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„Mein erfundenes Leben“

(c) Copyright Katalin Hepp

Die Begleiterin, Frau  Astrid Habiba Kreszmeier, Lehrthearapeutin für Einzellehrtherapie, welche die Autorin seit 20 Jahren kennt, weist in ihrer Buchempfehlung am 22. Februar 2022 darauf hin, es sei der Autorin ein Anliegen gewesen, dass es nicht lektoriert werde: „[Katalin Hepp] ist ein bemerkenswerter, eigensinniger, liebevoller, willensstarker und lebensmutiger Mensch. Dieser besonderen Mischung ist es wohl auch zu verdanken, dass sie ab dem Frühjahr 2021 neun Monate lang konsequent an ihrem Buch gearbeitet hat, ehe es im Januar 2022 tatsächlich erscheinen konnte. Das Werk wird wohl nie in den öffentlichen Handel kommen. Ebenso wird es – ausser hier – wohl kaum zitiert werden und schon gar nicht rezipiert. Dennoch scheint es mir wert, dieses Buch hier vorzustellen. Nicht weil ich einer jungen Frau mit einer seltenen, genetisch bedingten Behinderung einen Gefallen tun will, sondern weil es ein lesenswertes Buch ist, über das es sich zu sprechen lohnt. Eine Rezension also.“

Es ist in der Tat ein sehr lesenswertes Buch und erfreulicherweise kann das Buch „Mein erfundenes Leben“ mittlerweise in jeder gut sortierten Buchhandlung erworben werden.

Auf der Rückseite des Buches weist die junge Autorin  Katalin Hepp darauf hin, dass sie mit dem Niikawa-Kuroki-Syndrom geboren wurde, kennt daher aus eigener Erfahrung die übliche Neigung zu Vorurteilen, so dass Sie sich aus gutem Grund zu einer Klärung genötigt sah:  „Ich habe das Buch alleine geschrieben, bitte beachtet nicht die rechtschreibfheler, sondern den Inhalt“.

Bereits die Rückseite des Buches eröffnet auch jenen Lesern, welche irrtümlich und ignorant nicht dazu in der Lage sind, Oberfläche von Inhalt unterscheiden zu können, obschon eine Oberfläche nicht das Geringste über Inhalte aussagen könne, die Möglichkeit, diesen Unsinn zu erkennen und zu korrigieren.

(c) Copyright Katalin Hepp

Wird doch jenes, was wahrgenommen wird, stets auch beeinflusst davon, welche Vorstellungen einer in sich trägt. Ein Kernpunkt alltäglicher Fehlurteile ist die unbestreitbare Tatsache, dass der Mensch in der Regel nur zu gerne bereits anhand der Oberfläche urteilt, hierzu auch noch aus Ignoranz geborene unzutreffende Andichtungen heranzieht, damit völlig unfähig wird, diese angewandte Dummheit als offensichtlichen Irrtum auch nur ansatzweise zu erkennen und in Folge – darauf basierend – seine Reaktion in Form tätiger Ignoranz fortgesetzt ausrichtet.

Als Beispiel sei Frau Julia Knopf genannt, Professorin für Fachdidaktik in der Grundschule, welche in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung am 5. Februar 2020 darauf hinwies, dass vor mehr als einem Jahrhundert eine einheitliche Orthografie eingeführt worden sei, damit Texte leichter verschriftlicht und besser gelesen werden können, denn das Gehirn könne Texte, die Standards folgten, viel störungsfreier verarbeiten und es gebe Studien, die zeigen würden, dass allein fehlende Kommata das Lesetempo drastisch verringere. es daher  „wahnsinnig wichtig“ sei, bei Schülerinnen  und Schülern das Rechtschreibbewusstsein wieder stärker in den Mittelpunkt zu rücken, gestützt durch das Argument, es sei belegt, dass Arbeitgeber aus fehlerhaften Bewerbungen negative Rückschlüsse auf die Disziplin und Ausdauer des Bewerbers zögen.

