Wieder ist ein Jahr rum. Was heißt, dass die Strecke der persönlichen Vergangenheit etwas länger, und die Strecke der persönlichen Zukunft etwas kürzer geworden. Es düfte sich daher vermutlich um einen Irrtum handeln, nehme einer an, dass die Isländer aus diesem Grund heraus auch noch Feuerwerkskörper in großen Mengen in die Luft jagen, neben der traditionellen Sitte, im Chor an Freudenfeuern Lieder über Elfen und dem unsichtbaren Volk zu singen. Näher läge da die Antwort, dass die Organisation ICE-SARauf Ísland das ungeschriebene Monopol auf Feuerwerkskörper besitzt, und mit dem Erlös seine vielfältige Ausrüstung finanziert, um Leben zu retten. Es soll – so war zu hören – nach dem Bankencrash 2008 eine Person auf die Idee gekommen sein, ihren Lebensunterhalt damit zu bestreiten, indem sie konkurrierend zu ICE-SAR Feuerwerkskörper importierte und billiger verkaufte. Und dann diese Geschäftsidee erfolglos aufgegeben habe, da die Isländer lieber die teuren Feuerwerkskörper von ICE-SAR gekauft hätten. Offensichtlich ist das Lebensmotto „Geiz ist geil“ noch nicht bei allen Isländern angekommen.
So ist es nicht verwunderlich, dass zum Jahresende 2016 nicht irgendwelche Leute von RÚV zur Person des Jahres erklärt wurden, die aus irgendwelchen Gründen sich einen Namen gemacht hatten, und daher im abgelaufenen Jahr in die Schlagzeilen gerieten, sondern Namenlose. Also jene Menschen, die in den Gesprächsstoffen der von Schlagzeile zu Schlagzeile, von Aufgeregtheit zu Aufgeregtheit hechelnden wissenschaftsbasierten Informationsgesellschaft nicht für erwähnenswert gehalten, da nicht der Rede wert: das unsichtbare Volk, das in Rettungseinheiten tätig ist. Was die Frage nach sich ziehe, was jenes wohl sein mag, das solche Leute, die im abgelaufenen Jahr in die Schlagzeilen gerieten, mehr ausgezeichnet haben mag als solche, die das Jahr dafür nutzten, um zum Beispiel in der Ferne 1.107 Menschen das Leben zu retten.
Der Unterschied zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit besteht vermutlich darin, dass die Wahrnehmung im günstigsten Fall nur ein Segment der Wirklichkeit. Wie anders ließe sich sonst erklären, dass nun auf Island durch den Massentourismus immer mehr Touristen auch im Winter mit Mietwagen sich aus den komfortablen Bereichen der Städte hinauswagen, und ihrem Selbstverständnis gemäß davon ausgehen, dass gesperrte Straßen nur für Isländer gelten, nicht aber für Touristen. Was dazu führte, dass die ehrenamtlichen Retter von ICE-SAR immer häufiger nicht wegen Notfällen in den Sturm hinausfuhren, sondern um das Leben eines eingebildeten und ignoranten Trottels zu retten. Da es auf Island Sitte ist, von geretteten Menschen kein Geld ausgerechnet dafür zu verlangen, da deren Leben gerettet wurde, befreien die Rettungsmannschaften allerdings nur Menschen aus ihrer misslichen Lage, nicht jedoch deren fahrbaren Untersatz. Was unseres Erachtens eine sehr weise Entscheidung ist.
In diesem Sinne wünscht die Redaktion, dass das kommende Jahr 2017 nur solche Ereignisse bescheren möge, die geeignet sind, alle mit Freude zu erfüllen.
Island, so scheint es, ist voll von versteckten Dichtern.
Wenn sie nicht ihrem Hauptberuf nachgeht, versucht sich eine große Anzahl der 330.000 Einwohner zählenden Insel in Versen, auch Politiker, Geschäftsleute, Pferdezüchter und Wissenschaftler, welche die genetische Isolation der Insel in der Verfolgung medizinischer Durchbrüche studieren. Selbst David Oddsson, der 2002 Ministerpräsident war (als die isländischen Banken privatisiert wurden) und Zentralbankpräsident im Jahr 2008 (als die Banken zusammenbrachen), ist ein ausgebildeter Dichter .
Birgitta Jonsdottir, die Anführerin der anarchistisch ausgerichteten Piratenpartei, die sich bei der gegenwärtigen Parlamentswahl sehr gut bewährt hat, beschreibt sich ziemlich hochfliegend als „Poetikerin“. Ihr erstes veröffentlichtes Gedicht „Schwarze Rosen“ schrieb sie, als sie 14 Jahre alt war, und drehte sich um einen nuklearen Holocaust.
Kari Stefansson, einer der weltweit führenden Genetiker und Gründer von Decode Genetics, erinnerte sich an ein Gedicht, das er 1996 schrieb, wenige Monate nach der Geburt von Dolly, dem geklonten Schaf.
„Ich war ein wenig depressiv“, sagte Herr Stefansson in seinem Büro, das mit seinen Schlitzfenstern und Computerbildschirmen ein wenig wie das Innere eines Raumschiffs aussah. „Einer meiner Wege, damit umzugehen, war, ein kleines Gedicht zu schreiben“, sagte er, bevor er fortfuhr, es zu rezitieren:
Wo finde ich, verloren in der Helligkeit eines sonnigen Tages,
das Glück eines unglücklichen Menschen.
Günstig nur, eine Kopie von sich selbst zu sein.
Alles andere stinkt.
Poesie ist ein nationaler Zeitvertreib, nicht eine besonders „fachliche Tätigkeit“, sagte Sveinn Yngvi Egilsson, Professor für isländische Literatur an der Universität von Island. „Sie ist ein Teil des Seins eines Isländers“, sagte er. „Ja, es ist charmant, nicht wahr?“
In früheren Zeiten waren Verse ein integraler Bestandteil der gesellschaftlichen Zusammenkünfte und wurden oft improvisiert, sagte er. Dichterwettbewerbe fanden statt, wobei die Preise an die witzigsten und schärfsten Verse gingen. Die beliebteste Versform, sagte er, wird „ferskeytla“ genannt, vier gereimte Strophen, die in zwei Teile aufgeteilt werden können.
