. Tag des Folgemonats ernährt werden kann, ohne dass hierfür ein teurer Kontokorrentkredit in Anspruch genommen werden muss.

Aufgabe 2:

Wie hoch muss das montliche Bruttogehalt sein, damit nach allen Abzügen (Lohnsteuer, Sozialversicherungen) der Nettolohn dem Existenzminimum entspricht?

Das Radfahrerprinzip

Erkenntnisbezogenes Vermögen bis 722 n. Chr., Cartoon von zenundsenf ©

Jede Politik, auf welche Ideologie sie sich sonst auch berufen mag, ist verlogen, wenn sie die Tatsache nicht anerkennt, dass es keine Vollbeschäftigung für alle mehr geben kann und dass die Lohnarbeit nicht länger der Schwerpunkt des Lebens, ja nicht einmal die hauptsächlichste Tätigkeit eines jeden bleiben kann.” (André Gorz, Sozialphilosoph)

Gegenwart wie Vergangenheit belegen unübersehbar, dass die Analyse von André Gorz gründlich und solide ist. Mit dem einst von der EZB in Umlauf gebrachten Begriff Helikopter-Geld steht endgültig der Kaiser für jeden sichtbar ohne Kleider da, die Extrapolation von André Gorz wird bestätigt: “Eines Tages muss sich der Kapitalismus seine Kunden kaufen, indem er Zahlungsmittel umsonst verteilt“.

Es wurde öffentlich, dass nicht der sogenannte Arbeitgeber es ist, der für Erwerbsarbeit sorgt, sondern der Verbraucher, denn der Verbraucher schafft Erwerbsarbeit, der sogenannte Arbeitgeber nur dann, wenn sie sich nicht vermeiden lässt.

Dazu wäre aber die Ausschüttung von Helikopter-Geld gar nicht erforderlich, es genügte schon, wenn die Gesellschaften damit aufhörten, auch noch Steuern auf das Existenzminimum zu erheben, also auf jenen Notbedarf, um physisch überleben zu können. Von einer Gesellschaft, die sich einverstanden zeigt, dass selbst auf den Mangel Steuern erhoben werden, ist jedoch weder zu erwarten, dass sie exakte und präzise Analysen davon abhalten könne, weiterhin eloquenter Unlogik von Rosstäuschern nachzulaufen, noch dass sie jemals das einst für alle gültige natürliche Recht auf Nahrung und Unterkunft wieder in Kraft setzen werde. Sie dürfte darauf beharren, das Problem sei mit der Schaffung von Arbeitsanreizen lösbar, obschon vom Arbeitsanreiz kein armutsbekämpfender Effekt zu erwarten ist, wenn es nicht ausreichend Arbeitsplätze gibt. Arbeitsanreiz produziert keine Arbeitsplätze, Verbrauch hingegen schon.

Die Schweizer stimmten am 5. Juni 2016 darüber ab, ob sie ein sogenanntes bedingungsloses Grundeinkommen einführen wollen oder nicht. Bei diesem Terminus handelt es sich um nichts Geringeres als um sehr alten Wein, um das natürliche Recht auf Nahrung und Unterkunft, das einst jedem Einzelnen von der Gemeinschaft gewährt wurde, da es noch als grober Unfug galt, dieses natürliche Recht etwa zur Disposition stellen zu wollen. In jener Zeit wurde gejagt, gesammelt, das Feld bestellt, und die Früchte dieser Arbeit – da dies selbstverständlich war – mit jenen geteilt, die aus verschiedenen Gründen nicht jagen, sammeln, oder das Feld bestellen konnten. Aber in jenen Zeiten hatten die so Werktätigen auch nur das Nötig-ste, und nicht darüber hinaus. Nur wer schmeckt kennt den Geschmack. Jenseits dessen ist nur Gefasel.

Es ist das Verdienst von Kurt Tucholsky, bereits im Jahr 1919 auf eine entartete Spezies der gens humana hingewiesen zu haben, die in Folge als das deutsche Phänomen Radfahrerprinzip das verfügbare Vokabular um ein Wort erweiterte, welches das typische, opportunistische Verhalten des autoritären Charakters bezeichnet. Carl Zuckmayer legte 1931 dann das Prinzip seinem Hauptmann von Köpenick in den Mund: “Das ist ein Radfahrer. Nach unten tritt er, nach oben buckelt er“. Es wird verständlich, aus welchem Grund einer, der endlich selbst oben angekommen ist das nach-oben-Buckeln der anderen einfordert, und unfähig bleibt, nicht nach unten zu treten.