Jenseits der beschränkten Urteilsfähigkeit solcher Personalchefs wäre in einem Selbsttest allerdings jederzeit die Erfahrung möglich, dass auch Texte, welche nicht der einheitlichen Orthografie folgen, vom Gehirn störungsfrei verarbeitet werden können, Sollte da einer sein, der Texte ablehnt, da diese auf eine Groß- und Kleinschreibung oder Satzzeichen verzichten, wie zum Beispiel bei Gedichten der Neuzeit gerne angewandt, möge ein solcher besser vorher sein Gehirn untersuchen lassen, bevor er über geschriebene Sätze urteilt.

(c) Copyright Katalin Hepp

Diese Fakten kennend, bittet Frau Katalin Hepp, der Leser möge nicht die Rechtschreibfehler beachten, sondern den Inhalt. Ist doch offensichtlich, dass die Professorin für Fachdidaktik in der Grundschule es versäumte, die bereits seit 1925 allseits zugängliche „Ansprache zum Schulbeginn“ von Erich Kästner zu studieren: „Früchtchen seid ihr, und Spalierobst müsst ihr werden! Aufgeweckt wart ihr bis heute, und einwecken wird man euch ab morgen! … Vom Baum des Lebens in die Konservenfabrik der Zivilisation?“.

Die junge Autorin war weise genug, sich nicht in die Konservenfabrik der Zivilisation einwecken zu lassen und lehnte es ab, zu Spalierobst zu degenerieren. Im Ergebnis legte sie Zeugnis ab, dass sich ihr Lebensbericht ohne jegliche Mühe zügig und flüssig für jedermann lesen lasse, das Gehirn völlig störungsfrei der Erzählung folgen könne und was die richtige Setzung von Satzzeichen betrifft, so bewies bereits der Autor Rúnar þór þórarinsson in seinem Buch „Enn einn dagurinn“ („An einem einzigen Tag“), dass sogar eine seitenlange Erzählung mit nur einem Komma und ohne jeglichem Punkt sehr anschaulich zu Papier gebracht und mühelos gelesen werden kann.

Katalin Hepp berichtet in ihrem Buch, dass sie in ihren Schuljahren mehr Kontakt zu ihren Lehrern und sehr wenig zu ihren Schulkameraden hatte:

c) Copyright Katalin Hepp

„Ich habe die diagnose kabukisyndrom das wurde im jahr 1999 festgestellt und dadurch gehört auch meine Taubheit dazu habe ich durch meine behinderung eine sehr besondere seele und spüre es genau wenn es jemand nicht gut gehts oder wenn jemand traurig ist aber manchmal ärgere ich mich auch darüber dass ich leider nicht so bin wie die anderen Menschen die wo gesund sind aber es hat keinen sinn sich darüber zu ärgern weil wir alle zusamen gehören ob gesunde menschen oder kranke sonst währe es ja viel zu langweilig und somit kann sich ein bunter lebenskreis schliessen.“

Womit die Frage berechtigt, ob es sich bei dieser willkürlichen Ausgrenzung von Mitmenschen, die „nicht so sind wie die anderen gesunden Menschen“ um eine angeborene Einstellung eines neugeborenen Kindes handle, oder nicht vielmehr um das Resultat sogenannter Erziehungsberechtigter, also deren pädagogischer Einflussnahme auf die Entwicklung und das Verhalten Heranwachsender.

Nun, die Berichte von Frau Katalin Hepp belegen eindeutig, dass es sich dabei nicht um eine angeborene Einstellung eines neugeborenen Kindes handeln könne, womit der Ratschlag von Erich Kästner verständlich wird: „Liebe Eltern, wenn Sie etwas nicht verstanden haben sollten, fragen Sie Ihre Kinder.“

„Mein erfundenes Leben“

Katalin Hepp

epubli Verlag, Berlin

48 Seiten

ISBN: 9783754933145

Preis: 15,99 €

Das Buch ist auch über den Buchhandel erhältlich

Informationsüberflutung

Lljósmynd:  © Kári Þór Jóhannsson, Fiskbúð Sjávarfangs

Bjartsýnismaður: „Wie geht es Ónytjungur?“

Efasemdamaður: „Bei seinem letzten Erfolg setzte er sich gegen 20 Millionen Mitbewerber durch.“