Isländer sind ungewöhnlich fruchtbare Leser und Schriftsteller, und Gedichtbände neigen dazu, sich gut in Island zu verkaufen. Poesie war den Zahlen der Nationalbibliothek zufolge die drittgrößte Kategorie von Büchern, die im Lande im Jahr 2014 veröffentlicht wurden, nach Fiktion und Kunst. In diesem Jahr wurden weit mehr Poesie-Bücher in Island veröffentlicht, als Bücher über Wirtschaft oder öffentliche Verwaltung. (Es gab anscheinend überhaupt kein Buch über Finanzwirtschaft.)
Das kalte ozeanische Klima und lange Winternächte können auch etwas damit zu tun haben. „Die Leute bekommen gewöhnlich Langeweile, und sie versuchen, sich gegenseitig bei Laune zu halten“, sagte Professor Egilsson. „Einer dieser Wege ist die Poesie.“
Ónytjungur: „Du warst lange Zeit unterwegs. Du weißt Neues zu berichten?“
Tilvera: „Nur über jenes, was Geschichte genannt, womit nicht Erzählung gemeint, sondern Entwicklung, im Sinne entstehender Gesellschaften. Sie suchen nun nach Veränderungen im Erleben und Verhalten, die zeitlich überdauern, und aufeinander aufbauen.“
Ónytjungur: „Wie? Ist ihnen noch nicht genug, was bisher angerichtet?“
Tilvera: „Es geht ihnen um die Anerkennung, Urinstinkte ausleben zu dürfen.“
Ónytjungur: „Als da sind?“
Tilvera: „Zum Beispiel die Angst. Diese habe über Jahrmillionen die Arterhaltung mitgesichert. Daher sei aufklären und Ungebildetheitanprangern die falsche Antwort. Entsteht Angst, würden die Urinstinkte geweckt, und diese seien brutal, und vertrügen sich nicht mit gebildetem Denken.“
Ónytjungur: „Interessant, Urinstinkte lehnen Information und öffentlichen Tadel ab. Richtet sich jenes, was da nun Urinstinkt genannt, nicht gegen die eigene Art, gegen Menschen? Sind die Opfer in deren Augen wieder einmal keine Menschen mehr, oder wird da nur Urinstinkt genannt, was kein Urinstinkt ist? Und was ist denken?“
Tilvera: „Eine berechtigte Frage. Es entstand aus dem mittelhochdeutschen Wort þanki.
Ónytjungur: „Aber þanki ist ein Ergebnis, und keine Tätigkeit. Wie kam es zu solchem Unsinn?“
Tilvera: „Ich weiß. þanki ist das Wort für jenes, was in einer anderen Sprach Idee genannt.“
Ónytjungur: „Wurde das Wort Idee nicht dem Griechischen entnommen?“
Tilvera: „Sie haben eine Rangordnung festgelegt, im Sinne von Sortierung mehrerer vergleichbarer Objekte zum Zwecke einer Bewertung, und in dieser steht Idee über Wirklichkeit.“
Ónytjungur: „þunk ist þank? Mir dünkt, ergo denk ich? Ist mit der Tätigkeit dünken nicht bezeichnet, dass da einem etwas so vorkomme, es ihm als oberscheine, anmute? Und beruhen nicht Ideen auf demselben? Wozu dann zwei Wörter für dasselbe? Ist doch, was mit denken bezeichnet, nichts anderes als dünken. War ihnen dünken nicht ausreichend, so dass sie aus dem Begriff þanki, also Idee, ein Tunwort erzeugen mussten?“
Tilvera: „Nun, vielleicht deckte das Wort dünken nicht ab, was denken abdecke.“
Ónytjungur: „Soso. Und was wird getan, wenn einer denkt, und nicht dünkt?“
Tilvera: „Ich denke, also bin ich.“
Ónytjungur: „Wäre das auch nicht schon erreicht, wenn mir etwas deuchte, also dünke?“
Tilvera: „Zweifellos. Dann wären aber bestimmte Aussagen nicht mehr möglich.“
Ónytjungur: „Als da wären?“
Tilvera: „Zum Beispiel: Was denkst du.“
Ónytjungur: „Und wozu fragst du nicht: Was überlegst du?“
Tilvera: „Oder: Ich habe ihm was zu denken gegeben.“
Ónytjungur: „Und wozu teilst du mir nicht mit: Ich habe ihm was zu überlegen gegeben?“
Tilvera: „Da wäre noch: was denkst du darüber.“
Ónytjungur: „Und wozu fragst du nicht: wie urteilst du darüber?“
Tilvera: „Es ginge auch nicht mehr die Feststellung: wer hätte das von dir gedacht.“
Ónytjungur: „Und wozu sagst du mir nicht: wer hätte das von dir geglaubt?“
Tilvera: „Es wäre auch die Mitteilung nicht mehr möglich: das war für ihn gedacht.“
Ónytjungur: „Und wozu teilst du mir nicht mit: das war für ihn bestimmt?“
Tilvera: „Ich könnte auch nicht mehr sagen: ich habe mir nichts Böses dabei gedacht.“
Ónytjungur: „Und wozu sagst du nicht: ich habe dabei nichts Böses beabsichtigt?“
Tilvera: „Ich könnte auch nicht mehr sagen: das habe ich mir gleich gedacht.“
Ónytjungur: „Und wozu sagst du nicht: das habe ich mir gleich vorgestellt?“
Tilvera: „Findest du nicht, dass du ein Wortklauber bist?“
Ónytjungur: „Ist das deine Antwort auf meine Frage nach dem wozu? Dann düfte das Tunwort denken wohl mehr bei einer fixen Idee anzusiedeln sein, und nicht bei Gedanke, also bei kredda, und nicht bei hugur. Soll ich deiner Ansicht nach langsam zu verstehen beginnen, aus welchem tieferen Grund es das Tunwort denken nicht in allen Sprachen gibt?“
Tilvera: „Nun, dieses Tunwort bezeichnet eine Zusammenfassung der Tätigkeiten überlegen, urteilen, erinnern, glauben, bestimmen, vorstellen, meinen und beabsichtigen.“
Ónytjungur: „Und was ist das Ergebnis, wenn ich Äpfel, Unterhosen, Schraubenzieher und Kartoffeln zusammenrühre? Apfelmus? Kartoffelbrei? Dann wäre wenigstens nachvollziehbar, dass im Ergebnis über dieses Wort nur eine diffuse Vorstellung herstellbar, da zum Einen völlig undeutlich, und zum Anderen eine erforderliche Abgrenzung unterschlagend.“
Tilvera: „Wie bereits festgestellt, du bist nichts anderes als ein Wortklauber. Das rein Geistige wird dir stets fremd sein, wenn du so weiter machst. Bist du dumm?“
