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Bewusst (f): vitund (mit/ohne meinem) := (vitneskja) Wissen, Kenntnis, Besinnung, Bewusstheit, Erkenntnis

bewusst (v): vitandi (seiner Sache sicher sein) := (vita, kunna, þekkja) wissen, kennen
vísvitandi (etwas ist mir) := adj: vorsätzlich, absichtlich, mit Absicht, wohlüberlegt
kunnugur := bekannt, namhaft, vertraut, geläufig, gewohnt
kunnur (die bewusste Sache) := bekannt, namhaft
umræddur := die fragliche Person, die erörterte Partei
téður :=

Laut Prof. Dr. Eckhard Voland eines der ganz großen Themen, das in Philosophie, Neurobiologie, Psychologie und Evolutionsbiologie gleichermaßen sehr viel Aufmerksamkeit findet und trotzdem mehr Fragen als Antworten liefert und deshalb vielleicht als bedeutsamste Forschungsfrage unserer Zeit überhaupt gelten kann.

Sich seiner selbst bewusst sein

Jemen 2022

Ferðalangur: „Wir haben nun ausgiebig genug über diese Wesen uns erfahren, so dass sich die Frage aufdrängt, was denn nun diese Wesen an sich seien, also diese signifikant von anderen Gattungen unterscheide.“

Hugsuður: „Nun, da wäre vielleicht jenes zu nennen, was allgemein als humanes Sozialverhalten verstanden wird“.

Ferðalangur: „Wie steht es dann aber mit jener Elefantenkuh, die sich neben ihre gebärende Artgenossin postiert, um diese in ihrer Wehrlosigkeit gegen etwaige Angriffe von Raubtieren zu verteidigen, da diese selbst hierzu nicht in der Lage?“

Hugsuður: „Schon gut. Da wäre vielleicht jenes zu nennen, was allgemein als Mitleiden verstanden wird“.

Ferðalangur: „Und als was wäre dann die Reaktion jener Pflanze zu bezeichnen, an welcher sich signifikante Reaktionen feststellen ließen, als Resonanz auf die Tatsache, dass ihrer benachbarten Pflanze eine Injektion mit Gift verabreicht wurde, an dessen Wirkung diese gerade verendet?“

Hugsuður: „Zum Teufel mit der Wissenschaft. Bliebe also jenes zu nennen, was allgemein als Seele verstanden wird.“

Ferðalangur: „Und als was wäre dann jenes zu bezeichnen, was einen Pinguin dazu veranlasst, einen nur noch in Teilen vorhandenen verwesten Artgenossen gegen einen Aasfresser zu beschützen, damit dieser ihn nicht weiterhin verspeisen könne, und sich dafür sogar dessen Attacken aussetzt, und nicht davon ablässt?“

Hugsuður: „Meinetwegen. Dann bleibt halt nur noch jenes, was allgemein als Verstand angenommen wird.“

Ferðalangur: „Du meinst jene Fähigkeit, welche die Wesen signifikant von anderen Gattungen unterscheidet?“

Hugsuður: „Ja.“

Ferðalangur: „Da hast Du recht. Die Wesen sind tatsächlich die einzige Gattung, der es ein Herzensbedürfnis ist, seine eigene Gattung über das Betätigen von ein paar Schaltknöpfen auslöschen zu dürfen.“

Hugsuður: „Nun, die Vernunft wird es sein, die sie von diesem Schritt bewahren wird.“

Ferðalangur: „Du meinst jenes, was sie diese Fähigkeit erst entwickeln ließ?“

Hugsuður: „Dann ist es halt die Anhaftung von jenem, was als Bewusstsein bezeichnet wird.“

Ferðalangur: „Ach wirklich?“

is

Vera með fullri meðvitund

Des Gnoms Genom

Tilvera: „Sie setzen nun entdecken dem erfinden gleich, und argumentieren, dass kein Unterschied bestehe zwischen den beiden Tätigkeiten, denn es sei der Verstand, der entdecke, und da dieser  es ist, der finde, sei es erfunden, und keineswegs entdeckt. Dein Genom wurde daher keineswegs entdeckt, sondern erfunden.“

Ónytjungur: „Ich besitze keinen Gnom. Es war daher bei mir auch keiner zu entdecken, und wäre da, weil bei mir hier nichts zu finden war, deswegen erfunden worden, dass ich einen Gnom besitze, so wurde dies meiner Erinnerung nach vor nicht langer Zeit noch Lüge genannt. Und diese meine Aussage ist wahr,  sowohl für jenen Fall, dass du mit dem Wort Gnom einen Erdbewohner meintest, als auch für jenen Fall, dass du mit dem Wort vom Verstand sprachst.“

Tilvera: „Ich sagte Genom, und nicht Gnom. Du spottest über Kleinwüchsige?“

Ónytjungur: „Wo denkst Du hin. Du weißt, das unsichtbare Volk ist unser treuester Freund, und wir Tröll deren treueste Freunde. Und da das unsichtbare Volk, wie der Name bereits darauf hinweist, unsichtbar ist, kann kein Tröll wissen, ob diese Bewohner im Untergrund nun Riesen, Zwerge, oder keines von beiden sind.  Demnach ist für uns Tröll eine bestimmte Körpergröße völlig nichtssagend, denn wäre es anders, wie könnten wir dann deren treueste Freunde sein.“

Tilvera: „Dennoch sagte ich Genom, und nicht Gnom.“

Ónytjungur: „Würdest Du mir zustimmen, wenn ich behaupte, dass im Falle, mit dem Wort Gnom würden Erdbewohner bezeichnet, dann mit dem Wort eine angemessene Vorstellung über das Bezeichnete verbunden werden könne, hingegen  im Falle, es würde mit dem Wort Verstand bezeichnet,  keine angemessene Vorstellung über das Bezeichnete verbunden werden könne?

Tilvera: „In beiden Fällen wäre das darüber Bezeichnete einer Vorstellung zugänglich. Es ist aber immer noch so, dass ich vom Genom sprach, und nicht vom Gnom.“

Ónytjungur: „Gemach. Wie du weißt, gibt es keine Messgröße, die das Ausmaß an Verstand messe, also jener Fähigkeit, über welche mittels Begriffen sich etwas vorgestellt werde. Eine Messgröße  gibt es selbst dann nicht, setzte einer eine solche. Zudem, bildete einer Begriffe, und verknüpfte er diese dann mit Urteilen,  so wäre einer – wolle er in Folge darüber aussagen – dazu gezwungen, dieses  über Vergleiche mitzuteilen, da über Sprache nur Aussagen von Vergleichen möglich. Doch was wäre dann beschrieben über dieses Etwas, wenn erzählt, es sei größer oder kleiner als, dicker oder dünner als, älter oder jünger als, und was da an Vergleichen noch so möglich?  Das Ding selbst? Oder nur das Ergebnis eines Vergleichs, bezogen auf irgendeine Messgröße?“

Tilvera: „Nun, ebenso verhält es sich mit jenem, was mit dem Wort Akzeptanz bezeichnet. Auch über diese gibt keine Messgröße, die ein Ausmaß an Akzeptanz messe. Selbst dann nicht, setzte einer eine solche. Denn diese wäre immer willkürlicher Natur. Und so wäre von Akzeptanz nur zu sagen, dass es zwar einen oberen und unteren Schwellwert hinsichtlich vorhandener oder nicht vorhandener Akzeptanz gebe, jenseits derer entweder – in der einen Richtung – die Urteilsfähigkeit sich in ein  kollektives Delirium begebe, oder-  in der entgegengesetzten Richtung – ein konkretes Individuum sich  von jeglichem weiteren Versuch einer Kontaktaufnahme verabschiede, nicht jedoch, ab wann denn diese Schwellwerte nach oben oder nach unten genau über- oder unterschritten seien.“