So ist nicht verwunderlich, dass in Deutschland ein Ministrant mit Jo-Jo-Effekt, ein Einzelhandelskaufmann, der sich gerne mit den Statussymbolen Bierflasche und Zigarre umgab, und ein Straftäter, dessen Straftaten zu jenem Zeitpunkt noch unentdeckt waren, sich fragten, ob der deutsche Arbeitslose weiterhin in einer Hängematte auf Mali liegen darf, und dort faulenzend vom Geld des arbeitenden Volkes lebt. Denn dass dem so sein müsse, hatte schließlich kein geringerer als ein Messdiener behauptet, nach seinem Studium der Philosophie, Germanistik, Geschichte und Theologie.

Ist einer unten, ist es ausgesprochen schwierig, ja sogar unmöglich, nach unten zu treten. Es sei denn, es werde ein noch zu bestimmendes Unten aus dem Unten herausgenommen, was dazu führt, dass jene, die unten sind, wieder etwas unter sich haben, wonach sie treten können. Dass dies gelingt, dafür sorgen entsprechende Substantivierungen wie Juden, Zigeuner, Arbeitslose, Asylanten, etc., und sollten diese Wörter noch nicht genug Reizwirkung entwickeln, kann noch einer draufgesattelt werden, wie z. B. Wucherer, Wirtschaftsflüchtling, Sozialschmarotzer, etc. Im Übergang vom Einzelschicksal zur amorphen Menge befreit sich der Mensch zwingend von möglichem Wissen, entledigt sich erleichtert wahrnehmbarer Qual, phantasiert sich der Ungerechte erfolgreich in die Rolle des  Gerechten. Denn je umfassender die Ahnungslosigkeit, umso umfangreicher der Beifall.

Erkenntnisbezogenes Vermögen ab 722 n. Chr., Cartoon von zenundsenf ©

Gesellschaften, die von sogenannten wissenschaftsbasierten Informationsgesellschaften primitive Gesellschaften genannt werden, kamen zu keiner Zeit auf die abstruse Idee, negatives Unrecht gegenüber einer Vielzahl als Ultima-ratio auszugeben, um darüber ein positives Unrecht gegenüber einem geringen Bodensatz zu minimieren. Es fehlten dort die notwendigen Zuchtmeister der Zivilisation, der Apostel Paulus und Adolf Hitler, die da lehrten: “Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!

Das bis dahin praktizierte natürliche Recht jedes Einzelnen auf Nahrung und Unterkunft wurde seitdem davon abhängig gemacht, ob jener arbeite oder nicht. Selbstverständlich betrachteten beide Zuchtmeister ihre eigene Tätigkeit als Arbeit. Der eine sah seine eigene Arbeitsleistung darin, zahllose Briefe zu schreiben und zu reden, der andere darin, Millionen von Menschen in den Tod zu schicken.

Nun verhielt es sich bei dem bis dahin praktiziertem natürlichen Recht jedes Einzelnen auf Nahrung und Unterkunft so, dass die Menschen damals noch über das Wissen verfügten, dass es Arbeit geben kann oder nicht, und dass darüber hinaus es auch einleuchtende Gründe dafür geben könne, dass einer keiner Arbeit nachgehen kann, obschon Arbeit vorhanden wäre. So dass sie gar nicht auf die Idee kommen konnten, dass jener, der nicht arbeite, auch nicht essen solle.

In Deutschland ist das deutsche Bundesfinanzamt bemüht, in seinem Museumsführer die 5.000 jährige Geschichte der Steuern aufzuzeigen: “Mit dem Zehnt fing es an”. Was das Bundesfinanzamt in Deutschland dabei verschweigt, ist nicht nur die Tatsache, dass dies gar nicht zutrifft, sondern auch, dass heute sogar bei den Geringverdienern es bei der Hälfte des Erworbenen immer noch nicht aufhört, da zu den Sozialversicherungsbeiträgen und direkten Steuern auch noch zahllose indirekte Steuern und Gebühren hinzukommen. Zudem handelte es sich bei der ca. 2.500 Jahre alten Idee des Zehnt der Israeliten um eine Abgabe, die das natürliche Recht jedes Einzelnen auf Nahrung und Unterkunft für Ausländer, Witwen, Waise, etc. sicherstellen solle, es war auch Konsens, dass dieser nur hierfür verwendet werde, wobei die Leviten nur ein Zehntel dieses Zehntel davon behalten durften, demnach 1 Prozent.