Ónytjungur: „Das lässt sich wohl nicht vermeiden. Insbesonders dann, wenn mich einer dahingehend belehren möchte, dass ich mich vor einer Diktatur der Vernünftigen zu fürchten habe. Offensichtlich ist einem solchen unbekannt, was hierzulande unter dem Wort Vernunft verstanden wird. Aus diesem Grund ziehe ich dem rein Geistigen vor, auf Erfahrung beruhend, durch systematische Beobachtung zu einer vorläufigen Annahme zu kommen, diese dann zu untersuchen, um dann zu versuchen, ob ich das auf solche Art und Weise Aufgefundene mir selbst gegenüber erklären könne.“
Tilvera: „Und? Kannst du?“
Ónytjungur: „Kaum. Es zerrinnen mir die Wörter bei genauerer Inspektion wie Sand zwischen den Fingern. Und beschränke mich daher lieber auf die Wörter überlegen, urteilen, erinnern, glauben, bestimmen, vorstellen, meinen und beabsichtigen. Sind doch diese Tätigkeiten für mich nachvollziehbar.“
Tilvera: „Dann wird aus dir nie ein Denker.“
Ónytjungur: „Wer sagt, dass ich beabsichtige, ein solcher eines Tages zu werden? Mir genügte schon, würde ich eines Tages wenigstens einen geringen Teil von dem verstehen, was anderen begreiflich.“
Wie jedes Jahr wurde am 16. November, dem Geburtstag des Dichters Jónas Hallgrímsson, auf Ísland der Tag der Isländischen Sprache gefeiert, und der Kultusminister vergab den Jónas- Hallgrímsson-Preis für wichtige Beiträge zur isländischen Literatur.
Dieses Jahr wurde der isländischer Dichter und Übersetzer Sigurður Pálsson ausgezeichnet. In seiner Dankesredesprach Sigurður Pálsson über die Wichtigkeit von Sprachstudien:
„Jener, dessen Sprache nur wenige Menschen verstehen, ist in der attraktiven Position, gezwungen zu werden, eine andere Sprache zu lernen. Der Zwang ist sowohl süß als auch lohnend. Eine andere Sprache zu lernen bringt die Fähigkeit für eine vielfältigere Einstellung zur Vielfalt der Welt hervor, und arbeitet gegen jede Einförmigkeit. Dies ist von entscheidender Bedeutung. Einförmigkeit ist nicht nur widerwärtig und uninteressant – sie ist gefährlich. Sie kann zu Isolation, Angst und Hass führen. Durch das Lernen fremder Sprachen stellen wir uns in andere Fußstapfen, und können deren tieferen Sinn verstehen. Sprachstudien umfassen nicht nur ein neues Vokabular, sondern auch eine andere Denkweise, eine andere Erinnerungssammlung, eine andere Weltanschauung, einen anderen kulturellen Reichtum.„
Ónytjungur: „Elfar Logi Hannesson spielt heute. Kommst du?“
Tilvera: „Mich beschäftigt gerade noch eine wichtige Frage. Gesetzt den Fall, ein Selbst, das synonym zu personellerIdentität behandelt, ist nur zeitlich begrenzt, und keineswegs gleichbleibend, dann müsste es doch zu einem bestimmten Zeitpunkt für eine gewisse Dauer wenigstens einmal zwei identische Selbst geben, bzw. gegeben haben, oder einmal geben, also nicht den körperlichen, sondern den geistigen Klon.“
Ónytjungur: „Da war wohl der Wunsch der Vater des Gedanken. Ist es nicht auffällig, dass jene, die allzu großzügig mit Fremdwörtern um sich werfen, als gäbe es keine analoge Entsprechung für das Wort in deren Muttersprache, auch jene sind, welche jedem konkreten Individuum dessen Selbst absprechen, ohne auch nur die geringste Ahnung davon zu haben, was dessen Selbst ist?“
Tilvera: „Wo ein Wille, da ein Weg.“
Ónytjungur: „Soso, es mangelt bei mir folglich an erforderlichem Willen. Ich will also nicht. Und ich befürchtete schon, ich sei unfähig geworden, etwas zu verstehen. Allerdings ist aber auch hinlänglich bekannt, dass stets dann, wenn einer sich auf den Weg macht, Kluges von sich zu geben, da vom Verlangen nach Bestätigung oder Ablehnung heimgesucht, er gut damit beraten ist, wenn er hierzu Hauptwörter zu gebräuchlichen und allgemein bekannten Wörtern erschaffe, die an sich – sollte ich mich in diesem Punkt nicht irren – eigentlich Tätigkeiten und Eigenschaften bezeichnen. Da lobe ich mir doch eine gute Erzählung, wo jedes Wort passt, noch dazu, wenn diese von einem Könner seines Fachs vorgetragen. Also, kommst du nun mit, oder nicht?“
Tilvera: „Du meintest gängige Verben und Adjektive.“
Ónytjungur: „Ich meine gebräuchliche Tätigkeitswörter und Eigenschaftswörter.“
Tilvera: „Was dasselbe ist.“
Ónytjungur: „Und wozu dann der Umweg?“
Tilvera: „Wie käme sonst zum Ausdruck, dass es sich bei mir um einen Gebildeten handelt, der da mit dir spricht, also einem Gegensatz zu einem primitiven Subjekt.“
Ónytjungur: „Du bist der Ansicht, wenn du Umwege zu gehen gelernt hast, und mir dies nicht laufend kundtun würdest, würde ich dich für ein primitives Subjekt halten?“
Tilvera: „So ist die Welt gestrickt.“
Ónytjungur: „Wie kommt es dann, dass die Leute dort unten, sogar auf der gesamten Insel, ohne Fremdwort und Lehnwort reden, und es diesen dennoch an nichts mangelt? Im Gegenteil, diese sich sogar höchst verständlich und vielfältig auszudrücken wissen, wie deren umfangreiche Literatur belegt. Gehören diese Leute nicht zu dieser Welt, sind diese vielleicht anders gestrickt?“
Tilvera: „Des Menschen Wille ist sein Himmelreich.“
Ónytjungur: „Etwas viel Wille für einen Tag, findest du nicht? Was ist eigentlich dieser Wille?“
Tilvera: „Das Wort wurde aus der Tätigkeit wollen destilliert.“
Ónytjungur: „Mal sehen, was da herabtropfte. Würdest du sagen, dass stets dann, wenn du etwas willst, dies nur möglich ist, wenn du was beabsichtigst?