Ónytjungur: „Wie kannst du dann behaupten, in beiden Fällen wäre das darüber Bezeichnete einer Vorstellung zugänglich, also sowohl bei den Ding Erdbewohner, wie bei dem Nichtding Verstand?“

Tilvera: „Nun, weil die Resultate aus der Bildung von Begriffen, und der damit verknüpften Urteile für jedermann wahrnehmbar, so er über Sinne verfüge.“

Ónytjungur: „Zugegeben. Und das auch noch unübersehbar. Jahrhunderte sitze ich nun bereits auf meinem Stein, bin durch Länder gereist, habe mir erfahren, was an Dingen jenseits des Horizonts, und bin dort auf jenes gestoßen, was Intelligenz genannt.“

Tilvera: „Nun, dann verfügst du bereits über Wahrnehmung, was Voraussetzung von Intelligenz. Wie du sicherlich weißt, ist Wahrnehmung selbst nur dumm.“

Ónytjungur: „Nun, ich bin ein Tröll. Ziehe demnach Betrachtungen über Wahrgenommenes allemal einer möglichen Intelligenz vor, und bleibe daher lieber dumm. Stahl doch die Intelligenz zuerst das Land, das ausnahmslos für alle bestimmt, wissend, dass sie damit Artgenossen die Ernährungsgrundlage entziehe. Dann erfand sie den Tausch, und verkündete den Landlosen: ‚Schaffet an meiner statt, und ich gebe euch dafür das Brot, das ich euch entzog!‚ Dann erfand sie die unverderbliche  Ware, die es gar nicht gibt, was dazu führte, dass die einen diese im Übermaß horteten, und die anderen mühsam oder vergeblich sich selbst verleugneten, um etwas davon zu erhalten, denn nur darüber war noch Nahrung zugänglich. Und so wucherten Höfðingar landauf, landab, und jene, die übrig blieben. Da aber noch das Prinzip herrschte, dass jedes konkrete Individuum sich seinen Goði frei wählen konnte,  den Goðar daher jederzeit die Gefolgschaft aufgekündigt werden durfte, ohne deswegen etwas Nachteiliges befürchten zu müssen,  erfand sie die Ideologie, die Nation, die Gesellschaft, die Akzeptanz, welche nur das Ausmaß an Gefolgschaft, die Ochlokratie, die Diktatur der Mehrheit, die Querulanten, die Leitkultur, die Nestbeschmutzer,  ersetzte Gattung durch Volk,  und Wissen durch Meinung, und was noch so alles an Begriffsbildungen möglich, verhedderte und verirrte sich in dem auf solche Weise entstandenen Begriffslabyrinth, verwarf endgültig, dass etwas unstrittig sein könne, und da es hierfür noch keinen Begriff gab, nannte sie es Zivilisation.“

Tilvera: „Du scheinst mir ein Defätist zu sein.“

Ónytjungur: „Du hörst einen, der mutlos und hoffnungslos ist, und die eigene Sache für aussichtslos hält? Setzte eine solche Haltung nicht voraus, dass da einer sich auf den Weg gemacht hätte, Gefolgschaft für die eigene Sache zu suchen, da von Sucht nach Bestätigung oder Widerspruch heimgesucht?  Was wäre da schon anderes gewonnen als Gesocks.“

Tilvera: „Nun, das liegt daran, dass du strohdumm bist.“

Ónytjungur: „Da lob ich mir doch die Dummheit. Verhält es sich nicht so, dass Gefolgschaft es war, die aus der Menge von Milliarden Exemplaren einem Dutzend aus dieser Menge die Möglichkeit schuf, dass dieses Dutzend jedes Lebende von dieser Erde jederzeit auslöschen dürfe, wann immer es einem aus diesem Dutzend gefiele, und die Befugnis hierzu als notwendig ausgab, wider besseren Wissens die Behauptung aufstellend, bereits die Gattung begründe, dass es sich bei solchen bereits per-se um ein vernunftbegabtes Wesen handeln müsse?“

Tilvera: „Dem Versuch einer Abschaffung dieses Zustands wird von intelligenten Leuten kein Erfolg attestiert, wie du weißt. Bist du nun ein systematischer Schlechtreder gesellschaftlicher und politischer Umstände geworden?“

Ónytjungur: „Ich erzähle dir nur, was ich mir auf meinen Reisen erfahren hatte, und nichts darüber hinaus. Sage mir, falls ich lüge, und meine Erinnerung mich betrogen habe, und ich werde meine Erzählung korrigieren.“

Tilvera: „Nun, für den Fall, dass du dich noch daran erinnern kannst: ich sprach nur vom Genom.“

Ónytjungur: „Auch ich spreche von nichts anderem. Sag mir, wie nennst du Etwas, das zwar in der Lage ist, einen gesprochenen oder geschriebenen Satz als Aneinanderreihung von Begriffen zu erkennen, darin enthaltene Begriffe extrahieren und bereits vorhandenen Begriffen zuordnen kann,  Beziehungen und deren Kardinalität in einem Gedächtnis ablegen kann, ausschließlich  in der Lage ist, einer vorgegebenen Reihenfolge von Entscheidungen, Wiederholungen und Anweisungen zu folgen, nur dazu fähig, Erkenntnisse ausschließlich aus dem Gebrauch vorliegender Statistiken gewinne, und jegliche Entscheidung nur auf Grundlage vorliegender statistischer Daten treffen kann? Nennst du solches etwa vorhandenen Verstand, oder Verständnis, oder Besinnung, oder Einsicht?“

Tilvera: „Dies wäre erst anhand jener Begriffe feststellbar, die diesen Nomen vorausgingen, demnach  die Begriffe für  die Tätigkeiten überlegen, verstehen, begreifen, besinnen, und einsehen, da erst über diese Tätigkeiten einer möglichen Vorstellung zugänglich.“

Ónytjungur: „Und ist verstehen, begreifen, sich besinnen, und einsehen möglich im Falle, einer wüsste nur jenes, was ihm persönlich bekannt, jedoch nicht jenes, was ihm unbekannt, dennoch aber vorhanden?“

Tilvera: „Es wären nur solche Annahmen herstellbar, welche das im Unbekannten gebliebene nicht berücksichtigten, was zwangsläufig zu irrtümlichen Entscheidungen führe. Irrtum wäre daher bereits systemimmanent und  vorprogrammiert.“

Ónytjungur: „Womit der Satz erklärt, dass ein Mensch sich stündlich irre. Und da dem so ist, überträgt er nun jenes, was er für Intelligenz hält, auf eine neu geschaffene Gattung, die in der Lage, sich – im Gegensatz zu ihm selbst –  jede Millisekunde irren zu können. Womit ich beim Genom angekommen.“

Tilvera: „Und worin bestünde deiner Ansicht nach die Verbindung mit jenem, von dem du erzähltest, mit jenem, was Genom genannt?“

Ónytjungur: „Nun, ich hörte davon, dass bei diesen Wesen sogenannte Pseudogenome gefunden wurden, die jedoch nicht mehr im Gebrauch seien, vermutlich durch Mutationen außer Kraft gesetzt.“

Tilvera: „Und?“

Ónytjungur: „Nun, ich habe, wie du meiner Erzählung entnehmen konntest, durchaus Anlass zu der Vermutung, dass jene Gattung, die sich selbst die Eigenschaft eines vernunftbegabten Wesens zuschreibt, zwar für Vernunft begabt sei, allerdings größten Wert darauf lege, diese Begabung nicht zu nutzen, diese daher nun in solchen sogenannten Pseudogenen ungenutzt auf jenen Zeitpunkt harre, an dem es wieder opportun, Verständnis und Einsicht zu praktizieren, da sich mittlerweile über die Methode trial-and-error herausgestellt habe, dass erst diese beiden den Fortbestand der Gattung sicherstellen würden, und nicht – wie irrtümlich angenommen – jenes, was Intelligenz genannt, da diese ja nichts weiter als das Resultat aus vorhandener Gefolgschaften, und deren jeweiligem Diktat, welches Akzeptanz genannt.“

Tilvera: „Womit du eindrucksvoll für jedermann belegst, dass du kein vernunftbegabtes Wesen bist“.