In Folge übernahm der Klerus des Christentums die Idee des Zehnt, und widmete ihn 722 nach Chr. um: “Aus den Einkünften der Kirche und den Opfergaben der Gläubigen soll er vier Teile machen: Einen davon soll er für sich behalten, den zweiten unter den Geistlichen verteilen, entsprechend ihrem Eifer in der Erfüllung ihrer Pflichten, den dritten Teil soll er an die Armen und Fremden geben, den vierten soll er aber für den Kirchenbau zurücklegen.” Ab da behielten die europäischen Leviten Dreiviertel des Zehntel, demnach blieben für den ursprünglich angedachten Zweck nur noch 2,5 Prozent.

Erst die “Bill of Rights” ermöglichten, dass sich die Gemeinschaft auch nicht mehr um die Schwerkranken zu kümmern brauche. Was dazu führte, dass heute in den Vereinigten Staaten etliche Ärzte und Krankenpersonal in Eigeninitiative jeden Sonntag sich in ihrer Freizeit in Krankenhäusern treffen, um jene unentgeltlich durch Behandlung und Operationen zu retten, die sich keine Krankenversicherung leisten können. Da diesen Menschen mit deren Eigeninitiative aber keine Einnahmen daraus entstehen, kann es sich bei dieser Tätigkeit – folgt einer der neuen Definition von Arbeit, dass nur Erwerbsarbeit Arbeit sei – nicht um Arbeit handeln.

Der Satz von Paulus und Hitler, dass wer nicht arbeite auch nicht essen solle, führte notgedrungen zur Bedürftigkeitsprüfung, wobei Arbeit nur dann als Arbeit zu gelten habe, falls diese Erwerbsarbeit. Nach dieser Definition ist folglich die Tätigkeit, Millionen Menschen in den Tod zu schicken, eine Arbeit, während Menschen durch Behandlung und Operationen vor dem Tod zu retten, keine Arbeit sei. Denn für die eine Tätigkeit wurde Entgelt gezahlt, für die andere nicht.

Nun wäre sicherlich nichts gegen eine Bedürftigkeitsprüfung einzuwenden, könnte über diese verhindert werden, dass sich einer auf Bali in die Hängematte lege anstatt zu arbeiten. Wobei zu fragen wäre, aus welcher Quelle denn die Behauptung sich speise, ein bedingungsloses Grundeinkommen werde dazu führen, dass sich einer auf Bali in die Hängematte lege anstatt zu arbeiten. Haben doch eine Reihe von Feldstudien zwischen 1969 und 1982 dies nicht bestätigt. Es ist wissenschaftlich nachgewiesen und dokumentiert, dass bei unbedingtem Grundeinkommen unter existenzsichernden Bedingungen allein erziehende Mütter ihre Arbeitszeit zwischen 12 und 28 Prozent verringerten, während die meisten Männer einfach wie vordem weiterarbeiteten. Dafür sank die Scheidungsrate signifikant, und auch die Schulergebnisse von Kindern der Versuchsgruppe änderten sich: “Verbesserungen der Resultate in Lese-Tests waren für Schüler vom vierten bis zum sechsten Schuljahr statistisch bedeutsam. Die Lesefähigkeit dieser jüngeren Kinder stieg also merkbar. Für ältere Schüler vom siebten bis zum zehnten Schuljahr wurden hingegen keine positiven Effekte gemessen. Je länger eine Familie schon der Experimentiergruppe angehörte, desto größer waren auch die zu erwartenden Fortschritte ihrer Kinder in der Schule. Bei Schülern aus den ärmsten teilnehmenden Familien (mit der größten Transfersumme) wurden die stärksten Verbesserungen registriert. Sie profitierten somit am meisten von der höheren Einkommensgarantie. Die Wahrscheinlichkeit, dass Jugendliche aus armen Familien unter einem solchen Programm die obligatorische Schulpflicht (10 Jahre) erfüllen, ist um 20% – 90% größer als die Chance für ihre Altersgenossen aus der Kontrollgruppe.”