Bjartsýnismaður:  „Waren es nicht 150 Millionen Mitbewerber?“

 Efasemdamaður: „Wären nicht bereits 20 Millionen eine beachtliche Leistung?“

Bjartsýnismaður:  „Er argumentierte nach ausführlicher Betrachtung der Ereignisse, dass die Betrachtungsweise, das Sein über Materie und Geist, Determinierung und Zufall, Erfolg und Misserfolg zu erklären, so ziemlich das Dümmste sei, was der wissenschaftsbasierten Informationsgesellschaft im Zeitalter der Informationsüberflutung eingefallen wäre.“

Efasemdamaður: „Wie kommt er auf solchen Unsinn? Möglicherweise befand er sich zufällig vorne allein in der Pool-Position, die anderen waren gleich schnell, folglich nicht in der Lage, ihn zu überholen.“

Bjartsýnismaður:  „Du meinst, zu jenem Zeitpunkt an solchem Platz?“

Efasemdamaður:  „Was sonst.“

Bjartsýnismaður:  „Und aus welchem Grund nutzt du die Gelegenheit, mir eine Ideologie schmackhaft zu machen?“

 Efasemdamaður: „Welche Ideologie?“

Bjartsýnismaður:  „Die Ideologie des Zufalls.“

Efasemdamaður:  „Folgst du etwa der Ideologie des Determinismus?“

Bjartsýnismaður:  „Weder, noch. Ist dir nicht aufgefallen, dass die Gegensätze Zufall und Determinismus, Erfolg und Misserfolg sowie Materie und Geist eigentlich nichts erklären?“

Efasemdamaður:  „Verhält es sich nicht so, dass es der Geist war, in seinen Ausprägungen gegenseitige  Zuneigung und Begehren, der in Folge zu einem Ereignis führe, in welchem daraufhin die Materie dafür sorgte, dass sich zwei Materien miteinander vereinigten, beruhend auf einen Vorgang, der im Voraus bestimmt, festgelegt und begrenzt, demnach determiniert, das Ergebnis jedoch Behauptungen zufolge nur auf Zufall basieren könne,  weil keine lokalen Ursachen existierten?“

Bjartsýnismaðu: „Spannend. Wird bei solchen Erklärungsmustern nicht etwas zu einfältig nur an allgemein wahrnehmbaren Oberflächen geschabt?“  

Efasemdamaður:  „Es wäre grober Unfug, andere Erklärungsmuster heranzuziehen.“

Bjartsýnismaður: „Mal sehen. Beginnen wir beide mit der Materie? Verhält es sich nicht so, dass Materie sich aus Atomen zusammensetzt, das gesamte Universum nichts anderes ist als ein Raum, in welchem sich diese Atome tummeln, Atome sich zu Molekülen vereinigen, Moleküle sich zu Gegenständen zusammenschließen, demnach auch du und ich nichts weiter sind als eine Anhäufung diverser Moleküle sind, welche sich von andersartigen Zusammenschlüssen von Molekülen ernähren?“

Efasemdamaður:  „Was soll das werden? Chemieunterricht?“

Bjartsýnismaður: „Gemach. Ich gehe auf Grundlage deiner Antwort davon aus, dass wir in  diesem Punkt übereinstimmen. Was nun den Geist betreffe, so wäre festzustellen, dass einige dieser Molekülhaufen die Neigung besitzen, sich zu paaren. Sehe ich das richtig?“

Efasemdamaður (räuspert sich):  Ähem …Sprichst du von jenem, was Fortpflanzung und Liebe genannt?“

Bjartsýnismaður: „Nun, wie zu erfahren ist, handelt es sich hierbei nur noch um Ausprägungen einer historisch entstandenen genetischen Schädigung jener Molekülhaufen, welche sich selbst als Gattung Mensch bezeichnen, da hierzu dem Vernehmen nach nur gegenseitiges Begehren völlig ausreichend sei und dabei das angestrebte Ziel alles andere wäre als ausgerechnet eine Fortpflanzung.“

Efasemdamaður:  Moralapostel geworden?“

Bjartsýnismaður: „Ist einer bereits ein Moralapostel, sobald er sachlich beschreibt,  was da ist? Dann wäre ja keine sachliche Beschreibung mehr möglich, weil sich sicherlich irgendeine Dumpfbacke findet, die unfähig dazu, eine Beschreibung von einer Kritik unterscheiden zu können.“

