Seifenblase

(c) Zen&Senf

Die Trolle Viturmaður und Barn saßen östlich von Sveinstindur auf einem Stein, und warfen kleine Kieselsteine in den Langisjór.

Barn: „Ich muss dir erzählen, was ich heute gesehen habe, unten in Kirkjubæjarklaustur. Ein Kind vermischte in einem Glas Seife mit Wasser, nahm einen Strohhalm und pustete in die entstandene Seifenlauge.“

Viturmaður: „Es entstanden Seifenblasen.“

Barn: „Jede Seifenblase grenzte sich von der anderen durch eine dünne Haut aus Wasser ab. Es gab unterschiedlich große und kleine Seifenblasen. Auch waren alle nicht gleich rund, aber irgendwie schon ähnlich. Gelegentlich löste sich die trennende dünne Haut zwischen zwei Seifenblasen auf, und es entstand eine einzige, größere Seifenblase. Auch entstanden aus Seifenblasen wieder neue Seifenblasen.“

Viturmaður: „Kenne ich.“

Barn: „Schon nach kurzer Zeit erkannten die Seifenblasen, und die eine oder andere Seifenblase begann über wichtige Dinge nachzudenken, ihre Gedanken und Erkenntnisse anderen mitzuteilen. Das Glas füllte sich mit abertausenden Informationen, was zum Beispiel zu tun wäre, damit die aus Wasser bestehende dünne Haut einer Seifenblase schöner werden würde, wie man verhindern könnte, dass man vor der Zeit platzt, oder dass aus zwei Seifenblasen eine Seifenblase wird, oder dass aus einer Seifenblase mehrere Seifenblasen entstehen. Andere Seifenblasen zerbrachen sich den Kopf darüber, ob es gut oder schlecht sei, wenn aus zwei Seifenblasen eine Seifenblase wird, bzw. dass aus einer Seifenblase weitere Seifenblasen entstehen. Andere, ebenso vernunftbegabte Seifenblasen beschäftigten sich mit dem Problem, dass sie ihrer Ansicht nach nicht genug Platz hätten, vereinigten sich mit anderen Seifenblasen, stemmten sich mit vereinten Kräften gegen jene Seifenblasen, die ihnen den Platz streitig zu machen schienen, machte jemand nicht mit, oder sah es danach aus, als würde er nicht mitziehen, so zerdrückten sie ihn und teilten seine dünne Haut unter sich auf.

Viturmaður: „Das ist üblich.“

Barn: „Intelligente Seifenblasen kamen überein, dass man eine Grundlage benötige, um zu verstehen, was hier vor sich gehe. Sie teilten das Wahrnehmbare in Einheiten, bestimmten ein Davor und Danach, sie entwickelten Systeme und Logiken, die vergleichende Aussagen erlaubten.“

Viturmaður: „Sehr klug.“

Barn: „Manche Seifenblasen waren gelähmt vor Angst, da sie befürchteten, sie würden nicht groß werden wie die anderen, große Seifenblasen hatten wiederum Angst, sie würden kleiner werden, und versuchten, dies mit allen Mitteln zu verhindern. Hier und dort war eine Seifenblase traurig über ihre Situation, manche zerstörte sich deswegen sogar selber. Andere Seifenblasen waren der Ansicht, sie kämen zu kurz, sie bekämen nicht, was ihnen zustehen würde, beklagten sich lauthals darüber, schmollten, oder strampelten sich ab, damit andere Seifenblasen diesen Zustand endlich korrigieren.“

(c) Zen&Senf

Viturmaður: „Verständlich.“

Barn: „Die intelligentesten Seifenblasen beobachteten nun das Geschehen anhand dieser Systeme und Logiken, entwickelten diese weiter, analysierten als Seifenblase die dünnen Häute der Seifenblasen, den Innenraum der Seifenblasen, leiteten Formeln und Erklärungsmuster ab, für das Innenleben der Seifenblasen, für den Raum, der die Seifenblasen enthielt, für das Geschehen, das beobachtet werden konnte, bestimmten Zeit, da sie sahen, dass es einen Beginn und ein Ende für eine Seifenblase gab, es Seifenblasen vor ihnen gab, die es nun nicht mehr gibt, und Seifenblasen aus dem Nichts entstehen, da es diese im Augenblick noch nicht gibt, aber aller Wahrscheinlichkeit nach noch geben wird.“