Der Vergleich aus Mehrausgaben, da ein minimaler Teil daraufhin seine Arbeitszeit verringerte, mit den Einsparungen, die aus geringerer Scheidungsrate und bessere Schulergebnisse der Kinder resultiert, unterblieb aus nachvollziehbaren Gründen. Es bestand die Gefahr, dass nachgewiesen worden wäre, dass das bedingungslose Grundeinkommen die Allgemeinheit billiger kommen würde als die Fortsetzung der bisherigen Praxis. Sind doch bei genauer Analyse 32,3 % der Sozialhilfeempfänger Kinder unter 15 Jahre, 37 % Jugendliche unter 18 Jahre alt, 8,4 % Alleinerziehende, die auch beim Empfang von Sozialhilfe nicht arbeiten müssen, solange sie ein Kind unter drei Jahren oder zwei Kinder unter 7 Jahren betreuen, 9,7 % über 60 Jahre alt und 4,7 % wegen Krankheit, Behinderung und Arbeitsunfähigkeit Empfänger von Sozialhilfe. Das wären dann 92 %, die dem Arbeitsmarkt gar nicht zur Verfügung stehen können, und zwar unabhängig davon, ob diese ein bedingungsloses Grundeinkommen erhielten, oder nicht.

Nun wäre die Modernisierung des Menschseins, die ein Wanderprediger und ein Verbrecher mit dem Satz ermöglichten, dass der nicht essen solle der nicht arbeite, nur auf deren Anhänger beschränkt, hätte da vor 200 Jahren nicht auch noch einer, der sich selbst als Philosoph auffasste, sich lieber in diversen Pubs herumgetrieben und sich an seinem Pint festgehalten, statt die Vorlesungen zu besuchen. Was zu vermuten ist, angesichts des als “falsche Dichotomie” längst bekannten Fehlschlusses, den die Lenker der Nationen dann in Folge für ihre Zwecke für einen brauchbaren hielten: “Was ist bedeutsamer: das allgemeine, gesellschaftliche Glück oder das persönliche, individuelle Glück?”

Ein Satz ist dann par elegance, wenn ihm gelingt, erfolgreich ein Entweder-oder als die einzigen zwei möglichen Alternativen durchzusetzen, wo ein Entweder-oder gar nicht existiert, und dies keinem auffällt. Ist ein Bestandteil des Satzes dann auch noch das Ergebnis einer falschen Übersetzung, ohne dass dies einem auffällt, ist der Schwachsinn vorprogrammiert. Hätte der Philosoph ein wenig mehr seine Nase in die philosophischen Texte statt in das Bierglas gesteckt, hätte er entdeckt, dass die mit dem Wort Eudaimonia verbundene Vorstellung nichts mit der Vorstellung gemein hat, die mit dem Wort Glück assoziiert wird. So ist ihm auch noch dieser Satz entgangen:

Was aber die Eudaimonia sei, darüber streiten sie, und die Leute sind nicht derselben Meinung wie die Weisen. Jene (die Leute) nämlich verstehen darunter etwas Sichtbares und Greifbares, wie Lust, Reichtum oder Ehre; und der eine dies, der andere jenes, oftmals auch ein und derselbe Verschiedenes: wenn er krank ist, so meint er die Gesundheit, wenn er arm ist, den Reichtum.”

Womit Adam Smith das Urteil über sich selbst sprach: Ich bin Leute. Und wurde der Initiator der Ideologien Kapitalismus und Kommunismus. Nun streiten sich die Gelehrten, ob Pest oder Cholera zum allgemeinen, gesellschaftlichen Glück und persönlichen, individuellen Glück führe.

Unter den Begriffen Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung wird das Phänomen behandelt, dass diese nicht identisch sind, also wie einer sich selbst sieht, und wie andere diesen sehen. Die Psychologen beschäftigen sich aus der Perspektive der Fremdwahrnehmung daher mit der Illusion der Selbstwahrnehmung. Vielleicht wird eines Tages auch die Illusion der Fremdwahrnehmung Gegenstand einer Betrachtung, also wie einer in seiner Selbstwahrnehmung die anderen sieht, und was die Gründe dafür sind. Gut möglich, dass dabei entdeckt wird, dass der Argwohn, bei fehlendem Zwang würden sich andere in eine Hängematte legen, und dort faulenzend vom Geld des arbeitenden Volkes leben, daher rührt, dass der so Argwöhnende selbst es ist, der es tun würde, von sich selbst irrtümlich auf andere schließend.  Denn die Leute verstehen unter Glück etwas Sichtbares und Greifbares: sind sie krank, ist es die Gesundheit, sind sie arm , ist es der Reichtum, wenn sie arbeiten, ist es die Freizeit, sind sie arbeitslos, ist es die Arbeit.

