Alle Beiträge von Wolfgang Schiffer

DAMALS, ALS ICH MICH SCHÄMTE

Ljósmynd : (C) Delphine & Thibault

DAMALS, ALS ICH MICH SCHÄMTE

da schämte ich mich für alles / was ich tat
oder nicht tat / oder auch nur gedachte
zu tun oder nicht zu tun /
vor allem aber schämte ich mich meines Vaters /
der im Dorf den Dreck der anderen von den Straßen kehrte /
der kleingeblümten Schürze meiner Mutter /
die sie immerzu vor Brust und Bauch und Schenkeln trug /
und ihres Kopftuchs / mal auf den Schultern meist um den Kopf /
ich schämte mich der wollenen Hose mit Gummizug /
die mir wie ein Lappen lose auf den Knöcheln hing /
während anderen längst Jeans eng über die Hintern spannten /
ja ich schämte mich der Armut meiner Eltern /
die ich empfand und aus der ich / noch Kind
und noch für Jahre später /
auch für mich kein Entkommen sah

ich bin ihr entkommen /
doch erst auf dem Weg hinaus / das erinnere ich /
als Töchter und Söhne von Lehrern und Pfarrern
von Ärzten und Bankern / ja selbst
von den Eigentümern der Fabriken /
die ein ganzes Dorf beherrschten /
der Welt die Herrschaft des Proletariats erkämpfen wollten /
schämte ich mich meiner Scham

wie nur hatte ich den Reichtum meiner Eltern nicht sehen können?
die unverbrüchliche Liebe meiner Mutter
zu mir ihrem Kind zu ihrem Mann?
den ehrlichen Stolz meines Vaters /
der sich mit nichts und niemandem gemein machte /
doch in die grauverwitterten Baracken ging
und mit den Polacken sprach / die von allen gemieden waren /
den Geflüchteten damals wie heute vor Krieg geflohen /
nur dass wir selbst es waren / die mit diesem Krieg
die Welt ein weiteres Mal zerrissen hatten?

wie nur hatte ich träumen können /
dass er mir die Füße abhacken wollte /
während ich versuchte ihm auf dem Fahrrad zu entkommen?

er der Vater /
der mir die hässlichen Warzen abkauft /
die den Rücken meiner rechten Hand entstellen

er der Vater /
der mir die Angelrute wiederbringt /
die mir der Polizist des Dorfes abgenommen hat

er der Vater /
der mein erstes Gedicht
in die Redaktion der Dorfzeitung trägt
und sagt / es sei von seinem Sohn

er der Vater /
der eine Holzleiter vor sich her
über das knirschende krachende Eis des Sees schiebt
und das eingebrochene Kind aus dem Bruchloch rettet

er der Vater /
der mir am aufgeschlitzten Leib eines Kaninchens
das Geheimnis der Fortpflanzung erklärt

er der Vater /
der den Dreck der anderen kennt /
weil er ihn wegmacht als Straßenkehrer /
und weiß / dass es gute und schlechte Menschen gibt
in den Häusern den Villen und in den Baracken
des Dorfes / der Welt

Seit ich meine Hände zählte

Lljósmynd: © Kári Þór Jóhannsson, Fiskbúð Sjávarfangs

Seit ich meine Hände zählte,

die Beine, die Ohren, die Augen,
den Mund, und einsehen musste,
es werden nicht mehr,
lerne ich Sätze auswendig,
Gedichte, Romane,
denn dem Feuer, das
uns vertreiben wird, wenn
über unseren Köpfen
das Dach einstürzt,
widersteht nur das Paradies
in unseren Köpfen.

(Wolfgang Schiffer)

Síðan ég taldi á mér hendurnar

fæturna, eyrun, augun,
muninn, og skildist að
þeim fjölgar ekki lenur
læri ég setningar utanað
kvæði sögur
því gegn eldinum
sem hrekur okkur burt
þegar þakið brotnar
yfir höfði okkar
stendur aðeins aldingarðurinn
í höfði okkar.

Übersetzung:  Franz Gíslason (1935 – 2006)

 

Am Meer

Ljósmynd: Wolfgang Schiffer

 

Am Meer

Hier sitzen:
Sand und Gischt und Muschelwerk
die Sonne blutet aus
der Wind schreit Möwen an
wenn sie ihm allzu dreist den Weg verstellen
es ist, als knatterts im Gefieder oder
täuscht mich das verletzte Ohr
das ich noch mit mir trage
das beleidigte Auge
das in der Weite immer noch
der Menschen Schatten sieht
obwohl die Möwen sich nun niederlassen
und aus dem Sand, in dem ich sitze
dem Muschelwerk, umspült von Gischt
der Menschen letzte Spuren picken.

Við sjóinn

Að sitja hér:
sandur og særok og skeljaskraut
sólinni blæðir út
vindurinn gargar á mávana
þegar þeir hefta för hans framhleypnir um of
það er eins og snarki í fiðrinu eða
blekkir mig sært eyrað
sem ég burðast enn með
móðgað augað
sem enn greinir í fjarska
skugga mannanna
þótt mávarnir stjist nú niður
og kroppi síðustu mannasporin
úr sandinum þar sem ég sit
skeljunum, umleiknum sædrifi.

Übersetzung: Ingibjörg Haraldsdóttir (1942 – 2016)