Viturmaður: „Vernünftig.“

Barn: „Andere Seifenblasen wiederum kümmerten sich nicht mehr um all dieses, sie vertrieben sich daher die Zeit damit, sich mit anderen Seifenblasen über die Farbe von dieser oder jener Seifenblase lustig zu machen, da sie ihnen als ‚schräg‘ galt, und einer anderen Seifenblase nachzulaufen, deren Farbe als ‚geil‘ angesehen wurde.“

Viturmaður: „Nachvollziehbar.“

Barn: „Plötzlich war Stille. Und alle Seifenblasen fielen in sich zusammen. Vereinigten sich zu einer grauen, schmierigen Brühe, dicht an dicht, zu einer homogenen Masse, ohne trennende dünne Haut, ohne schillernde Farben, bewegungslos vereint, schwappten sie im Glas – als träge Seifenlauge. Dem Kind, das mit leuchtenden Augen diesem lustigen, farbenfrohen, bewegten, lebendigen Treiben zugesehen hatte, war die Puste ausgegangen.“

Viturmaður: „Habe ich auch schon mal beobachtet.“

Barn: „Nur eine winzige Seifenblase klebte noch verzweifelt am Glas, blickte – schon das nahe Ende spürend – dem Strohhalm entlang zum Mund des Kindes, das gerade dabei war, seine Lungen wieder mit Luft aufzufüllen.“

Viturmaður: „Hast du Seife, Wasser und ein Glas hier? Ich möchte spielen.“

Viturmaður und Barn pusteten in ihr Glas und summten dabei:

Heilkundig weise,
der den Lebensweg
des Menschen gut erkennt.
Weil weiser Menschen Herz
kaum zu entzücken sei,
wenn es allwissend wird.

(Hávamál, Vers 55)

isSápukúla

Bedenke das Ende

(c) Zen&Senf

Nicht unweit von Hvanngil tanzten drei Trolle, Durgur, Bófi und Barefli um einen Stein und spielten ihr Lieblingsspiel, das Spiel der Wesen.
Um den Stein tanzend, sangen Durgur, Bófi und Barefli ihren Refrain im Chor:

„Oh wie gut,
dass wir nicht sind,
stets würden wir
das Streichholz ziehn
das kürzer wär.“

Barefli: „Welche Klage führst du?“

Durgur: „Jeder kann bezeugen, ich war stets redlich. Ich bin nun in das Alter gekommen, meine materiellen Angelegenheiten abschließend zu regeln, und deswegen stehe ich hier. Dieses Wesen sagt mir, dass mir aus meinem Tod eine Schuld in Geld entsteht. Ich müsse Miete für meine tote Hülle bezahlen. Er ist ein Leichenfledderer, und ich beschuldige ihn daher des Diebstahls.“

Bófi: „Uns entstehen Kosten durch seinen Tod. Sein Körper braucht einen Platz, der Friedhof muss gepflegt werden, wir als Gemeinde verlieren wertvollsten Baugrund, er nimmt anderen auch noch den Platz weg. Ich handle nur nach Gesetz. Wenn jemand Müll auf die Mülldeponie wirft, muss er auch dafür zahlen. Er ist nur ein Sláni, weiter nichts.“

Barefli: „Wie können Sie, Durgur, wegen so einer Bagatelle uns hier die Zeit stehlen. Ich verstehe auch nicht. Der Beklagte handelt doch nur nach Recht und Gesetz. Er ist ein Leibeigener des Gesetzes von Rechts wegen. Sie verklagen damit nicht ihn, sondern das Gesetz. Ich muss daher die Klage abweisen, da der vorliegende Fall nicht bei der beklagten Partei liegt.“