Tilvera: „Jedem Wollen geht eine Absicht voraus .“
Ónytjungur: „Schön, schön. Und ist es nicht notwendig, dass zuerst etwas entschieden werden müsse, bevor es beabsichtigt werden kann, was dann dazu führt, dass etwas gewollt wird?“
Tilvera: „Ich kenne es nicht anders. Allerdings muss ich eingestehen, dass ich vorher abwäge, bevor ich mich entscheide.“
Ónytjungur: „Setzt abwägen nicht voraus, dass erst wählen möglich sein muss, denn gäbe es nichts zu wählen, was wäre dann abzuwägen?“
Tilvera: „Nichts.“
Ónytjungur: „Wie steht es mit den hierfür verfügbaren Angeboten? Hast du diese auch zu vertreten?“
Tilvera: „Wie meinen?“
Ónytjungur: „Nun, es müsse in diesem Fall zwar mehr als ein Angebot vorhanden sein, denn sonst wäre ja abwägen überflüssig, jedoch ist damit erstens noch nicht gesagt, ob du alle möglichen Angebote kennst, und zweitens noch nicht gesagt, welche Angebote dir gar nicht zur Verfügung stehen, obschon es sie gebe, allerdings nicht für dich, aus welchen Gründen auch immer das sein mag. Wenn es aber nun weitere Angebote gebe, allerdings nicht für dich, wie kannst du dann sagen, du hättest abgewogen, dich daraufhin entschieden, würdest daraufhin etwas beabsichtigen, und posaunst mir dann die Ohren voll, dass du es willst.“
Tilvera: „Nun, ich habe mich dazu entschieden, oder etwa nicht?“
Ónytjungur: „Und das Ergebnis nennst du dann Wille?“
Tilvera: „Wie sollte ich es sonst nennen?“
Ónytjungur: „Nun, dass du etwas willst, weil du etwas beabsichtigst, was auf Grundlage einer Abwägung entstanden, was bedeutet, dass du dieses verfügbare Angebot gegen die anderen auch noch verfügbaren Angebote für dich ab wägtest, und dich für dieses Angebot entschieden hattest, aus welchen Gründen auch immer.“
Tilvera: „Ist das nicht etwas langatmig?“
Ónytjungur: „Mag sein. Aber es wäre wenigstens verhindert, dass sich die Leute den Kopf darüber zerbrechen, und ganze Bibliotheken damit füllen, indem sie darüber sich ergießen, ob es nun einen freien Willen gebe oder nicht.“
Tilvera: „Er muss frei sein, denn keiner hat mir vorgeschrieben, wie ich mich entscheiden solle.“
Ónytjungur: „Soso. Und wie steht es damit, dass für dich dabei gar nicht alle verfügbaren Angebote verfügbar waren, aus welchen Gründen auch immer? Und wie kamen jene Dinge zustande, anhand derer du ab wägtest, also Maß nahmst, welches Maß das auch immer gewesen sein mag? Denn wolltest du von einem freien Willen sprechen, müssten da nicht auch die für dich nicht verfügbaren Angebote von dir gewollt worden sein, dass diese nicht verfügbar für dich sind? Wie steht es zudem mit jenen Dingen, anhand derer du Maß nahmst, und die dabei verwendete Maßeinheit, die dazu führte, dass du jenes Angebot verwarfst, und das andere erwähltest?“
Tilvera: „Du glaubst, du wirst verständlicher, indem du noch langatmiger wirst?“
Ónytjungur: „War es dir nun zu ausführlich, zu umfassend, oder zu weitschweifig?“
Tilvera: „Mehr im Sinne von zu wortreich.“
Ónytjungur: „Keineswegs so wortreich wie jene, die aus einer Tätigkeit ein Ding destillieren, das kein Ding ist, und dann Bibliotheken damit füllen, da es dieses nun gäbe, was für ein Ding es denn sein könne, wenn es denn ein Ding wäre, und was nicht.“
Tilvera: „Es ist Ausdruck vorhandener Bildung, Dinge bilden zu können, sie sozusagen zu erschaffen.“
Ónytjungur: „Wenn das so ist, dass die Tätigkeit, aus Tätigkeiten und Eigenschaften, die in Gebrauch sind, Hauptwörter zu destillieren, also Dinge herabtropfen zu lassen, Ausdruck vorhandener Bildung ist, dann verstehe ich auch, dass es sich bei mir so verhält, dass diese Wörter bei mir immer wieder die bestmöglichen Gedanken verhindern, sobald ich nur dahingehende Ansätze mache, diese zu ordnen, zu gestalten, sie einzurichten und aufzubauen. Ist es nicht so, dass für alle Bezeichner charakteristisch sei, dass x nicht x wäre, wenn es nicht auf die Weise z erschiene? Wie erscheint nun Wille? Kann es sein, dass Tröll anders gestrickt sind?“
Tilvera: „Ich kann nicht für alle Tröll reden, denn ich bin nicht diese. Woher soll ich es dann wissen?“
Ónytjungur: „Du hast recht. Ich habe nicht bedacht, dass im Augenblick der falsche Zeitpunkt und du die falsche Person sein könntest. So werde ich wohl weiterhin auf den Zufall warten müssen, bis mir dieser genau jenen Tröll zu genau jenem Zeitpunkt über den Weg laufen lässt, an dem dessen Selbst für eine gewisse Dauer ein Klon des meinigen geworden ist, oder meines das seinige. Die Frage ist nur noch, ob ich es dann bemerken würde. Und woran.“
Tilvera: „Und warum erinnern mich deine Worte im Augenblick an jene Begebenheit, als ein Bursche von der Lehrerin gefragt wurde, was dabei herauskomme, wenn die Zahl 2 zu der Zahl 2 addiert werde.“
Ónytjungur: „Sag es mir.“