Ónytjungur: „Was kein Schaden ist. Ermöglicht doch diese Eigenschaft uns Tröll, aufmerksam zu sein, und sich auf unseren Reisen Wirklichkeit erfahren zu können. Lass mich dich daher mit einem Vers willkommen heißen.“

Tilvera und Ónytjungur fassten sich bei den Händen, sangen ein Lied, und tanzten auf ihrem Stein:

„Hrörnar þöll
sú er stendur þorpi á.
Hlýrat henni börkur né barr.

Svo er maður
sá er manngi ann.

Hvað skal hann lengi lifa?“  1)

 

1) Anm.: Vers 50, „Hávámál og Völuspa“, Gísli Sigurðsson, Svart á Hvítu, Reykjavik 1986 , Übersetzung:

(50) „Die Kiefer verdorrt, die auf kahler Höhe steht,
Ihr nützt nicht Nadel noch Rinde.
So geht es dem Mensch, den niemand mag:
Was soll er lange leben?“

Das Bier-Dilemma

troll-imadeWEB-1Ónytjungur: „Siehst Du dort diesen SUV, der gerade derart stümperhaft  in die Furt einfährt, dass ihn die Leute von ICE-SAR wieder herausziehen werden müssen? Was würdest du mir antworten, wenn ich dir sage, der Motor sei der Fahrer, und der Fahrer nur ein Trugbild deiner Phantasie?“

Tilvera: „Dass du, nachdem du so alt geworden bist,  wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank hast, oder gestern Abend bei dem Live-Konzert im Enski Barinn etwas zu oft die Nase in die  Gläser  der Gäste gesteckt haben musst, die mit  Guinness gefüllt. Sonst würdest du dich noch daran erinnern, dass der Motor nur das Werkzeug ist, dessen sich der Fahrer bedient, der Fahrer hingegen nur dies tun kann, was ihm der Motor erlaubt. Oder hast du schon einen Motor gesehen, der von sich aus fährt, oder einen Autofahrer, der mit seinem Auto taucht oder fliegt?“

Ónytjungur: „Nur dort, wo der Fahrer in der Kurve zu schnell unterwegs, oder der Wasserstand des Flusses zu hoch.  Das war dann in aller Regel auch das Ende einer solchen spezifischen Fahrgemeinschaft. Nehme ich nun das Auto als Referenzgegenstand, so bewegen sich beide, wie du mir wohl eingestehen wirst, sowohl der Fahrer, als auch der Motor. Auch scheinst du mir vertraut zu sein mit dem Prinzip der Erklärungsebene.“

Tilvera: „Kann es sein, dass du gestern Abend deine Nase auch noch in eine Flasche Svarti dauði  gesteckt hast?“

Ónytjungur: „Keineswegs. Zumindest erinnere ich mich nicht mehr daran.  Können wir beide uns darauf einigen, dass es sowohl das Teil wie auch das Ganze gibt?“

Tilvera: „Es waren wohl auch noch härtere Sachen dabei, wie käme sonst eine solche dumme Frage zustande. Jedes Kind da unten in der Dorfschule weiß, dass Teil und Ganzes sich einander bedingen.“

Ónytjungur: „Schön.  Wie steht es mit den Begriffen Ursache und Eigenschaft? Bezogen sowohl auf das Auto dort als Ganzes, wie auch auf dessen Teile, also dem Fahrer und dem Motor.“

Tilvera: „Da werde ich wohl nicht darum herumkommen, das Teil vom Ganzen getrennt betrachten zu müssen, wie auch das Ganze getrennt von dessen Teilen.“

Ónytjungur: „Wie kommst du auf eine derart seltsame Idee, solch ein Vorgehen zu wählen?“

Tilvera: „Da das Ergebnis, so es ein logisches sein solle, und kein ideologisches, einzig und allein davon abhängt, was ich betrachte, also das Ganze, oder das Teil. Betrachte ich das Ganze, so ist der Fahrer eine Eigenschaft des Autos, welche dem Auto erst ermöglicht, sich zu  bewegen, betrachte ich das Teil, so ist der Fahrer jedoch die Ursache, die dazu führt, dass sich das Auto bewegt. Was ist nun der Fahrer, Eigenschaft oder Ursache?“

Ónytjungur: „Ich sehe, du bist mit dem Prinzip der Erklärungsebenen durchaus vertraut, wie auch mit der damit vorhandenen Logik. Allerdings wirst du wohl einräumen, dass da etwas widersprüchlich sein muss, denn es ist ein Unding, dass ein und dasselbe sowohl Eigenschaft als auch Ursache sein kann.“

Tilvera: „Das hängt davon ab, was du unter dem Wort Wissen verstehst, und was nicht.“

Ónytjungur: „Stecktest du deine Nase gestern Abend auch in die besagten Gläser?“

Tilvera: „Keineswegs.  Denn du kannst die Wirklichkeit als Wissen bezeichnen, also jenes, was ist. Du kannst aber auch die Wahrnehmung als Wissen bezeichnen, also jenes, was wird.  Alles nur eine Frage der Terminologie. Und der angewandten Methode.“

Ónytjungur: „Kann es sein, dass bei dir gestern Abend zufällig auch eine Flasche Svarti dauði  deinen Weg kreuzte?“

Tilvera: „Weil ich empirisch und naturwissenschaftlich vorgehe, und nicht idealistisch? Muss ich bei dir nun erst Platoniker werden, oder Neuplatoniker, fahrender Scholast, oder gar Philosoph?“

Ónytjungur: „Nun wirst du aber unvernünftig.“

Tilvera: „Bleib mir mit dem Wort Vernunft vom Leib. Es gibt wohl wenig Wörter, die mit einem solchen Umfang sich widersprechender oder undeutlicher Beschreibungen daherkommen. Ist es nicht seltsam, dass je undeutlicher eine Beschreibung, desto umfangreicher deren Gebrauch?“

Ónytjungur: „Nun, es dient der Erarbeitung dessen, was mit dem Wort gemeint, und was nicht.“

Tilvera: „Wohl eher zum Zwecke, anderen vorhandene Unvernunft zu unterstellen.  Oder willst du etwa behaupten, es wäre Ausdruck von Vernunft gewesen, als Menschen damals im Land der Biodeutschen dennoch einen Mitbürger jüdischen Glaubens heirateten, oder bei ihm einkauften, ihn gar verstecken? Es war nicht die Vernunft, die solche zu solchem Tun veranlasste, auch nicht die Moral, und schon gar nicht ein Gesetz, erst recht nicht eine Erziehung oder eine Ideologie.“

Ónytjungur: „Sondern?“

Tilvera: „Deren Selbst, über welches seit jeher jedes konkrete Individuum verfügte bis zu dessen Tod, in diesem Augenblick verfügt, so es denn lebe, und über ein solches auch in Zukunft jedes konkrete Individuum verfügen wird. Und kein einziges davon ist einem anderen gleich.“

Ónytjungur: „Soso. Und was ist dieses Selbst?“

Tilvera: „Das kann nur der jeweilige Eigentümer selbst herausfinden.“

Ónytjungur: „Und worauf begründet sich dann deine Behauptung, es gäbe so etwas?“

Tilvera: „Verhält es sich bei dir nicht so, dass es dein Selbst ist, mit dem du dein Ich identifizierst? Oder ist es etwa das eines Anderen? Und verhält es sich bei dir nicht so, dass du zwischen deinem Körper und deinem Ich unterscheidest? Und hat dieses dein Selbst eine Länge, eine Breite, eine Tiefe? Und falls nicht, hat es dann nicht andere Eigenschaften als dein Körper?“