Durgur: „Er ist Vollstrecker. Mein Tod ist ein mir zustehendes grundlegendes Recht, und hat als solches auch zu gelten. Wie kann es sein, dass aus der Tatsache, dass ich mein Naturrecht für mich in Anspruch nehme, mir daraus nicht unerhebliche Schulden erstehen.“

Barefli: „Nun, ich bin auch Vollstrecker des Worts, und ein Leibeigener des Gesetzes von Rechts wegen. Außerdem müssen Sie die Schulden ja nicht begleichen. Ihre Angehörigen werden Ihre Schuld begleichen.“

Durgur: „Durch mein Naturrecht, zu sterben, bezahle ich den gerechten Preis meiner Geburt. Die Schuld ist also getilgt. Meine Schulden an den Staat dafür, dass ich hier überleben durfte, sind auch allesamt bezahlt, wie auch alles, was ich anderen noch schuldig war. Und Sie wissen, dass meine Geldschulden, die durch meinen Tod erst durch Gesetz entstehen, nicht aber von Rechts wegen, also aus der Tatsache heraus, gestorben zu sein, solcherart Geldschulden von meinen Angehörigen abverlangt werden, in schamlosester Ausnutzung derer Pietät. Obschon nicht deren Schuld, denn erst deren Schuld durch Gesetz, und da jenen Bezahlung von Schulden Pflicht, somit auch keine Befreiung möglich, diese die Schulden begleichen, die nicht die ihren sind.“

Barefli: „So ist es. Allerdings leidet Ihre Klage an einem weiteren Mangel. Unser Recht verlangt, dass erst die beanstandete Tat begangen worden, also vollzogen sein muss, bevor man dagegen Klage erheben darf. Das ist ein unumstößlicher Rechtsgrundsatz. Das ist aber, wie Sie an sich selbst sehen, in Ihrem Fall nicht gegeben. Das heißt, es liegt auch kein Klagegegenstand vor. Ich muss daher nach Recht und Gesetz Ihre Klage abweisen.“

Durgur: „Ich kann demnach vor Ihnen Klage erst dann einreichen, wenn ich tot bin?“

Barefli: „So ist es. Laut Recht und Gesetz ist das dann aber auch nicht möglich, da dann zwar der Klagegegenstand vorläge, aber kein Kläger mehr vorhanden, und da laut Recht und Gesetz postum keiner Klage einreichen darf, würde auch diese Klage, dann mangels Kläger, abgewiesen. Ein Staatsanwalt könnte dann an Ihrer Stelle Klage erheben, aber dafür benötigte er erst einmal ein Gesetz. Sie müssen sich folglich an den Gesetzgeber wenden.“

Durgur: „Aber bis eine ausreichende Anzahl an Gesetzgebern in das Parlament gewählt wird, die davon überzeugt sind, dass Tote keine Miete für die Tatsache ihres Todes zu bezahlen haben, vergehen Jahrzehnte. Wenn man auch noch bedenkt, dass das Parlament der Gemeinde selbst die durch einen Tod fällige Miete eines Toten einstreicht, die der Angestellte dieses Parlaments, jener Beklagte hier, eintreibt, und wenn man bedenkt, dass Sie selbst, ehrenwerter Richter, in diesem Parlament eine Führungsrolle innehaben, und daher auch Interesse daran haben, dass das Parlament die durch einen Tod fällige Miete eines Toten einstreicht, werde ich bis dahin längst gestorben und vermodert sein.“

Barefli: „So leid mir das auch tut, da haben Sie halt Pech gehabt. Das gehört zum allgemeinen Lebensrisiko. Wir alle haben uns an Recht und Gesetz zu halten. Wo kämen wir denn da hin, wenn wir davon abweichen würden. Sie können Ihre Klage ja dort Ihrem Richter vortragen.
Bitte, erheben Sie sich. Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil: Die Klage wird abgewiesen … die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.“

Durgur: „Die Wesen sagen ‚Recht und Ordnung‘, handeln nach ‚Ordnung statt Recht‘ …“