So bleibt nur der Wunsch, dass all jene, die davon ausgehen, bei einem bedingungslosen Grundeinkommen legten sich die Leute in die Hängematte, was zu steigenden Kosten für die Allgemeinheit führt, da ein Ministrant, ein Einzelhandelskaufmann, ein Straftäter und ein Messdiener dies behaupteten, jener eindeutigen Handlungsvorschrift zur Lösung eines Problems übergeben werden, die immer dann hilft, wenn der Geist zu schwurbeln beginnt: Das Schmecken. Nur wer schmeckt kennt den Geschmack. Jenseits dessen ist nur Gefasel. Der einzige Schaden wäre, dass sich dann die Radfahrer ein anderes Opfer suchen werden.

Grundrechnen

troll-imadeWEB-1Ónytjungur: „Einmal angenommen, jeder Teilnehmer an der Herstellung von Gütern arbeitet nicht unentgeltlich, ist dann davon auszugehen, dass mit jedem weiteren Teilnehmer die Arbeitskosten zunehmen würden?“

Tilvera: „Nun, wer rechnen kann, der …“

Ónytjungur: „Nehmen wir nun noch an, dass jedes Unternehmen so kalkuliert, dass es einen Gewinn abwerfe, ist es dann nicht so, dass jedes zusätzlich hinzugenommene gewinnorientierte Unternehmen die eigenen Herstellungskosten um deren Gemeinkosten und Gewinn erhöhe?“

Tilvera: „Etwas anderes zu behaupten wäre …“

Ónytjungur: „Dann erkläre mir bitte, wie es sein kann, dass eine Dienstleistung, die ich kostenlos erhalten habe, teurer ist als dieselbe Dienstleistung, die mir ein gewinnorientiertes Unternehmen wegen seiner Gemeinkosten und dem einkalkulierten Gewinn in Rechnung stellt.“

Tilvera: „Es kann sich dabei nur um einen Trottel handeln, der wegen mangelhafter Kenntnisse in den Grundrechenarten solchen Unsinn annimmt.“

Ónytjungur: „Dann wäre es aber um die Kenntnisse im Grundrechnen gar arg bestellt in jenem Land, aus dem ich gerade komme. Dort wurden einst Arbeitssuchende von einem Dienstleister kostenfrei in eine neue Arbeitsstelle vermittelt, da diese ja durch Abtretung von ihrem Einkommen die Arbeitgeber des Dienstleisters sind. Nun musste ich feststellen, dass diese Dienstleistung von 6.671 gewinnorientierten Firmen angeboten wird, woraus diese jährlich einen Umsatz von 19,1 Milliarden Euro generieren, indem sie ihre 856.195 unterschiedlichen Waren verkaufen, die sie selbst unentgeltlich erhielten. Wenn ich richtig rechne, erhöhen sich dadurch nicht gegenüber der vorherigen Praxis die Arbeitskosten jährlich um die Gemeinkosten und den einkalkulierten Gewinnen dieser 6.671 neuen Dienstleister?“

Tilvera: „Nun, du hattest offensichtlich in Deinem Leben einmal einen Lehrer getroffen, der fähig war dir beizubringen, was die Menschen in der Regel bei der Berechnung wollen. Es dürfte dir dann aber auch bekannt sein, dass Regel nur aussagt, dass es auch Ausnahmen gibt. Es stellte sich somit  die Frage nach diesem Wollen, rechnen ist es ja schon mal nicht.“

Ónytjungur: „Was erklärte, wieso dort ein und derselbe Kopf allen Ernstes davon ausgeht, dass 571 weder größer noch kleiner ist als 844, sondern gleich, ohne dass ihm auch nur ein Einziger widerspricht.“

Tilvera: „Nun übertreibst du.“

Ónytjungur: „Keineswegs. Sie sagen dort, dass sie auf den Notbedarf eines Menschen, also auf das, was ein Mensch notwendig braucht, um nach den Gesetzen der Natur überhaupt physisch überleben zu können, keine Abgaben erheben. Und sie sagen, dass sie für eben diesen Notbedarf sorgen, sollte einer nicht selbst dazu imstande sein.“

Tilvera: „Was Sinn generiert. Ist dies doch Grundvoraussetzung für eine Gemeinschaft, denn ohne dies wäre es ja keine. Zudem– wäre es nicht so, wie du berichtest –  stellte sich darüber hinaus auch noch die Frage, was denn dann den Anspruch rechtfertige, von jenem Erwerb nehmen zu dürfen, der über den Notbedarf hinausgeht, wenn im Gegenzug dafür noch nicht einmal für den Notbedarf gesorgt werde, sollte einmal einer seinen Notbedarf nicht selbst decken können, aus welchen Gründen auch immer. Handelt es sich dabei doch nur um die Deckung des Notbedarfs, und um nichts darüber hinaus.“