Tilvera: „Nun, der Bursche antwortete damals der Lehrerin, dass sein Vater ein stadtbekannter Säufer sei, seine Schwester eine Prostituierte, sein Bruder ihn ständig grün und blau schlage, und seine Mutter das Haushaltsgeld tagein, tagaus im Spielcasino verspiele, und meinte dann abschließend zur Lehrerin, …“
Ónytjungur: „… Ihre Probleme möchte ich einmal haben. Ich kenne die Antwort. Willst du nun mitkommen, oder nicht?“
Tilvera: „Da gibt es für mich nichts abzuwägen, es fällt mir daher leicht, mich zu entscheiden. Selbstverständlich bin ich dabei. Ich wäre ein Dummkopf, ließe ich mir die Gelegenheit entgehen, mir etwas erfahren zu können. Zudem muss ich mich nun etwas von breitbeinigen Hauptwörtern erholen.“
Ónytjungur: „Siehst Du dort diesen SUV, der gerade derart stümperhaft in die Furt einfährt, dass ihn die Leute von ICE-SAR wieder herausziehen werden müssen? Was würdest du mir antworten, wenn ich dir sage, der Motor sei der Fahrer, und der Fahrer nur ein Trugbild deiner Phantasie?“
Tilvera: „Dass du, nachdem du so alt geworden bist, wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank hast, oder gestern Abend bei dem Live-Konzert im Enski Barinn etwas zu oft die Nase in die Gläser der Gäste gesteckt haben musst, die mit Guinness gefüllt. Sonst würdest du dich noch daran erinnern, dass der Motor nur das Werkzeug ist, dessen sich der Fahrer bedient, der Fahrer hingegen nur dies tun kann, was ihm der Motor erlaubt. Oder hast du schon einen Motor gesehen, der von sich aus fährt, oder einen Autofahrer, der mit seinem Auto taucht oder fliegt?“
Ónytjungur: „Nur dort, wo der Fahrer in der Kurve zu schnell unterwegs, oder der Wasserstand des Flusses zu hoch. Das war dann in aller Regel auch das Ende einer solchen spezifischen Fahrgemeinschaft. Nehme ich nun das Auto als Referenzgegenstand, so bewegen sich beide, wie du mir wohl eingestehen wirst, sowohl der Fahrer, als auch der Motor. Auch scheinst du mir vertraut zu sein mit dem Prinzip der Erklärungsebene.“
Tilvera: „Kann es sein, dass du gestern Abend deine Nase auch noch in eine Flasche Svarti dauðigesteckt hast?“
Ónytjungur: „Keineswegs. Zumindest erinnere ich mich nicht mehr daran. Können wir beide uns darauf einigen, dass es sowohl das Teil wie auch das Ganze gibt?“
Tilvera: „Es waren wohl auch noch härtere Sachen dabei, wie käme sonst eine solche dumme Frage zustande. Jedes Kind da unten in der Dorfschule weiß, dass Teil und Ganzes sich einander bedingen.“
Ónytjungur: „Schön. Wie steht es mit den Begriffen Ursache und Eigenschaft? Bezogen sowohl auf das Auto dort als Ganzes, wie auch auf dessen Teile, also dem Fahrer und dem Motor.“
Tilvera: „Da werde ich wohl nicht darum herumkommen, das Teil vom Ganzen getrennt betrachten zu müssen, wie auch das Ganze getrennt von dessen Teilen.“
Ónytjungur: „Wie kommst du auf eine derart seltsame Idee, solch ein Vorgehen zu wählen?“
Tilvera: „Da das Ergebnis, so es ein logisches sein solle, und kein ideologisches, einzig und allein davon abhängt, was ich betrachte, also das Ganze, oder das Teil. Betrachte ich das Ganze, so ist der Fahrer eine Eigenschaft des Autos, welche dem Auto erst ermöglicht, sich zu bewegen, betrachte ich das Teil, so ist der Fahrer jedoch die Ursache, die dazu führt, dass sich das Auto bewegt. Was ist nun der Fahrer, Eigenschaft oder Ursache?“
Ónytjungur: „Ich sehe, du bist mit dem Prinzip der Erklärungsebenen durchaus vertraut, wie auch mit der damit vorhandenen Logik. Allerdings wirst du wohl einräumen, dass da etwas widersprüchlich sein muss, denn es ist ein Unding, dass ein und dasselbe sowohl Eigenschaft als auch Ursache sein kann.“
Tilvera: „Das hängt davon ab, was du unter dem Wort Wissen verstehst, und was nicht.“
Ónytjungur: „Stecktest du deine Nase gestern Abend auch in die besagten Gläser?“
Tilvera: „Keineswegs. Denn du kannst die Wirklichkeit als Wissen bezeichnen, also jenes, was ist. Du kannst aber auch die Wahrnehmung als Wissen bezeichnen, also jenes, was wird. Alles nur eine Frage der Terminologie. Und der angewandten Methode.“
Ónytjungur: „Kann es sein, dass bei dir gestern Abend zufällig auch eine Flasche Svarti dauði deinen Weg kreuzte?“
Tilvera: „Weil ich empirisch und naturwissenschaftlich vorgehe, und nicht idealistisch? Muss ich bei dir nun erst Platoniker werden, oder Neuplatoniker, fahrender Scholast, oder gar Philosoph?“
Ónytjungur: „Nun wirst du aber unvernünftig.“
Tilvera: „Bleib mir mit dem Wort Vernunft vom Leib. Es gibt wohl wenig Wörter, die mit einem solchen Umfang sich widersprechender oder undeutlicher Beschreibungen daherkommen. Ist es nicht seltsam, dass je undeutlicher eine Beschreibung, desto umfangreicher deren Gebrauch?“
Ónytjungur: „Nun, es dient der Erarbeitung dessen, was mit dem Wort gemeint, und was nicht.“