Barefli: „… so wurde Ordnung zu Unrecht, Naturrecht …“

Bófi: „… zu Menschenrecht, Demokratie …“

Durgur, Bófi und Barefli: „ … zur Diktatur der Masse, und Leben zu Spiel mit zu kurzen Stäbchen.“

„Satt und gewaschen
reite  der Mensch zur Versammlung,
wähnt sich unbekleidet.
Schuhe und Hose
tadelt keinen Mensch,
auch nicht ein Pferd
wenngleich er kein gutes hat.“

(Hávamál, Vers 61)

isLítið á enda

Ohne Mikroskop

(c) Zen&Senf

 

 

Tvö: „Sie sagen, er schuf die Wesen nach seinem Ebenbild.“

Der Troll Eitt lehnte sich im Meer der Ruhe zurück in den Staub, betrachtete diesen blauen Planeten, über dem Horizont im All schwebend, die geschwungenen weißen Fahnen, die ihn bedecken, und sinnierte: „Man wird wohl ein geeignetes Mikroskop benötigen, wollte man nachsehen, wie sich dieses Ebenbild darstelle.“

Tvö: „Dem Absoluten ist das Relative dienlich, der Hybris das angemessene Maß.“

isÁn smásjár

Seit ich meine Hände zählte

Lljósmynd: © Kári Þór Jóhannsson, Fiskbúð Sjávarfangs

Seit ich meine Hände zählte,

die Beine, die Ohren, die Augen,
den Mund, und einsehen musste,
es werden nicht mehr,
lerne ich Sätze auswendig,
Gedichte, Romane,
denn dem Feuer, das
uns vertreiben wird, wenn
über unseren Köpfen
das Dach einstürzt,
widersteht nur das Paradies
in unseren Köpfen.

(Wolfgang Schiffer)

Síðan ég taldi á mér hendurnar

fæturna, eyrun, augun,
muninn, og skildist að
þeim fjölgar ekki lenur
læri ég setningar utanað
kvæði sögur
því gegn eldinum
sem hrekur okkur burt
þegar þakið brotnar
yfir höfði okkar
stendur aðeins aldingarðurinn
í höfði okkar.

Übersetzung:  Franz Gíslason (1935 – 2006)

 

Einföldun – Vom Bedürfnis nach beschönigender Ausdrucksweise

Tjáningarfrelsi: „Wohin des Weges?“

Ónytjungur: „Zu einem fernen Stamm, um Spielsachen unter dessen Kindern zu verschenken.“

Tjáningarfrelsi: „Hampelmänner?“

Ónytjungur: „Bei Zusammenbau und anschließender Nutzung wird nachvollziehbar, aus welchem Grund der Fisch stets vom Kopf her zu stinken beginnt, also bei jener antreibenden Kraft, welche die Richtung des Körpers vorgibt.“

Tjáningarfrelsi: „Dies sind keine Fische.“

Ónytjungur: „So ist es. Aber in Demokratien ist das Staatsvolk die antreibende Kraft, also der Kopf, welcher die Richtung des Staatskörpers vorgibt.“

Tjáningarfrelsi: „Und?“

Ónytjungur: „Es demnach so unsinnig wie erfolglos wäre, behaupte einer später, er wäre für den Gestank nicht verantwortlich.“

Tjáningarfrelsi: „Früh übe sich, wer ein Meister werden will. Und weswegen wähltest du zu diesem Zweck Gestalten aus der Vergangenheit?“

Ónytjungur: „Sie sind bestens bekannt und daher geeignet, die Kinder des fernen Stammes an die signifikanten Merkmale eines Nazis zu erinnern. Ziehen sie dann an der Schnur, wird deutlich, wer diese aus der anonymen Masse emporhebt.“

Tjáningarfrelsi: „Und was sind Deiner Auffassung nach die signifikanten Merkmale eines Nazis, damit ich beurteilen kann, ob Du zu Generalisierung befähigt, oder dich nur der Simplifizierung schuldig gemacht?“