Efasemdamaður:  „Die Fähigkeit, präzise unterscheiden zu können, ist nicht jedem gleichermaßen gegeben. Worauf willst du hinaus?“

Bjartsýnismaður: „Auf das Phänomen, dass sich immer noch keiner gefragt habe, wie manche der zahllos existierenden Molekülhaufen des Universums darin übereingekommen seien, vorhandene Moleküle dazu zu verwenden, dem Gegenstand, zu welchem sie sich gebildet hatten, auch noch die Möglichkeit bereitzuhalten, dass dieser Gegenstand einen weiteren Gegenstand derselben Art herstellen könne. Welches Interesse könnte diese Moleküle dazu bewegt haben, dergestalt tätig sein zu wollen? Handelt es sich doch dabei – und ich hoffe, wir sind uns wenigstens darin einig – um nichts Intelligenteres als stupide Materie in Form von Atomen, also um Protonen und Neutronen, welche von Elektronen umschwirrt werden. Könntest du mir das in deiner Welt der Gegensätze, also deiner Welt des Geistes und der Materie, des Erfolgs und Misserfolgs sowie des Zufalls und des Determinismus so erklären, dass auch ich als Dummkopf es verstehe?“  

Efasemdamaður:  „Vielleicht wurde eine epidemische Schwelle überschritten? Dabei  geht es um die Frage, wann, in Abhängigkeit von gewissen Parametern, eine Krankheit sich ausbreite, bis sie endemisch werde und wann sie von selber zurückgehe und schließlich aussterbe?“

Bjartsýnismaður: „Nun, zumindest erfüllte deine Antwort das Diktum von Albert Einstein“

Efasemdamaður:  „Als da wäre?“

Bjartsýnismaður: „Modelle sollen so einfach wie möglich sein, aber nicht einfacher.“

Eigentlich wollte er nur seine Ruhe finden

Source unknown

Er habe eine Einladung zu einem Klassentreffen  erhalten, da seit seinem Schulabschluss 50 Jahre vergangen sind. Das bemerkenswerteste an dieser Einladung war die Rechercheleistung der Organisatoren, welche die Nähnadeln (Klassenkameraden) nach 50 Jahren noch im Heuhaufen fanden, da in alle Winde verstreut.

Gottseidank hätte seine Altersdemenz noch so lange gewartet, dass er sich noch an einen Klassenkameraden dieses Namens erinnern konnte, der damals auch an dem angegebenen Wohnort  wohnhaft war. Was dazu führte, bei der Anfrage auf LinkedIn den Button „Ignorieren“ nicht zu drücken; eine Maßnahme, welche er  dort grundsätzlich bei allen Vernetzungswünschen ergriff, sollte der Anfragende keiner seiner ehemaligen Studenten sein. Massel g’habt.

So ein Klassentreffen nach einem halben Jahrhundert eigne sich vorzüglich dafür, das bisherige Leben zu reflektieren und den Werdegang kritisch zu hinterfragen, so begann er zu erzählen.

Eigentlich hätte ihm persönlich der Hauptschulabschluss genügt. Er hatte keinerlei Ambitionen damals, eine höhere Schule zu besuchen, eher den Wunsch, das Martyrium namens „Schule“ bald verlassen zu dürfen. Wäre da nicht die Forderung seines Vaters gewesen, bei der Eisenbahn in die Lehre zu gehen, da dieser selbst dort arbeitete. Es wäre eine Perspektive gewesen, denn Jungs in seinem Alter wollten damals meistens Lokführer werden, denn dort hätte …

Hätte, hätte, Fahrradkette. Dummerweise wäre er noch lernfähig gewesen, hätte auch sein Erinnerungsvermögen noch nicht eingebüßt und konnte sich somit noch gut daran erinnern, dass alle Löhne, welche er seit seinem 12. Lebensjahr in den Sommerferien durch Ferienarbeit im Büro oder auf den Baustellen im Hochbau und Kanalbau verdiente, von seinem Vater vollständig einkassiert wurden, er noch nicht einmal ein „Taschengeld“ hieraus erhalten habe. Außerdem wäre da noch Theo gewesen, sein Klassenkamerad, der auf die höhere Schule wechselte. Schule ohne Theo? Nicht sein Ding.