Ónytjungur: „Bei dir waren wohl gestern Abend auch noch härtere Sachen dabei, als es ein Svarti dauði sein kann. Zu deiner Beruhigung, bei mir verhält es sich so, dass mein Selbst bei meinen Nachforschungen immer dasselbe war, sooft ich auch danach forschte, es folglich bereits mein ganzes Leben lang unverändert  bis jetzt existierte. Oder glaubst du etwa, ich wäre durch dein Geschwätz du geworden?“

Tilvera: „Das fehlte mir noch. Als wäre mein Unglück nicht bereits ohne dich schon groß genug. Könnte es demnach sein, dass auch das Gedachte nicht gedacht sein kann wie auch das Allgemeine nicht allgemein sein kann, ohne es zuerst vom Raum oder aus materiellen Eigenschaften zu abstrahieren? „

maltÓnytjungur: „Die Eigenschaften physikalischer Phänomene, also räumliche und zeitliche, sind bestimmten physikalischen Gesetzen untergeordnet, das kann dir jeder Physiker dort unten in der Dorfschule erklären, solltest du dahingehend noch Nachhilfe nötig haben. Und das bei deinem Alter!“

Tilvera: „Wie kommt es dann, dass du dir einbildest, du hättest ein Selbst, das ja – da du mir diesbezüglich nicht widersprachst – weder eine Länge, eine Breite, noch eine Tiefe hat?“

Ónytjungur: „Was hältst du davon, wenn wir beide uns  heute Abend ausnahmsweise mal im Cafe Hresso treffen, und ein  alkoholfreies Malt zischen?“

Kognitive Dissonanz

troll-imadeWEB-1Ónytjungur: „Was gibt es Neues von der wissenschaftsbasierten Informationsgesellschaft zu berichten? Die jüngsten Ereignisse hier verheißen nichts Gutes.“

Tilvera: „Die Zeit der Heroen ist endlich wieder angebrochen, die seit langem vermissten Dichter und Denker sind zurückgekehrt, erleben eine Renaissance.“

Ónytjungur: „Erfreulich, erfreulich. Du hast ihre Dichtung gelesen? Ist die Prosa gefällig?“

Tilvera: „Die eingesetzte Form der Prosa, obschon aufgewärmt, da dort schon einmal erfolgreich angewandt, findet nun immer mehr Anhänger, allerdings nennen sie diese dort nun Wissenschaft.“

Ónytjungur: „Ein Fortschritt. Sind es doch die Dichter, die Wissen besitzen, wie hier jeder weiß. Und was ist das Thema? Die Natur, die Liebe, der Mensch an sich, Innenleben, …?“

Tilvera: „Es dreht sich um Fragen des wahren Menschseins. Genau genommen um Wahrnehmungen, Gedanken, Meinungen, Einstellungen, Wünsche oder Absichten. Sie nennen es Kognitionen.“

Ónytjungur: „Interessant. Ein weites Feld.“

Tilvera: „Genau genommen, ein sehr begrenztes Feld. Es geht nur um die Frage, was zu tun ist, ob einem Menschen, der vor Mördern flieht, um nicht ermordet zu werden, dabei Hab und Gut verlor, Obdach zu gewähren sei, oder nicht.“

Ónytjungur: „Wie kommt’s? Die Frage ist seit Menschengedenken längst geklärt, von Generation zu Generation, in allen Kulturen, und unwidersprochen. Was gibt es da noch zu reden?“

Tilvera: „Da gab es die denkend abwägenden Psychologen noch nicht. Diese sagen nun, dass handeln falsch sei, denn es müsse vorher erst denkend abgewogen werden. Denn werde gehandelt, ohne vorher denkend abzuwägen, wäre eine Realitätsverweigerung zu diagnostizieren, und die Ursache wäre ein pathologischer Charakter. Entstanden aus Unwissenheit, Gedankenlosigkeit, schierer Angst, die Dinge an ihr Ende zu denken, Selbstbetrug, einer mentalen Schwäche. Verantwortlich dafür seien sogenannte Gesinnungsethiker, die unerfüllbare Maximalforderungen aufstellten, und abstrakte Ideale wie eine Monstranz vor sich her trügen. So sei der abwägend Denkende nun notwendig geworden, der Möglichkeiten an der Realität abgleiche.“

Ónytjungur: „Da hat wohl einer nicht verkraftet, dass die Wirklichkeit nicht hinter dem Display blieb, welches sogar hier jeder Besucher in der Einöde vor seine Nase hält, sondern plötzlich vor dem Display auftauchte. Aber da war sie doch immer, wie du und ich wissen, nur hat das offensichtlich von denen keiner bemerkt. Was kein Wunder ist, wenn die Nase ständig am Display klebt, und damit Wahrnehmungen, Gedanken, Wünsche und Absichten auf jenes ausgerichtet, was hinter dem Display sichtbar, und nicht vor dem Display gegeben.

Tilvera: „Nun, die denkend abwägenden Psychologen sehen sich selbst als ein dem Untergang geweihter Indianerstamm im Amazonasgebiet, und beanspruchen daher, geschützt zu werden wie Tibeter in China. Sie sehen sich selbst als indigenes Volk, und beanspruchen daher Schutz gemäß Resolution 61/295, der Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte indigener Völker.“

Ónytjungur: „Lass mich raten: da diese Dichter Psychologen sind, die sich für Wissenschaftler halten, reden sie dabei keineswegs von sich, sondern selbstverständlich über andere. Ist es nicht so, dass Psychologen einmal als Beruf entstanden, um ein konkretes Individuum, das entweder für sich selbst oder für andere eine Gefahr für Leib und Leben darstellt, mit geeigneten Methoden zu therapieren, wozu  sich vordem niemand kompetent erklärte? Was haben die nun mit dem Plural zu schaffen?“

Tilvera: „Das war, bevor die denkend abwägenden Psychologen der wissenschaftsbasierten Informationsgesellschaft eine kollektive kognitive Dissonanz diagnostizierten.“

Ónytjungur: „Und was ist eine kognitive Dissonanz?“

Tilvera: „Ein unangenehm empfundenes Gefühl, das dadurch entsteht, dass ein Mensch mehrere Kognitionen hat, die nicht miteinander vereinbar sind. Sie ist situationsbedingt, und ist abhängig von getroffener Entscheidung, Gewahrwerdung, oder Verhalten.

Ónytjungur: „Ist dir eigentlich aufgefallen, dass diese Definition sich auf Einzahl bezieht, also auf ein konkretes Individuum, du aber vorher von Mehrzahl sprachst, also einem Kollektiv? Hast du auf deiner langen Reise die Fähigkeit zur Sprache verloren, fehlten dir unsere Dichter?“

Tilvera: „Ich berichte dir nur wahrheitsgetreu, bin daher auch nicht dafür verantwortlich.“

Ónytjungur: „Das hört sich alles sehr komplex an. Du machst mich neugierig. Nach derzeitigem Stand der Wissenschaft ist nur möglich, dass das Ergebnis aus Wahrnehmungen, Gedanken, Meinungen, Einstellungen, Wünsche und Absichten, das einer Person in ihrem  Leben als Summe widerfuhr, nur einzigartig sein kann, demnach nie mit einer anderen Person identisch. Du behauptest nun, dies sei nicht wahr.“

Tilvera: „Nicht ich bin es, der das behauptet. Ich bin nur derjenige, der davon berichtet. Wurdest du nie von einem Gefühl heimgesucht, dass du als unangenehm empfandst? Da du Unstimmigkeiten bei deinen Wahrnehmungen, Gedanken, Wünschen und Absichten entdecktest? Ich meine, bezogen auf deine Einstellungen und dein Verhalten.“

Ónytjungur: „Im Sommer jeden verdammten, langen Tag. Nicht aber im Winter.“

Tilvera: „Tatsächlich sind es aber nur fünf verschiedene Ereignisse, die zu einer kognitiven Dissonanz führen.“