Ónytjungur: „Signifikantes Merkmal von Nazis ist deren Eigenschaft, innerhalb eines Nationalstaates einen via Willens- und Absichtserklärung definierten imaginären Stamm zu fördern, zu billigen, oder hinzunehmen, zum Zwecke, die vorhandene Gleichheit aller Staatsbürger aufzuheben, da den nicht zum Stamm  gehörenden Staatsbürgern die Rechte des Stammes nicht zustünden, so dass Maßnahmen zu deren Entfernung aus dem entstehenden Stammesgebiet zu ergreifen oder wenigstens hinzunehmen sind, weil für jedermann nachvollziehbar, dass diese Maßnahmen erst die Grundlage erzeuge, und damit erzwungen notwendig sei, um die bestehende Nation erfolgreich auf den definierten Stamm  reduzieren zu können, da nur ein Stamm einen nationalen Sozialstaat bilde.“

Tjáningarfrelsi: „Ich lese, dass zum Zwecke einer angemessenen Abbildung bzw. Abgrenzung dafür eigens neue Eigenschaftswörter erzeugt wurden : rechtslastig, rechts, rechtsextrem, rechtsradikal, rechts …“

Ónytjungur: „Diese Methode ist ebenso intelligent wie die Erzeugung neuer Eigenschaftswörter der Form obenextrem, obenradikal, untenextrem, untenradikal, hintenextrem, hintenradikal, vorneextrem, vorneradikal, … „

Tjáningarfrelsi:  „Es soll Nebel zerstreuen, studiere einer die Erscheinungen der Sprache an primitiven Arten ihrer Verwendung?“

Ónytjungur: „Selbstzuweisungen wie germanisch, identitär, biodeutsch, autochthon, etc. heben per-se die Gleichheit der Staatsbürger auf, und kreieren einen solchen Stamm.  Wo diese signifikanten Merkmale vorliegen, ist bereits die Zuweisung ‚rechts‘ ebenso irreführend wie verharmlosend.“

Tjáningarfrelsi:  „Verhält es sich nicht so, dass unbestimmte, verschwommene Wortinhalte es jedem Redner ermöglichen, einen Begriff unterschiedlich zu gebrauchen?“

Ónytjungur: „Ein übergeordneter Gattungsbegriff unterscheidet sich stets signifikant von einer Vereinfachung.“

Tjáningarfrelsi: „Handelt es sich bei den Wörtern rechts und links nicht um Umstandswörter des Ortes, und verhält es sich nicht so, dass diese Wörter einen Bezugspunkt erfordern, und dieser Bezugspunkt – so er sich nicht jenseits des Universums befinde – erzwungenermaßen irgendein Punkt im Raum sein müsse? Hinzu kommt, dass diese Umstandswörter des Ortes im Sprachgebrauch nicht einheitlich angewendet werden, denn die Mitteilung, die Zuckerdose liege links vom Kühlschrank, erfüllt stets den damit beabsichtigten Zweck, wird doch die Zuckerdose daraufhin gefunden, hingegen der Hinweis, dass der linke Sitznachbar ein Taschendieb sei, nur dazu führe, dass der Angesprochene sich vergeblich nach rechts absichere, es sei denn, der Hinweisgeber habe mit dem Umstandswort des Ortes den Blickwinkel des Angesprochenen verwendet, und nicht den eigenen.“

Ónytjungur: „Die Zuweisungen rechts und links erfuhren bekanntlich innerhalb der vergangenen  200 Jahre einen Bedeutungswandel. Am Ausgangspunkt als Etikettierung der Eigenschaft monarchistisch (rechts) und dessen Gegensatz republikanisch (links), dann im Zuge der Industrialisierung via Bedeutungswandel auf die Eigenschaft arbeitgeberorientiert (rechts) und dessen Gegensatz arbeitnehmerorientiert (links) angewandt, findet diese Etikettierung bei jenem fernen Stamm nun Verwendung für die Eigenschaft nationalsozialistisch (rechts) und dessen Gegensatz nicht nationalsozialistisch, womit jede Person, welche nicht nationalsozialistisch ist, nur ‚links‘ sein kann.“