Ónytjungur: „So ist es. Wie ist es dann aber möglich, dass ein und derselbe Kopf im gleichen Augenblick in Summe wenigstens die Zahl 844 einem solchen, der seinen Notbedarf nicht selbst decken kann, zugestehen muss, da von den Fakten einfach erzwungen, denn mit weniger wäre dieser außerstande, sich wenigstens notdürftig zu ernähren und in einem kleinen Zimmer Schutz zu finden, und jenem, der für seinen Notbedarf und darüber hinaus noch selbst sorgen kann, am gleichen Ort in Summe maximal nur die Zahl 571 zur Deckung des Notbedarfs zugesteht?“

Tilvera: „Weil sich Leute bei Theorien auch nicht von Fakten beirren lassen?“

Ónytjungur: „Was erklärte, dass dort der Notbedarf auch noch in 150 verschiedene Leistungen zerlegt wurde, die dann von 40 Arten von Behörden erteilt werden.“

Tilvera: „Lass mich raten: die verschiedenen Leistungen sind über ein komplexes Prüfungs- und Rechnungswerk immer wieder zusammenzuführen, und dann so zu verrechnen, dass am Ende immer nur die gleiche Zahl herauskommt, und zwar unabhängig davon, aus welcher Anzahl an verschiedener Leistungen und Arten von Behörden sich die Zahlungen speisen.“

Ónytjungur: „Es wartet dort jeder vierte Hilfebedürftige nur auf vorrangige Leistungen, statt sie rechtzeitig zu erhalten.“

Tilvera: „Dann wäre dort aber nicht nur Armut verhindert, sondern auch noch produziert.“

Ónytjungur: „Es erwies sich als ein großer Fehler, die Fähigkeit zum Rechnen aufzugeben, und diese  den  Computer zu überlassen.“

Tilvera: „Computer können aber schneller rechnen.“

Ónytjungur: „Dann ist aber ausgesprochen seltsam, dass dort Lohn- und Gehaltszahlungen seitdem immer erst frühestens am 12. des Folgemonats erfolgen. Als ich als Zwölfjähriger in den Schulferien jeden Samstag den Wochenlohn der Bauarbeiter noch selbst ausrechnete, das Ergebnis Bruttolohn, Steuer, Sozialbeiträge, Nettolohn, etc. mit Kugelschreiber auf einen Lohnstreifen notierte, während der Chef das Bargeld von der Bank holte, waren alle Lohnabrechnungen jeden Samstag  rechtzeitig bis Mittag fertig, damit die Sekretärin die Beträge und Lohnstreifen auf die Lohntüten verteilen konnte, bevor die ersten Bauarbeiter sich vor dem Büro zur Warteschlange versammelten. Kannst du dir in etwa ausmalen, was geschehen wäre, wenn diesen Bauarbeitern auch nur einmal vom Bauunternehmer mitgeteilt worden wäre, dass die Löhne erst am 12. des Folgemonats auf das Konto überwiesen werden würden, da ich solange brauche, um die Lohnabrechnung zu erstellen? Und vergiss nicht, diese Bauarbeiter wären sogar noch in der Lage gewesen, auf Rücklagen zurückzugreifen, um die Wartezeit zu überbrücken.“

Anm. d. Red.: Die Auflösung des Zahlenrätsels finden Sie unter Schlagwort „Notbedarf“, oder hier

frCalcul de base

Die Bäckersfrau

troll-imadeWEB-1Die Männer, unter die sich auch ein paar Frauen gesellten, philosophierten auf der Bank wie jeden Morgen, während die Leute – vom Ostbahnhof kommend – zu ihren Bussen eilten, um noch rechtzeitig den Arbeitsplatz oder die Schulbank zu erreichen. Der Arbeitsplatz jener Männer und Frauen auf der Bank vor dem Ostbahnhof war diese Bank. Sie benötigten daher keine Busse. Was gut war, denn so sparten sie sich die Kosten, die zu entrichten sind, wenn einer ein Verkehrsmittel benutzt, das in diesem Land als ein öffentliches bezeichnet wird.