Ónytjungur: „Dann könnte möglich sein, dass sogar ich es verstehe. Erzähl, nur keine Scheu!“

Tilvera: „Das Gefühl tritt zum Beispiel auf, wenn einer eine Entscheidung getroffen hat, obwohl die Alternativen ebenfalls attraktiv waren.“

Ónytjungur: „Mir ist ein solches Individuum schon begegnet. Es hatte sich für ein graues Auto entschieden, und war sein Leben lang totunglücklich darüber, dass es sich nicht für das rote Auto entschieden hatte. Oder der Mann, der eine Frau geheiratet hat, und dann … ich sehe aber keinen Zusammenhang …“

Tilvera: „Das Gefühl tritt auch auf, wenn einer eine Entscheidung getroffen hat, die sich als eine Fehlentscheidung herausstellte.“

Ónytjungur: „Auch das. Bei dem einen war aber die Ursache nicht die Farbe des Autos, sondern die Umgebung, die er damit aufsuchte, und bei dem anderen nicht die Ehefrau. Ich sehe immer noch keinen Zusammenhang …“

Tilvera: „Das Gefühl tritt auch dann auf, wenn einer gewahr wird, dass eine begonnene Sache anstrengender oder unangenehmer wird als erwartet.“

Ónytjungur: „Das stimmt. Der eine versuchte, mit seinem grauen Ford Fiesta die Krossa zu durchqueren, der andere jammerte darüber, dass seine Frau ihn vor die Alternative stelle, entweder wenigstens einmal in der Woche die Unterhose zu wechseln, oder auf kuscheln zu verzichten. Was hat das mit …“

Tilvera: „Das Gefühl tritt zum Beispiel auch dann auf, wenn einer große Anstrengungen auf sich genommen hat, nur um dann festzustellen, dass das Ziel den Erwartungen nicht gerecht wird.“

Ónytjungur: „Mir längst bekannt. Der eine schrie laut um Hilfe, in der Hoffnung, es höre einer die Hilferufe und eile herbei, denn das graue Auto war in der Krossa praktisch unsichtbar, wurde dadurch aber nur heiser, denn die Krossa war lauter, und der andere wechselte seine Unterhose, da war es aber schon zu spät, denn seine Frau war mittlerweile eingeschlafen. Du hast mir immer noch nicht gesagt …“

Tilvera: „Das Gefühl tritt zum Beispiel auf, wenn einer sich konträr zu seinen Überzeugungen verhält, ohne dass es dafür eine externe Rechtfertigung in Form von Nutzen bez. Belohnung oder Kosten bzw. Bestrafung gibt.“

Ónytjungur: „Auch das ist mir geläufig. Der eine war überzeugt, dass es in Italien Brücken gibt und warm ist, auch war er davon überzeugt, dass hier im Hochland Flüsse zu durchqueren sind, und er eigentlich ein geländegängiges Auto bräuchte, fuhr aber dennoch mit einem Ford Fiesta hierher, und der andere wechselte gegen seine Überzeugung jede Woche seines Lebens seine Unterhose, obschon es immer zu spät war. Was zum Teufel hat das alles damit zu tun, ob einem Menschen, der vor Mördern flieht, um nicht ermordet zu werden, dabei Hab und Gut verlor, Obdach zu gewähren ist, oder nicht?“

Tilvera: „Das Problem ist, dass dabei Einstellungen und Verhalten als widersprüchlich empfunden werden, und – da das Verhalten freiwillig geschah – eine körperliche Erregung eintrat, wofür dieses Verhalten verantwortlich ist.“

Ónytjungur: „Interessant. Gibt es eine Rettung aus dem, was da als Dilemma aufgefasst?“

Tilvera: „Die abwägend denkenden Psychologen gehen davon aus, dass dafür vier Schritte notwendig wären. Mit welchen der Schritte begonnen werde, sei unerheblich.“

Ónytjungur: „Als da sind?“

Tilvera: „Um das zugrunde liegende Problem zu lösen, wäre notwendig, den Blickwinkel zu ändern, damit neue Lösungswege erkannt werden können. Mit der Lösung verschwinde auch die Dissonanz.“

Ónytjungur: „Genial. Sobald die Menschen Kriegsflüchtlinge nicht für Kriegsflüchtlinge halten, die vor Mördern fliehen, um nicht ermordet zu werden, und dabei Hab und Gut verloren, eröffnen sich neue Lösungswege, die vordem ja deswegen nicht erkannt wurden, da ja noch die Kriegsflüchtlinge irrtümlich für Kriegsflüchtlinge gehalten wurden, die vor Mördern fliehen, um nicht ermordet zu werden, und dabei Hab und Gut verloren.“

Tilvera: „Ein anderer Schritt wäre, die Wünsche, Absichten oder Einstellungen aufzugeben.“

Ónytjungur: „Noch besser. Bieten die denkend abwägenden Psychologen auch Einrichtungen an, in denen sie Umschulungen anbieten, so dass Wünsche und Absichten, oder die Einstellung, Menschen Obdach zu gewähren, die vor Mördern fliehen, um nicht ermordet zu werden, und dabei Hab und Gut verloren, sich dahingehend verändern, diesen nicht mehr Obdach gewähren zu wollen?“

Tilvera: „Es wäre auch möglich, die körperliche Erregung zu dämpfen, was durch Sport, ausgleichende Aktivitäten, Ruhe, Vermeidung von vermeidbarem Stress, Meditation, aber auch durch Alkoholkonsum, Beruhigungsmittel, Tabak oder andere Drogen möglich wäre.

Ónytjungur: „Das bringt mich auf eine Idee. Gibt es nicht eventuell die Möglichkeit, an die abwägend denkenden Psychologen Gutscheine auszugeben, für das Fitness-Studio, oder Meditationskurse, oder Freibier bis zum abwinken? Immerhin würde dadurch erreicht werden, dass jene, die nicht von kognitiver Dissonanz befallen wie jene abwägend denkenden Psychologen, endlich von deren Geschwätz befreit werden, abwägend denkende Psychologen möglicherweise darüber sogar ihre Einstellung änderten, also eines fernen Tages Menschen in Not Obdach gewähren wollen.“

Tilvera: „Aber die abwägend denkenden Psychologen sind es doch nicht, die an kognitiver Dissonanz leiden, sondern jene, die Kriegsflüchtlingen Obdach gewähren, da die vor Mördern fliehen, um nicht ermordet zu werden, und dabei Hab und Gut verloren.“

Ónytjungur: „Soso, ist das so? Ist dir auf deinen Reisen schon einmal das Wort Gewissen begegnet?“

Tilvera: „Wo ich auch hin kam. Was aber hat das Wort mit kognitiver Dissonanz zu tun?“

Ónytjungur: „Nun, Gewissen ist das Gefühl der inneren Ruhe oder Unruhe, das in das Bewusstsein tritt, wenn eine vorgehabte, begangene oder unterlassene Tat im Einklang oder Widerspruch zu einem moralischen Grundsatz steht, der für eine Person verbindlich ist. Was wäre daraus zu schließen, ich meine, bezogen auf Psychologen, die dichten, da sie sich für Wissenschaftler halten?“

Tilvera: „Dass ein Esel ein Esel bleibt, auch wenn er eine Melone frisst?“

fr

Dissonance cognitive

Wunsch, Möwe zu werden

Einöde

Der Anblick einer Möwenkolonie an einer Steilwand, wo auf jeweils wenigen Quadratzentimeter in „einer Andeutung von Nest“ eine Gattung dicht an dicht ihre Jungen aufzog, öffnete der Nichtmöwe Ulrich Schacht den schonungslosen Blick auf die eigene Gattung, und sie notierte für ihre Novelle „Grimsey“:

Wesen, denen der Mensch im Zuge einer hyperthrophen Entwicklung alles abgesprochen hatte, was nicht auf eine rein biologische Funktionalität hinauslief, waren sichtbar in Sorge umeinander, riefen sich an, erkannten einander.“

Was die Nichtmöwe zwar zu dem 2.500 Jahre alten Satz „So ist der natürliche Instinkt aller Wesen, die Seele haben“ von Demokrit führte, nicht aber zur Einsicht in ihr eigenes Selbst, wie seine Hetze gegen Menschen belegt, die um die Andeutung eines Nestes in seiner Kolonie betteln, da sie sonst ermordet oder versklavt werden würden.