Tjáningarfrelsi: „Führt dies nicht dazu, dass jeder, welcher sich dem Konzept der Nazis widersetzt, sich über Nacht plötzlich – ei verbibbsch – damit konfrontiert sieht, ‚links‘ zu sein?“

Ónytjungur: „Dieser ‚Bedeutungswandel, welcher – da abrupt erfolgt und weder auf Bedeutungsverengung noch Bedeutungserweiterung beruhend – gar kein Bedeutungswandel sein kann, ermöglicht  letztlich  auch das Phänomen, dass das ein und dasselbe Konzept einmal als Riesenkänguruh bezeichnet werden kann, und im gleichen Atemzug – davon völlig unberührt – als Springmaus.“

Tjáningarfrelsi: „Das Konzept eines Riesenkänguruhs unterscheidet sich bekanntlich vom Konzept einer Springmaus.“

Ónytjungur: „Für diesen Vergleich wurde erst gar nicht das gemeinsame Konzept herangezogen, um nicht bestätigen zu müssen, dass es sich dabei um ein und dasselbe Konzept handle.“

Tjáningarfrelsi: „Sie behaupten, nachdem ein und dasselbe Konzept zwar einmal angewendet wurde, wäre darüber noch lange nicht ausgesagt, dass das Konzept nicht zu etwas anderem führe.“

Ónytjungur: „Wurde das Ende nicht bereits in den Anfang gesteckt?“

Tjáningarfrelsi: „Dann dürfte es sich bei jenem fernen Stamm um einen solchen handeln, der vom kollektiven Bedürfnis nach beschönigender Ausdrucksweise befallen. Handelt es sich doch bei derartigem Gebrauch weder um eine Spezialisierung, also einer Bedeutungsverengung, noch um eine Bedeutungserweiterung, demnach auch nicht um eine Generalisierung.“

Ónytjungur: „Könnte auch daran liegen, dass bei jenem Stamm den Schülern von den Lehrern nicht auferlegt wurde, jede Woche zuhause ein anderes Buch zu lesen, und daran anschließend sich im Unterricht über das Gelesene auszutauschen, wie an der Schule dort unten im Ort, da darüber die Fähigkeit hervorgerufen,  greina (charakterisieren, abgrenzen), alhæfa (verallgemeinern) und einfalda (vereinfachen) richtig zuordnen zu können.“

Tjáningarfrelsi: „Und durch das Verb falda auch noch dazu befähigt werden, die Symptome ‚herumdrucksen‘ und ’nicht recht mit der Sprache herauswollen‘ erkennen zu können.“

Ónytjungur: “ Ist dir bei dem Verb einfalda  etwas aufgefallen?“

Tjáningarfrelsi: „Es wurde bei dem fernen Stamm durch das Verb vereinfachen eingedeutscht.“

Ónytjungur: „Und?“

Tjáningarfrelsi: „Erinnerte vermutlich doch zu sehr an die Eigenschaft einfältig. Singst du mit mir noch ein Lied zum Abschied?“

Ónytjungur und Tjáningarfrelsi fassten sich bei der Hand, und tanzten einen Reigen :

(49) „Voðir mínar
gaf eg velli að
tveim trémönnum.
Rekkar það þóttust
er þeir rift höfðu:
Neis er nökkvinn halur.“ 1)

(49) „Mein Tuch
gab ich auf dem Feld
zwei Männern aus Holz.
Helden wähnen
ihre Kleider zu sein :
nackt sind sie schüchtern.“

1) „Hávámál og Völuspa“, Gísli Sigurðsson, Svart á Hvítu, Reykjavik 1986

(Über)setzung

Sjóminjasafnið Ósvör

 

(30) Að augabragði
skala maður annan hafa,
þótt til kynnis komi.
Margur þá fróður þykist
ef hann freginn er at
og nái hann þurrfjallur þruma. ¹)

(30) Sich lustig machen
über die Hütte eines anderen Menschen
obgleich er zu Freunden kommt:
Wähnt sich sehr belesen
: sofern er nicht befragt wird
und ohne Störung sitzen kann.