In diesem Land ist es nicht so, dass ein Passagier mitreisen kann, nur weil er dem Busfahrer verspricht, am Ziel würde eine Frau auf ihn warten, welche den Fahrpreis entrichten werde; wissend, dass da keine Frau sein wird. Auf diese Art und Weise reiste in einem anderen Land einst der keineswegs blinde Passagier in alle Landesecken des Landes, besichtigte Heimaey auf den Vestmannayjar, und war ganz verblüfft, dass ihm der Zutritt verweigert wurde, als er sich anschickte, endlich auch einmal mit einem Flugzeug seine Ziele sich zu erfahren. Die Aussicht, dass am Ziel eine Frau auf ihn warte, welche den Fahrpreis entrichten werde, reichte nicht aus.

Tryggvi staunte, als ich ihm auf die Frage, was ich davon hielte, zur Antwort gab, dass es keinen Unterschied mache, ob da ein Bus mit zehn statt mit elf leeren Sitzplätzen durch das Land gefahren werde. Was mich wiederum erstaunte, denn so kannte ich Tryggvi noch nicht. Erst als er mich darüber aufklärte, dass es sich dabei um einen neunjährigen Jungen gehandelt habe, verstand ich ihn besser. Dass der von den Busfahrern akzeptierte Schwarzfahrer erst neun Jahre alt war, konnte sich mir nicht erschließen, denn Neunjährige sagen gewöhnlich Mama, Tante, Oma, Schwester oder dergleichen, aber niemals Kona, also „Frau“. Isländische Neunjährige sagen demnach nicht Mama, Tante, Oma, Schwester oder dergleichen, sie sagen „Frau“. Und gelegentlich sind sie in diesem Alter bereits Landshornaflakkari, also Landeseckenlandstreicher.

Das Land, wo die alkoholkranken Männer und Frauen vor dem Ostbahnhof auf einer Bank zum Lebensunterhalt der Bedürftigen beitragen, ist ein anderes Land. In diesem Land sagen Neunjährige Mama, Tante, Oma, Schwester oder dergleichen, wenn sie die Monatskarte in ihrer Panik vergessen hatten, oder einfach nur die Wahrheit. Was ihnen aber auch nicht hülfe, darüber dennoch das Klassenzimmer zu erreichen, um die gefürchtete Schulaufgabe zu schreiben, die für die letzte Chance auf eine noch mögliche Versetzung in die nächste Klasse sorgen solle. Nein, es wird nicht helfen. Dass der Junge wegen der entscheidenden Schulaufgabe derart durch den Wind war und deswegen in der Eile auf seine Monatskarte vergessen hatte, und auch ein gerader Kerl war, der den Busfahrer fragte, ob er heute ohne Monatskarte mitreisen darf, statt das Risiko einzugehen, als Schwarzfahrer gebrandmarkt zu werden: es wird ihm nicht helfen. Es wird ihm auch nicht helfen, dass der Busfahrer keine 50 Zentimeter von der Bushaltestelle entfernt darauf wartet, dass die Ampel von Rot auf Gelb, und dann auf Grün wechsle; die Tür bleibt für ihn geschlossen. Sein flehentliches Klopfen an der Glasscheibe wird gehört, sein Flehen bleibt unerhört. Auch Busfahrer haben Anspruch darauf, Obrigkeit sein zu dürfen. Wie jeder in diesem Land.

Da ist es gut, dass es nicht weit vom Ostbahnhof entfernt eine „Feine Backstube“ gibt, die von einer Bäckersfrau betrieben wird. Die Kunden kaufen dort gerne ein, denn die Inhaberin backt selbst, und bietet ihre Backwaren wie „russischen Zupfkuchen“ oder „Apfelstrudel“ auf türkische Art neben den üblichen Industriebackwaren wie Mohnschnecke, etc. an. Für die Arbeiter gibt es Soljanka, hausgemacht, zu Preisen, die Arbeiter auch bezahlen können. An der Glasfront der Backstube bot die Inhaberin weithin sichtbar Sätze feil. So notierte ich zum Beispiel den Satz, bereits im Bus sitzend:

Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man etwas Schönes bauen.

Am nächsten Morgen fragte ich die Inhaberin, die fließend Deutsch sprach, wer denn der Autor dieses Satzes sei. Sie sah mich staunend an und teilte mir mit, dass es sich dabei um einen Satz von Goethe handle. Sie schreibe immer einen Satz über das Wochenende an diese Glasfront, und würde ihn am Montag beim Fensterputzen wieder entfernen. Gestern sei sie allerdings nicht rechtzeitig zum Fensterputzen gekommen.