Dieser Satz von Demokrit ist allein schon deshalb mit unüberwindbaren Schwierigkeiten verbunden, da einer Gattung überliefert, die zwar aus nachvollziehbaren Gründen heraus die Existenz einer Seele bei der Gattung Mensch in Abrede stellt, erst recht bei Nichtmenschen, nicht aber die Vorstellung aufzugeben gewillt ist, es müsse sich bei Depressionen um seelische Störungen handeln, und den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch dadurch elegant umschifft, indem sie das Wort im 20. Jahrhundert durch das Wort Psyche ersetzte, um nicht entlarvt zu werden. Was der Gattung als Nebeneffekt den unschätzbaren Vorteil brachte, das Symptom – sobald aufgetreten – als Krankheit, als affektive Störung ausgeben und der Psychiatrie übergeben zu können. Auf die Frage, aus welchem Grund solches notwendig sei, wird von dieser Gattung auf die Vernunft verwiesen, also dem Auftauchen einer Gottheit mit Hilfe einer Bühnenmaschinerie, einer Deus ex machina, was die Frage bereits per-se in jenen Bereich verweist, der jenseits von Vernunft angesiedelt. Die Ahnung ist daher eine gefährliche, dass es sich bei jenem rapide anwachsenden Teil der Gattung, welcher Depressionen ausgesetzt, sich nur um einen solchen handeln könnte, der noch über Nous verfüge, also der menschlichen Fähigkeit, etwas geistig erfassen zu können; was naheläge, da dieses Symptom ja vorwiegend in wissenschaftsbasierten Informationsgesellschaften in solchem  Umfang auftritt. Was aber nicht naheliegend sein darf, selbst dann nicht, wenn es sich als begründet herausstelle, da die waltende Gottheit Vernunft dies ja gar nicht erst ermögliche, womit die Ahnung bereits als tätige Unvernunft nachgewiesen.

Und so dürfte nicht verwunderlich sein, dass sich immer noch Menschen auf die Reise begeben. Womit nicht gemeint, dass sich da einer von Ort A nach Ort B begebe, denn es wären damit jene mit einbezogen, die nicht über solchem Tun – als letzten noch verbleibendem Weg – nach Antworten auf drängende Fragen suchen, zu denen Artgenossen nur vorgaben, dass sie über Antworten verfügten, und die daher unbeantwortet blieben. Außenstehenden erscheinen solche, die diesen letzten noch verbleibenden Weg beschreiten, um darüber nach Antworten auf drängende Fragen zu suchen, gerne als Treibende oder Getriebene. Eine Unterstellung, aus Ahnungslosigkeit geboren, fehlt dem Treibenden doch das Ziel, und dem Getriebenen die Freiheit. Jener, der sich von A nach B begibt, als letzten noch verbleibendem Weg, verfügt sowohl über ein Ziel, als auch über eine Freiheit, denn jeder Schritt, wohin er sich auch wendet, bringt ihm sein Ziel näher. Es bringt ihm nicht nur sein Ziel näher, es kann auch gut sein, dass darüber auch die Fähigkeit zur Aufmerksamkeit erhöht werde, was dazu führen kann, dass bald seine Antworten, fragte ihn einmal einer, für den Fragenden so unverständlich ausfallen könnten, wie vordem die Antworten der anderen, die nicht genügten.

Gut möglich, dass ein auf solche Art und Weise Reisender auf Island auf die Einöde eines anderen Reisenden trifft, auf dessen alleinstehenden Wohnplatz für eine Nacht, irgendwo im Hochland, weitab von bekannten „Trekking-Touren“. Denn er ist nie dort zu finden, wo jeden Tag eine Hundertschaft jeden Morgen ihre Stoppuhren stellt, bevor sie mit Teleskop-Stöcken dem nächsten Etappenziel entgegen hastet, um später vor ehrfürchtigen Zuhörern berichten zu können, sie hätte die Etappe Hrafntinnusker – Álftavatn in nur 3 Stunden geschafft, und es wäre hart gewesen, aber auch schon sowas von hart. Dabei aber vergessen zu erwähnen, dass er somit Teil einer dieser täglichen Hundertschaft war, die – sorgsam erst um sich blickend – ihre Abfälle irgendwo in der Lava vergraben, oder selbst noch diese Mühe scheuen, und Plastikflaschen, Verpackungen, etc. einfach so fallen ließ, das Land ist ja weit und unberührt, und der Wind wird es schon forttragen, aus den Augen der Nachfolgenden entfernen.

Nein, dort war er nicht auffindbar, und es ist zu vermuten, dass er dort auch nie aufgefunden werden wird. Er wüsste längst, so seine Antwort, dass auch diese nur vorgeben, über Antworten zu verfügen, und er suche nicht, was dort nur zu finden sei: die Selbsttäuschung. Dazu hätte er seine eigene Selbsttäuschung schon zur Genüge ausgekostet, sich falsche Tatsachen vorgespiegelt.

Bei einer Pfeife und einer Tasse Pfefferminztee erzählte er dann, er hätte sich eines Tages einer Reisegesellschaft angeschlossen, da es in jener Zeit noch undenkbar war, durch die Sowjetunion auf solche Art und Weise zu reisen wie auf Island, dass einer also nur vorwärts ginge, da jeder Schritt, wohin er auch getan, einem das Ziel näherbringe. Er sei danach wieder an seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt, da es in jenem Land, von dem er herkomme, sich so verhalte, dass der Mensch von Arbeit nicht nur nicht satt werde, sondern sogar verhungern würde, er daher auf Erwerbsarbeit angewiesen sei. An seiner Wirkungsstätte, dem Max-Planck-Institut für Literatur der organischen und anorganischen Chemie eintreffend, um seine Arbeit an der Herstellung einer Literatur-Fakten-Datenbank fortzusetzen, sei ihm die ungewöhnliche Unruhe unter den Wissenschaftlern aufgefallen. Auf Nachfrage wäre ihm mitgeteilt worden, Messgeräte in Finnland hätten erhöhte Radioaktivität gemessen, und es werde angenommen, dass ein sogenannter Super-GAU sich ereignet haben müsse. Die Kolleginnen würden sich daher gerade Urlaub im Personalbüro genehmigen lassen, der diesen auch anstandslos gewährt werde, damit sie mit ihren Kindern nach Portugal fliegen können. Später sei dann in den Nachrichten bekanntgegeben worden, dass die Nuklearkatastrophe sich am 26. April im Kernkraftwerk Tschernobyl ereignet habe. Er hätte daraufhin die Wissenschaftler darüber informiert, dass er just in dieser Zeit mit einer Reisegesellschaft in einer Iljuschin der Fluggesellschaft Interflug über Tschernobyl geflogen sei, worauf diese ihm rieten, umgehend die nächste Apotheke aufzusuchen, um sich Jod-Tabletten zu beschaffen. Als er in der Apotheke nach Jod-Tabletten fragte, sei ihm mitgeteilt worden, dass diese ausverkauft seien. Die Apotheken im Umkreis hatten schließlich nicht damit rechnen können, dass an nur einem einzigen Tag alle Wissenschaftler des Forschungsinstituts Jod-Tabletten kaufen würden.