¹) „Hávámál og Völuspa“, Gísli Sigurðsson, Svart á Hvítu, Reykjavik 1986

Am Meer

Ljósmynd: Wolfgang Schiffer

 

Am Meer

Hier sitzen:
Sand und Gischt und Muschelwerk
die Sonne blutet aus
der Wind schreit Möwen an
wenn sie ihm allzu dreist den Weg verstellen
es ist, als knatterts im Gefieder oder
täuscht mich das verletzte Ohr
das ich noch mit mir trage
das beleidigte Auge
das in der Weite immer noch
der Menschen Schatten sieht
obwohl die Möwen sich nun niederlassen
und aus dem Sand, in dem ich sitze
dem Muschelwerk, umspült von Gischt
der Menschen letzte Spuren picken.

Við sjóinn

Að sitja hér:
sandur og særok og skeljaskraut
sólinni blæðir út
vindurinn gargar á mávana
þegar þeir hefta för hans framhleypnir um of
það er eins og snarki í fiðrinu eða
blekkir mig sært eyrað
sem ég burðast enn með
móðgað augað
sem enn greinir í fjarska
skugga mannanna
þótt mávarnir stjist nú niður
og kroppi síðustu mannasporin
úr sandinum þar sem ég sit
skeljunum, umleiknum sædrifi.

Übersetzung: Ingibjörg Haraldsdóttir (1942 – 2016)

Sich seiner selbst bewusst sein

Jemen 2022

Ferðalangur: „Wir haben nun ausgiebig genug über diese Wesen uns erfahren, so dass sich die Frage aufdrängt, was denn nun diese Wesen an sich seien, also diese signifikant von anderen Gattungen unterscheide.“

Hugsuður: „Nun, da wäre vielleicht jenes zu nennen, was allgemein als humanes Sozialverhalten verstanden wird“.

Ferðalangur: „Wie steht es dann aber mit jener Elefantenkuh, die sich neben ihre gebärende Artgenossin postiert, um diese in ihrer Wehrlosigkeit gegen etwaige Angriffe von Raubtieren zu verteidigen, da diese selbst hierzu nicht in der Lage?“

Hugsuður: „Schon gut. Da wäre vielleicht jenes zu nennen, was allgemein als Mitleiden verstanden wird“.

Ferðalangur: „Und als was wäre dann die Reaktion jener Pflanze zu bezeichnen, an welcher sich signifikante Reaktionen feststellen ließen, als Resonanz auf die Tatsache, dass ihrer benachbarten Pflanze eine Injektion mit Gift verabreicht wurde, an dessen Wirkung diese gerade verendet?“

Hugsuður: „Zum Teufel mit der Wissenschaft. Bliebe also jenes zu nennen, was allgemein als Seele verstanden wird.“

Ferðalangur: „Und als was wäre dann jenes zu bezeichnen, was einen Pinguin dazu veranlasst, einen nur noch in Teilen vorhandenen verwesten Artgenossen gegen einen Aasfresser zu beschützen, damit dieser ihn nicht weiterhin verspeisen könne, und sich dafür sogar dessen Attacken aussetzt, und nicht davon ablässt?“

Hugsuður: „Meinetwegen. Dann bleibt halt nur noch jenes, was allgemein als Verstand angenommen wird.“

Ferðalangur: „Du meinst jene Fähigkeit, welche die Wesen signifikant von anderen Gattungen unterscheidet?“

Hugsuður: „Ja.“

Ferðalangur: „Da hast Du recht. Die Wesen sind tatsächlich die einzige Gattung, der es ein Herzensbedürfnis ist, seine eigene Gattung über das Betätigen von ein paar Schaltknöpfen auslöschen zu dürfen.“

Hugsuður: „Nun, die Vernunft wird es sein, die sie von diesem Schritt bewahren wird.“

Ferðalangur: „Du meinst jenes, was sie diese Fähigkeit erst entwickeln ließ?“

Hugsuður: „Dann ist es halt die Anhaftung von jenem, was als Bewusstsein bezeichnet wird.“

Ferðalangur: „Ach wirklich?“

is

Vera með fullri meðvitund

Rede laut und deutlich