Its-your-road_05.12.13
Autor fehlt

Daraufhin schrieb sie immer den Verfasser unter den Satz, denn sie erkannte, dass in diesem Land Wert auf das wer gelegt wird, und nicht auf das was. Und so reihte sich Satz an Satz:

 Sei Du selbst die Veränderung Die Du Dir wünschst für die Welt

Woche für Woche, immer wieder ein anderer Satz. Und stets stand der Verfasser der Sätze unter dem Satz. Bis eines Tages ein Satz ohne Verfasser die Glasscheibe zierte:

Ohne die Liebe
ist jedes Opfer Last
jede Musik nur Geräusch
und jeder Tanz macht müde.

Vier Tage wartete sie auf meine Nachfrage, dann hielt sie es nicht mehr aus. Während sie den russischen Zupfkuchen in die Tüte packte, fragte sie, so ganz nebenbei, ob mich bei diesem Satz der Name dieses Verfassers nicht interessiere. Dass der Name unter dem Satz diesmal fehlte, war demnach Absicht. Sie konnte nicht wissen, dass sie den falschen Satz für ihren Plan gewählt hatte, und so wurde ihr Plan mit einem Satz durchkreuzt: „Doch, aber ich kenne längst seinen Namen.“

Seitdem steht kein Name mehr unter dem Satz. Sagt doch der Philosoph Daniel-Pascal Zorn völlig richtig:

Wer an Philosophen glaubt, hat nichts von ihnen gelernt.

Wittgenstein
Ohne Autor

Und da jede Gabe eine entsprechende Gegengabe erlaubt, gab ich der Bäckersfrau einen Satz zurück, den sie sich notierte, und der dann die gesamte Woche die Glasfront belegte. Ohne Nennung des Namens. Denn was wäre schon von einem was zu halten, welches erst durch das wer zu einem was wird. Ein was, das sein Überleben nicht aus sich selbst erhält, sondern erst durch ein wer, … wozu sollte es überleben.

Die Feine Backstube befindet sich ausgerechnet gegenüber einer Schule. Die Kinder kaufen dort gerne ein, oder lesen die Sätze an der Glasscheibe, wenn sie auf der gegenüber liegenden Bushaltestelle auf den Bus warten, der sie zu den Hausaufgaben fährt. Es gibt kein Fach Philosophie in den Schulen dieses Landes. So kommt die Philosophie zur Schule, möchte aber nicht in diese hinein. Es genügt ihr, draußen vor der Tür zu sein, auf der Straße sozusagen.

Am Ostbahnhof in München suchen gerne Bedürftige die Nähe der mildtätigen Männer und Frauen, deren Arbeitsplatz die Bank ist. Stets ziehen die Bedürftigen kleine Rollwägen hinter sich her, und stochern in dem Abfallkorb neben der Sitzbank, ob dieser nicht eventuell noch Schätze enthalte, die auf eine Bergung warten, in Form leerer Bierflaschen, die man an ausgewählten Automaten gegen ein paar Groschen tauschen kann. Seitdem die Regierung ein Sozialprogramm verfügte, und dieses Programm mit dem Namen eines Personalchefs eines großen Konzerns versah, da dieser den Tatbestand der Untreue und Begünstigung erfülle, seitdem sammeln die Bedürftigen leere Pfandflaschen aus Abfalleimern. Und sie werden immer fündig, weswegen sie auch immer gerne wiederkommen, zu den Alkoholkranken. Die mildtätigen Männer und Frauen auf der Sitzbank bekommen hiervon nichts mit. Sie haben Gewichtigeres zu tun. Sie müssen philosophieren.

Und der Neunjährige mit seinen Frauen? Ich weiß nur, dass er – so er noch lebt – nunmehr schon auf die Vierzig zugehen muss, und er auch heute noch über seine Reisen nachlesen kann. Im Zeitungsarchiv in Reykjavik. Überschrift: Landshornaflakkari.

Wie sagte doch der Fischer Stefán Hörður Grímsson so schön in seinem Gedicht Orsök:

„Es sollte jedem Menschen gestattet sein zu behaupten er kenne sich selber so absurd dies auch erscheinen mag aber zu sagen er kenne einen anderen Menschen ist entweder Unhöflichkeit oder Höflichkeit wie allen gesitteten Menschen bekannt ist die ihr Essen in guter Absicht verzehren.“

Er war ein Fischer, der ein Dichter ist.

ukThe baker

frLa boulangère