Auf die Frage hin, wie er dann zu der Ansicht käme, dass er sich falsche Tatsachen vorgespiegelt habe, setze er seine Geschichte fort. Die tiefe Sorge und Unruhe, die er bei den Wissenschaftlern feststellte, stand im krassen Gegensatz zu jenem, was in seinem Dorf stattfand. Zwar waren dort alle neugierig auf jede neue Nachricht, hielten jedoch die nicht enden wollenden und ständig wiederholten Beteuerungen, die ganze Angelegenheit sei weit weg passiert, und es bestehe kein Anlass zur Sorge,  für bare Münze. Er habe sich daher einer Gruppe angeschlossen, die aus eigener Tasche sich einen Geigerzähler kaufte, Messungen vornahm, und die Ergebnisse nebst ergänzender Erklärungen von Wissenschaftlern in einer eigenen Zeitung publizierte. Am ersten Jahrestag nach dem Unglück hätte er dann einen Nachruf verfasst, der sogar von einer Zeitung angenommen und veröffentlicht worden wäre. Denn er habe sich damals noch eine falsche Tatsache vorgespiegelt, in der Annahme, es wäre möglich, durch einen Text das Vergessen verhindern zu können. Und so habe er darüber jene Zeilen vergessen, von denen seine Gattung ausgehe, sie würden eine irreale Sicht skizzieren, und schloss seine Geschichte, indem er die Zeilen vor sich hin murmelte:

Wenn man doch ein Indianer wäre, gleich bereit, und auf dem rennenden Pferde, schief in der Luft, immer wieder kurz erzitterte über dem zitternden Boden, bis man die Sporen ließ, denn es gab keine Sporen, bis man die Zügel wegwarf, denn es gab keine Zügel, und kaum das Land vor sich als glatt gemähte Heide sah, schon ohne Pferdehals und Pferdekopf.“

Am nächsten Morgen war sein Zelt verschwunden. Nur ein gefaltetes Blatt Papier unter einem Stein blieb zurück, auf das er mit einem Bleistift „Unser Vergessen baut die Gitter“ geschrieben hatte. Als Begründung dafür, dass es besser für ihn war, sehr rechtzeitig aufzubrechen, denn er hätte, wie die Überschrift bewies, immer noch einen weiten Weg vor sich, um sein Ziel zu erreichen. In seinem Zweifel, ob Mutationen des Petkau-Effekts ihn ausgerechnet in eine Möwe verwandeln würde, seinen Wunsch erfüllend, Möwe zu werden,. damit endlich einer Gattung anzugehören, die noch sichtbar in Sorge umeinander, und auch noch nicht die Fähigkeit verlor, sich einander zu erkennen.

Unser Vergessen baut die Gitter

Am 26. April jährt sich zum ersten Mal die Möglichkeit des sogenannten Unmöglichen. Während weiterhin Menschen nach dem Prinzip „aus den Augen, aus dem Sinn“ genussvoll ihre Becquerels verzehren, und andere mit dem Kopf gegen die Wand rennen, um den schleichenden Mord aufzuhalten, reiht sich Unfall an Unfall, schreiten die verantwortlichen Optimisten mit beschwichtigenden Gesten über die Gräber der Opfer. Auch statistische Tote sind Tote. Dass die Sowjetunion aus Staatsräson über Leichen geht, ist nicht neu, dass die Bundesregierung ebenso Leichen in Kauf nimmt, ist schockierend, und nicht minder Barbarei. Die Sorge und der Widerstand bewahrt den verantwortungsbewussten Bürger nicht von der Notwendigkeit, Nahrung zu sich zu nehmen; auch er muss essen, was auf den Tisch kommt, und künstlich erzeugte radioaktive Strahlung macht um niemand einen Bogen. Ihm bleibt die Mühe, möglichen Etikettenschwindel zu erkennen, oder ihm ausgeliefert zu sein.

Es jährt sich zum ersten Mal, dass Kindern auf die Finger geschlagen wurde, weil sie den Rasen berührten. Es jährt sich zum ersten Mal, dass Sandkästen weggebaggert werden mussten, und Kinder vor verschlossenen Bädern standen. Es wurde notwendig, unsere Kinder vor den Auswirkungen unseres Willens zu schützen, sie einzusperren, ihnen Dinge zu verbieten, die uns als Kinder selbstverständlich waren. Die Korsetts werden enger, wir bauen uns unser eigenes Gefängnis, unser Vergessen baut die Gitter. Wer denkt schon leicht über Dinge nach, die man nicht schmeckt, die man nicht riecht, und die man nicht sieht. Keiner der Sinne unterstützt den Kampf gegen unsichtbaren Mord.

Man sagt uns, wir seien sicher – und zur gleichen Zeit werden in der Bundesrepublik Mitbürger kontaminiert – sprich: vergiftet. Man erlaubt sich sogar die Unverfrorenheit, zu posaunen, der Vergiftete sei „quietschvergnügt und quicklebendig“, weil ihm wahrscheinlich noch nicht die Haare ausgefallen, und verschweigt, dass man erst der noch lebendigen Leiche ansieht, dass sie nie wieder quicklebendig und quietschvergnügt sein wird. Das Gift hat Zeit und nutzt sie.

Die Sorge wird als Panikmache verlacht, die Verantwortung als Querulanz verteufelt. Man wird später sicher Entschuldigungen für das Verbrechen des Nichtstuns, des Schweigens und der Beschwichtigung finden.

Es ist völlig gleichgültig, ob aufgrund des radioaktiven Fallouts vor einem Jahr zwei oder zweitausend statistische Tote in der Bundesrepublik zu verzeichnen sind, denn bereits ein Toter ist einer zu viel. Beklagen wird die Toten niemand, denn sie wurden bewusst von uns als statistisches Schlachtvieh zum Altar der Menschenopfer zitiert. Sie sind berechnet, und Opfer der Berechnung. Sie sind wirtschaftlich vertretbar laut Strahlenschutzverordnung, also wirtschaftlich vertretbare statistische Morde. Die Klage eines Bürgers über die Ausbringung von mit 14000 Becquerel belastetem Klärschlamm, Monate nach Tschernobyl, auf die Felder bayerischer Bauern, wurde vom Umweltministerium mit der lapidaren Begründung abgeschmettert, die Strahlenschutzverordnung gelte nur für den „willentlichen Umgang“ mit radioaktiver Strahlung, und sei somit nicht zuständig.

Es bleibt nur ein Nachruf. Menschen werden vermutlich immer erst verstehen, wenn sie vor den Mahnmälern ihrer Vergangenheit stehen. Für untätiges Hoffen gibt es keine Entschuldigung, weder heute noch morgen. Es bleibt weiterhin jeder Tag ein möglicher Jahrestag irgendeines „Tschernobyl“.

  1. April 1987

Die wissenschaftsbasierte Informationsgesellschaft

troll-imadeWEB-1Tilvera: „Es gibt in der Demokratie keine Ohnmacht. Die menschliche Macht kann von Menschen gebrochen werden, durch den Aufstand des Gewissens, durch die Zivilgesellschaft.“

Ónytjungur: „Will der Mensch nichts sagen, bedient er sich nichtssagender Begriffe. Und da kennzeichnendes Merkmal von Gesellschaften deren Vorliebe für Geschwätz ist …“

Tilvera: „Ich habe keine nichtssagenden Begriffe verwendet.“

Ónytjungur: „Interessant. Und was habe ich mir beim Gebrauch der Worte Demokratie, Gewissen und Zivilgesellschaft vorzustellen?“

Tilvera: „Demokratie ist die Herrschaft des Volkes, Zivilgesellschaft ist die wissenschaftsbasierte Informationsgesellschaft, und das Gewissen wird als eine besondere Instanz im menschlichen Bewusstsein angesehen, die bestimmt, wie man urteilen solle.“

Ónytjungur: „Und du glaubst, deine Aussage wird besser, indem du weitere nichtssagende Begriffe hinzufügst? Und ist Gewissen nicht das Gefühl der inneren Ruhe oder Unruhe, das in das Bewusstsein tritt, wenn eine vorgehabte, begangene oder unterlassene Tat im Einklang oder Widerspruch zu einem moralischen Grundsatz steht, der für denjenigen verbindlich ist?“