Tilvera: „Wohl eher zum Zwecke, anderen vorhandene Unvernunft zu unterstellen. Oder willst du etwa behaupten, es wäre Ausdruck von Vernunft gewesen, als Menschen damals im Land der Biodeutschen dennoch einen Mitbürger jüdischen Glaubens heirateten, oder bei ihm einkauften, ihn gar verstecken? Es war nicht die Vernunft, die solche zu solchem Tun veranlasste, auch nicht die Moral, und schon gar nicht ein Gesetz, erst recht nicht eine Erziehung oder eine Ideologie.“
Ónytjungur: „Sondern?“
Tilvera: „Deren Selbst, über welches seit jeher jedes konkrete Individuum verfügte bis zu dessen Tod, in diesem Augenblick verfügt, so es denn lebe, und über ein solches auch in Zukunft jedes konkrete Individuum verfügen wird. Und kein einziges davon ist einem anderen gleich.“
Ónytjungur: „Soso. Und was ist dieses Selbst?“
Tilvera: „Das kann nur der jeweilige Eigentümer selbst herausfinden.“
Ónytjungur: „Und worauf begründet sich dann deine Behauptung, es gäbe so etwas?“
Tilvera: „Verhält es sich bei dir nicht so, dass es dein Selbst ist, mit dem du dein Ich identifizierst? Oder ist es etwa das eines Anderen? Und verhält es sich bei dir nicht so, dass du zwischen deinem Körper und deinem Ich unterscheidest? Und hat dieses dein Selbst eine Länge, eine Breite, eine Tiefe? Und falls nicht, hat es dann nicht andere Eigenschaften als dein Körper?“
Ónytjungur: „Bei dir waren wohl gestern Abend auch noch härtere Sachen dabei, als es ein Svarti dauði sein kann. Zu deiner Beruhigung, bei mir verhält es sich so, dass mein Selbst bei meinen Nachforschungen immer dasselbe war, sooft ich auch danach forschte, es folglich bereits mein ganzes Leben lang unverändert bis jetzt existierte. Oder glaubst du etwa, ich wäre durch dein Geschwätz du geworden?“
Tilvera: „Das fehlte mir noch. Als wäre mein Unglück nicht bereits ohne dich schon groß genug. Könnte es demnach sein, dass auch das Gedachte nicht gedacht sein kann wie auch das Allgemeine nicht allgemein sein kann, ohne es zuerst vom Raum oder aus materiellen Eigenschaften zu abstrahieren? „
Ónytjungur: „Die Eigenschaften physikalischer Phänomene, also räumliche und zeitliche, sind bestimmten physikalischen Gesetzen untergeordnet, das kann dir jeder Physiker dort unten in der Dorfschule erklären, solltest du dahingehend noch Nachhilfe nötig haben. Und das bei deinem Alter!“
Tilvera: „Wie kommt es dann, dass du dir einbildest, du hättest ein Selbst, das ja – da du mir diesbezüglich nicht widersprachst – weder eine Länge, eine Breite, noch eine Tiefe hat?“
Ónytjungur: „Was hältst du davon, wenn wir beide uns heute Abend ausnahmsweise mal im Cafe Hresso treffen, und ein alkoholfreies Malt zischen?“
Tilvera: „Du nennst dich Taugenichts, wirst auch so gerufen. Wie kommt es?“
Ónytjungur: „Da musst du jene fragen, die mich so nennen, und jenen, der mir diesen Namen gab.“
Tilvera: „Und aus welchem Grund nennst du dich selbst so?“
Ónytjungur: „Weil ich weiß, dass ich das Ziel immer noch nicht erreicht habe, das ich hätte erreichen können.“
Tilvera: „Und was ist dieses Ziel?“
Ónytjungur: „Das ist der zweite Grund. Ich kenne es nicht. Wozu fragst du?“
Tilvera: „Weil ich nicht verstehe, wozu sich Menschen nicht mit jenem beschäftigen, was geschrieben steht, Satz für Satz, Beschreibung nach Beschreibung, sondern sich nur interessieren, wer geschrieben habe.“
Ónytjungur: „Du nennst dich Sein, wirst auch so gerufen. Wie kommt es?“
Tilvera: „Weil es die einzige Wahrheit ist, die ich kenne, und diese heißt ich bin. Jeder andere Name wäre …“
Ónytjungur: „… kein identifizierendes Merkmal?“
Tilvera: „Wie auch. Wäre ein Name ein identifizierendes Merkmal, so bräuchten die Menschen hier nicht das zweibeinige Lexikon der isländischen Musikgeschichte, Jóhannes, im 12 Tónar im Skólavörðustíg aufsuchen, und ihm die Personen Rúnar und Ragnar in allen Einzelheiten zu beschreiben, um diese nach dreißig Jahren unter der unüberschaubaren Anzahl der Rúnars und Ragnars zu finden. Selbst Jóhannes kann sie nicht anhand derer Namen identifizieren, sondern erst über deren Musik, den Titeln ihrer Lieder, und ihrer Kompositionen.“
Ónytjungur: „So ist es. Und aus welchem Grund redest du nun über Namen, und nicht über Inhalte?“
Tilvera: „Ein Kerl, im Wahn, er sei ein investigativer Journalist, hat sich der Mühe unterzogen, dem Pseudonym einer Autorin nachzuspüren, um selbst endlich einmal berühmt zu werden.“
Ónytjungur: „Offensichtlich ist er zu sinnvoller Tätigkeit völlig untauglich, und hatte daher keine andere Wahl. Was kein Problem sein muss, denn es wird sich niemand dafür interessieren.“
Tilvera: „Dort kümmern sich die Leser mehr darum, wer da spricht, als darum, was einer spricht, und wie einer spricht.“
Ónytjungur: „Da haben sich wohl Ignorant und Dummköpfe getroffen, und sich gegenseitig bestätigt. Was kein Wunder ist, denn eine deren Lieblingsbeschäftigungen war, so hatte ich bei meinen Reisen festzustellen, hinter einem Vorhang stehend andere Leute auszuspähen, um dann über das auf solche Art und Weise Erfahrene sich das Maul zerreißen zu können. Und sie finden dafür an allen Ecken und Enden bereitwilliges Gehör.““
Tilvera: „Sie sagen, sich selbst einen Namen zu geben, sei Ausdruck von Arroganz.“
Ónytjungur: „Sich selbst keinen Namen zu geben, obwohl ein Verlangen danach, ist Ausdruck unverständlicher Hilflosigkeit. Was spräche dagegen?“
Tilvera: „Die Mutmaßung anderer, da wolle einer nicht zu jenem stehen, was er schreibe, oder irgendein anderer Unfug, der solchen dann unterstellt werde.“
Ónytjungur: „Stünde ein solcher nicht zu jenem, was er schreibe, so schriebe er es doch auch nicht. Welche Vorstellungen treiben diese Leute um? Sie schließen doch damit nur unzulässig von sich auf andere, und haben nicht die geringste Ahnung, was einen dazu treibe, sich der qualvollen Mühe zu unterziehen, dem Zwang zu folgen, und Wort für Wort zu finden, Satz für Satz zu formen, und sich damit unweigerlich dem Gespött, oder der Ignoranz, oder der Lobhudelei anderer auszusetzen.“
Tilvera: „Sie sagen, die sicherste Methode, kein Interesse auf die eigene Person zu ziehen, sei gerade der Verzicht auf ein Pseudonym.“
Ónytjungur: „Die sicherste Methode, kein Interesse auf die eigene Person zu ziehen, so scheint mir, ist dort nur darüber erreichbar, etwas Brauchbares zu veröffentlichen.“
Tilvera: „Dichtung und Erzählkunst stehen dort nicht hoch im Kurs.“
Ónytjungur:„Dann stimmt folglich, was die Dichter von diesen zu erzählen wissen.“
Tilvera: „Als da wäre?“
Ónytjungur:„Dass diese nur an der Verbreitung und Veröffentlichung von Meinungen interessiert.“
Tilvera: „Und welche Worte fand der Dichter für eine exakte Beschreibung dessen, was da ist?“
„Konsumartikel Vergnügen
hurt mit der Bürgerlangeweile
Lude Reibach lacht sich eins
ins Fetischlein: gefressen wird,
was Konten schmiert – Gewohnheit
kühlt das letzte kleine Mütchen
unerwünschter Ausbruchsträume …
In stinkender Behaglichkeit verfaulen Phantasie und Geist, nur die Moral wird breit und feist in der Grabesstille der Zufriedenheit.
Tilvera: „Und was unterscheidet diese signifikant von Dichtern?“
Ónytjungur: „Hast du nicht „Die Hände buhlen um meine Gunst“ gelesen?
Tilvera: „Erinnerst du dich noch an jenen Mann, damals nach Weihnacht, der mit zwei prallvoll gefüllten Plastiktaschen in das Restaurant am BSÍ kam, sich einen Kaffee holte, und wir beide vermutet hatten, er ruhe sich vom Rummel im Supermarkt aus? Die Plastiktaschen waren jedoch prall gefüllt mit den neuesten Büchern, welche die Bókaflóðvor die Augen der Menschen trieb. Der Mann nahm Buch für Buch aus den zwei großen Plastiktaschen heraus, öffnete jedes Buch an jener Stelle, die mit einem Lesezeichen markiert, warf einen kurzen Blick auf den noch nicht gehobenen Schatz eines Gedichts oder einer Erzählung, und legte dann das Buch, an dieser Seite geöffnet, vor sich auf den großen Tisch, und wiederholte diesen Vorgang solange, bis der ganze Tisch von aufgeschlagenen Büchern mit einer Tischdecke voller Überraschungen bedeckt. Und dann las er, Stunde um Stunde, vergaß dabei nicht, sich Kaffee bei Bedarf nachzuschenken, da es gute Sitte und alter Brauch, dass stets dann, wenn einer eine Tasse Kaffee bezahle, er nachschenken dürfe, so ihm dies zusagt, und dafür nicht nochmal bezahlen müsse. Mir ergeht es im Augenblick wie jenem Mann, vor mir liegen auch noch einige unentdeckte Schätze. Kannst du das Gedicht daher für mich rezitieren?“
„Fleißig zieht die Rechte
Tintenbahnen über’s Blatt:
hüpft unterwürfig dienstbereit,
meinen Gedanken Form zu geben;
derweil die Linke ruht & katzenartig eingerollt den Augenblick erschnurrt, meinem Mund den Wein zu reichen.“
Tilvera: „Das ist es, warum die Bókaflóð hier alljährlich von allen sehnsüchtig erwartet wird. Sie schätzen die Kunst, Gedanken Formen geben zu können. Und dort?“
Ónytjungur: „Der dort durch Mehrheit bestimmte Zustand einer Gesellschaft lässt sich an jenem Geisteszustand messen, der durch tägliche Einschaltquoten dokumentiert.“
Tilvera: „Sie schätzen dort solche Geschichten, in welchen heuchlerische Zyniker erbärmlichen Charakteren eingebildete Naivlinge präsentieren, da zum Einen ein ungeheurer Bedarf danach vorhanden, und zum Anderen sonst die Rechte der Aufklärung auf freie Meinungsäußerung, auf Pressefreiheit, und auf bedarfsgerechte Grundversorgung verletzt.“
Ónytjungur: „Dann haben sie nichts anderes verdient.“
Tilvera: „Was haben sie verdient?“
Ónytjungur