Tilvera: „Ich hatte immer noch keine nichtssagenden Begriffe verwendet.“

Ónytjungur: „Interessant. Und was habe ich mir beim Gebrauch der Worte wissenschaftsbasierte Informationsgesellschaft und menschlichem Bewusstsein vorzustellen?“

Tilvera: „Natürlich die westliche Zivilgesellschaft.“

Ónytjungur: „Dir ist aufgefallen, dass du dich nun im Kreis bewegst?“

Tilvera: „Weil ich Synonyme verwende?“

Ónytjungur: „Keineswegs. Weil du Behauptung mit Wirklichkeit verwechselst.“

Tilvera: „Und was wäre deiner Ansicht nach dann Wirklichkeit?“

Ónytjungur: „Nun, Wirklichkeit wäre zum Beispiel der Satz von Albert Einstein, dass Wissenschaft ohne Religion lahm ist, und Religion ohne Wissenschaft blind.“

Tilvera: „Und was wäre deiner Ansicht nach dann Behauptung?“

Ónytjungur: „Dass es sich bei der westlichen Zivilgesellschaft um eine wissenschaftsbasierte Informationsgesellschaft handle.“

Tilvera: „Du erzählst mir, dass deine Intelligenz sich noch nicht derart umfangreich entwickelt habe, um den Zusammenhang zwischen der Aussage eines Wissenschaftlers und den Aussagen einer wissenschaftsbasierten Informationsgesellschaft herzustellen?“

Ónytjungur: „In der Tat. Denn eben jene wissenschaftsbasierte Informationsgesellschaft war und ist es, die nicht nur gegen den Willen dieses Wissenschaftlers nukleare Bomben herstellt, vorhält und einsetzt, sondern es darüber hinaus auch noch als völlig normal und legal ansieht, dass sie selbst und jeder andere Mensch auf der Welt von ein paar Scharlatanen jederzeit umgebracht werden dürfe, wann immer es jenen gefiele, und zwar in einem solchen Umfang und Ausmaß, dass diesem gegenüber die Grausamkeiten der Barbaren des Altertums nur jämmerliche Fingerübungen waren. Sofern ich mich recht erinnere, nennen sie es evolutionären Humanismus, an dem die Menschheit genese.“

Tilvera: „Was kein Schaden ist, denn wie ich eingangs schon sagte, gibt es in der Demokratie keine Ohnmacht, da die menschliche Macht von Menschen gebrochen werden könne, durch den Aufstand des Gewissens, durch die Zivilgesellschaft.“

Ónytjungur: „Ist es nicht so, dass der Mensch immer erst genau dann auf eine theoretisch bestehende Möglichkeit hinweist, nachdem er erfolgreich zum Ideologen degenerierte?“

Tilvera: „Du willst abstreiten, dass menschliche Macht von Menschen gebrochen wurde?“

Ónytjungur: „Wo denkst du hin. Aber zu verbreiten, das auslösende Motiv wäre jemals der Aufstand des Gewissens einer Zivilgesellschaft gewesen, dazu bedarf es erst der Fähigkeit, ein Ideologe sein zu können.“

Tilvera: „Und was ist deiner Ansicht nach ein Ideologe?“

Ónytjungur: „Im neutralen Sinne handelt es sich bei einem Ideologen um einen Dummkopf, der das durch eine Schießscharte Dargebotene für eine wichtige Weltanschauung hält.“

Tilvera: „Du vergisst den vorhandenen Intellekt.“

Ónytjungur: „Eben nicht. Denn Intellekt und Wir-Gefühl sind disjunkte Konzepte. Gemeinsam ist beiden, dass ihnen die Abwesenheit des jeweils anderen notwendig.“

Tilvera: „Demokratien werden erst durch Zusammenwirken von Wir-Gefühl und Intellekt möglich.“

HalbierterBaum
In wissenschaftsbasierten Informationsgesellschaften endet Arete spätestens bei einem überhängenden Ast

Ónytjungur: „Nun, das erklärte, aus welchem Grund es in der westlichen Zivilisation sogar nach mehr als zweitausend Jahren immer noch keine einzige Demokratie gibt.“

Tilvera: „Und um welche Gebilde handelte es sich dann deiner Ansicht nach?“

Ónytjungur: „Folge ich wieder dem Wissenschaftler, in diesem Falle dem Stagiriten, der den Begriff Demokratie einführte, dann ist mit dem Wort Demokratie die Herrschaft jener bezeichnet, die von Arete geleitet werden, also von Tapferkeit, Großzügigkeit, Freigebigkeit, Gerechtigkeit und Besonnenheit. Es dürfte auch dir bekannt sein, dass die Grenzen von Tapferkeit, Großzügigkeit, Freigebigkeit, Gerechtigkeit und Besonnenheit keineswegs Landesgrenzen und Grundstücksgrenzen sind und wirst mir sicherlich hier nicht erzählen wollen, dass unter jenen Gebilden, die du als Demokratien bezeichnest, sich auch nur ein einziges Exemplar befinde, welches sich auf den vom Stagiriten aufgezählten identifizierenden Merkmalen gründe und danach handle.“

Tilvera: „Das nicht, aber was sollten diese Gebilde dann sonst sein?“

Ónytjungur: „Es verhält sich auch hier so wie bei dem Satz von Einstein, und jenem, was die sogenannte wissenschaftsbasierte Informationsgesellschaft in Folge daraus formte. Hier nun ist das Resultat jenes, dass diese Gebilde sich nur deshalb zu gerne als Demokratie ausgeben, um nicht bekennen zu müssen, dass es sich um reine Diktaturen handle. Der Unterschied dieser Gebilde zu einem solchen, das als Diktatur angesehen, zeigt sich einem einzig in der Anzahl der darin agierenden Diktatoren.

Möglicherweise handelt es sich dabei um eine spezielle Form einer anthropologischen Konstanten, die bei wissenschaftsbasierten Informationsgesellschaften auftritt, und die dazu führt, dass der mit Intelligenz ausgestattete Mensch genauso gerne negativ konnotierte Wörter durch positiv konnotierte ersetzt, wie er sich positiv konnotierter Wörter bemächtigt, um durch diese die Wirklichkeit fortgesetzter Schäbigkeit kaschieren zu können. In der erstgenannten Richtung dürfte es wohl unschädlich sein, denn keiner stellte sich bei dem Wort Entsorgungspark etwas anderes vor als eine Mülldeponie. Geschieht solches aber in umgekehrter Richtung, wird es jedoch gefährlich, denn als Ergebnis wäre darüber erzwungen, dass vergessen wird, was mit dem Wort Demokratie  bezeichnet.“

Tilvera: „Das würde bedeuten, dass einer Diktatur nur Demokratie zu nennen brauche, da dies dazu führe, dass keinem mehr möglich sei zu erkennen, was Demokratie ist.“

Ónytjungur: „Dem Diktator ist seine Diktatur stets eine Herrschaft des Volkes.“

Tilvera: „Du vergisst das Wir-Gefühl.“

Ónytjungur: „Du meinst jenes Gebaren, welches darauf ausgerichtet ist, die Leute dazu zu konditionieren, dass sie einen unterstützen? Führt dies am Ende nicht zur Entstehung von so etwas wie einer gesellschaftlichen Gruppe, die das Stammesverhalten verstärkt, aber das Wissen verdummt?“

Tilvera: „Es gibt Schlimmeres.“

Ónytjungur: „Und aus welchem Grund heraus erinnert mich dieses  Argument an das Argument jenes Jungen, der darauf bestand, dass an ihm die Welt zu genesen habe, denn immerhin habe er den Klassenkameraden nur bestohlen, und ihn nicht auch noch verprügelt wie der andere?“

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