„Die Gaffer bilden eine Gasse unter dem Hochseil, um bei meinem Aufschlag nicht von herumspritzendem Hirn bekleckert zu werden; stehen aber nahe genug, möglichst deutlich das
KLATSCH
zu hören – während ich, konzentriert balancierend, zufrieden errechne, dass ich mit einigem Schwung bei parabolischer Flugbahn weit genug käme, um wenigstens einige ihrer frisch geputzten Schuhe zu besudeln.“
Tilvera: „In der Tat. Erst das Werk ist ein identifizierendes Merkmal. Wozu waren dann die Leute so erpicht auf den Namen der Autorin?“
Ónytjungur: „Um endlich einen unbeschrifteten Stempel zu haben, auf dem jeder nach Gusto seine eigene Beschriftung über die Autorin anbringen kann, die mit einer exakten Beschreibung nicht das Geringste zu tun hat. Wer in Schubladen denkt, hat keine Ahnung vom Schrank. Sie nennen es Intelligenz. „
Tilvera: „Und? Hat Jóhannes auf Grundlage deiner Beschreibung Rúnar und Ragnar gefunden?“
Ónytjungur: „Ich bin es gewohnt, nur das Wesentliche zu beschreiben, den Inhalt. Es war ihm daher ein Leichtes.“
Die zitierten Gedichte: „Balanceakt“,Songs, Lyrik & Aphorismen, Werner Friebel Direktbestellung bei media4ways
Klerkur: „Es ist Menschenrecht, dass der Mensch Anspruch auf das Ornat anderer erhebe, also auf die Art und Weise, wie solche sich schmücken dürfen, und welche Art und Weise zu untersagen sei.“
Ónytjungur: „Das ist unübersehbar. Es war davon zu hören, dass das Management einer international agierenden Bank sogar eine E-Mail an ihre Mitarbeiter versandte, in welchem sie ihren Mitarbeitern erlaubte, ab 37 Grad im Schatten kurzärmliche Hemden tragen zu dürfen, und darauf hinwiesen, dass diese Temperatur noch nicht dazu berechtige, die Krawatte abzunehmen.“
Klerkur: „Der Unterdrückung der Frauen durch Männer ist ein Ende zu setzen.“
Ónytjungur: „Fürwahr, eine absolutistische Weltanschauung, und auch noch so widersprüchlich.“
Klerkur: „In der Tat.“
Ónytjungur: „Ich meinte Ihr Anliegen, und nicht jenes, was Sie vorschützen.“
Klerkur: „Wie? Begründen göttliche Gebote etwa keine absolutistische Weltanschauung?“
Ónytjungur: „Das Dumme ist, dass es gar keine derartigen göttlichen Gebote gibt, in keiner Religion der Welt. Eine solche Religion ist gerade erst im Werden, wie Ihre Worte mir im Augenblick eindeutig belegen. Neu jedoch ist für mich, dass Sie davon ausgehen, Gott zu sein. Hat die neue Religion einen Namen? New-Dresscode-Age vielleicht?“
Klerkur: „Ich trete für die Menschenrechte ein, für die Gleichstellung von Mann und Frau!“
Ónytjungur: „Ein höchst ehrenwertes Anliegen, fürwahr. Aber teilten Sie mir nicht gerade mit, Sie wollten der freien Entscheidung eines Individuums ein für allemal ein Ende setzen, da diese in Ihren Augen eine Relativierung sei?“
Ónytjungur: „Sie wollen mir erzählen, der Forderung nach Gleichstellung von Mann und Frau wäre Genüge damit getan, wenn sich die Menschen in der Öffentlichkeit an jene Regeln des Staates halten, die dieser festgelegt habe, während die Menschen im privaten Leben weitestgehend tun dürfen, was sie möchten? Wozu sollte dann Ihr neuer Gottesstaat notwendig sein? Denn wenn ich richtig informiert bin, ist dies doch längst Realität, und dies in allen Nationen der Welt.“
Klerkur: „Es ist ein Grundwert, im wahrsten Sinne des Wortes, und er ist so viel wert, dass er für die Gesellschaft nicht verhandelbar ist.“
Ónytjungur: „Nun, wenn eine Gesellschaft verlangt, dass einlogischer Widerspruch hinzunehmen und abzusegnen sei, darüber auch nicht verhandelt werden dürfe, dann begründen Sie nicht nur eine neueReligion, Sie begründeten darüber hinaus sogar auch noch eine neue Philosophie.“
Klerkur: „Wer sich nicht daran hält, und in der Öffentlichkeit mit verbotenem Ornat unterwegs ist, muss drastisch bestraft werden. Er kann ja das Land verlassen, wenn es ihm nicht passt.“
Ónytjungur: „In der Tat, eine neue Philosophie. Ich hoffe doch, die neuen Missionare dieser so genannten wissenschaftsbasierten Informationsgesellschaft berufen sich dabei nicht ausgerechnet auf eine so genannte abendländische Kultur.“
Klerkur: „Es ist abendländische Kultur!“
Ónytjungur: „Da ist mir aber etwas ganz anderes zu Ohren gekommen. Jener Information zufolge hat der Verkehr der Staaten untereinander naturgemäß eine Berührung und Mischung verschiedenartiger Lebensanschauungen zur Folge, die zu Streben nach Neuerung auf beiden Seiten führt. Und es würde in den Augen der übrigen Welt als ein starker Mangel an Bildung des Verstandes und Herzens erscheinen, wo sich der vielberufenen, verhassten Fremdenaustreibung schuldig gemacht werde, und einer Sinnesart gehuldigt werden will, die den Eindruck der Anmaßung und Unverträglichkeit macht.“
Klerkur: „Und Sie fallen auf solche Ansichten eines Trottels herein?“
Ónytjungur: „Wozu sollte ich nicht? Der, den Sie gerade Trottel genannt, hieß Platon.