Mit der Hilfe seiner Mutter habe er sich bei seinem Vater durchgesetzt und die Hauptschule verlassen. Der Beweggrund wäre demnach keineswegs seine Wissbegier gewesen, sondern die Flucht vor der drohenden Zukunft, auch noch eine geringfügige Ausbildungsvergütung als „Lehrling“ bei seinem Vater abliefern zu müssen.

Dann sei in ihm der Entschluss gereift, anschließend das so genannte Polytechnikum zu durchlaufen und Bauingenieur zu werden. Der primitive Beweggrund: Er zeichnete sehr gerne. Bedauerlicherweise war jedoch diese Idee mit nicht lösbaren Problemen behaftet.

Da er kein Taschengeld erhielt, das jugendliche Alter jedoch bekanntlich mit persönlichen Wünschen geradezu gespickt ist, welche nur via Geld erhältlich, habe er neben dem Schulbesuch diverse Jobs angenommen; Balljunge auf dem Tennisplatz, Obstpflücker im Akkord auf der Obstplantage, Tellerwäscher im Restaurant, Bauarbeiter, Regale füllen bei Metro, etc.  

Gab es da nicht eine Möglichkeit, 1.000 DM im Monat zu verdienen bei freier Kost und Logie, den Führerschein gäbe es auch noch kostenlos obendrauf? Richtig, die Bundeswehr.

Also habe er sich als so genannter „Zeitsoldat“ verpflichtet. Dort gäbe es nach Ablauf der Zeit sogar noch ein nicht zu verachtendes Übergangsgeld obendrauf.

Nichts wie rinn, sei daher sein Entschluss gewesen. Die Ernüchterung habe auch nicht lange auf sich warten lassen. Es müsse einer schon ein großer Patridiot sein, um nicht zu erkennen, dass da Herdentiere abgerichtet werden, welche am Nasenring einer aufgeblasenen Kaste ihrem Untergang entgegengeführt werden sollen.

Da wäre zum Einen der Chef gewesen, der sich bei Kriegsspielen lieber bei der Brigade herumtrieb, da er Major werden wollte, statt sich darum zu kümmern, dass sein Spähtrupp in der Nacht aus dem „Feindesland“ zurückkehren könne und bei der Durchquerung des Minenfelds an der „Frontlinie“ nicht von den eigenen Kameraden zusammengeschossen werde, da El Cheffe es mal wieder versäumt hatte, die eigene Truppe zu informieren, dass ein Spähtrupp an dieser Stelle um diese Uhrzeit zurückkomme . Die Unteroffiziere seien daher übereingekommen, dass im „Ernstfall“ El Cheffe der erste Gefallene sein werde, allerdings nicht von der Kugel des Feindes getroffen. Der Spieß, also die Mutter der Kompanie, hätte sich zudem laufend an drastischen Strafmaßnahmen ergötzt, weil das Bett wieder einmal nicht mikrometergenau gefaltet war, und gefiel sich täglich beim Morgenappel in der Rolle des Komödianten: „Mit mir könnt ihr reden, wie mit einem Blöden“. Sollte einer auf die abstruse Idee kommen, dieses Angebot ernst zu nehmen, kam stets dieselbe Antwort: „Halt den Mund, du Eichhörnchen“.

Wen wundere es, dass bei solchen Ereignissen sich der Wunsch nach ausgiebigen Reisen einstelle? Gab es da nicht eine Möglichkeit, vorzeitig vor jenen Typen zu flüchten, welche die Ansicht vertraten, ein Krieg werde dadurch gewonnen, indem der Soldat den kleinen Finger beim militärischen Gruß anlege? Es hätte eine Möglichkeit gegeben: Ein Job beim Militärattaché in einer Botschaft. Nichts wie hin, habe er gedacht, denn das Botschaftspersonal musste alle vier Jahre ausgetauscht werden und wurde danach stets in einem anderen Land eingesetzt. Gibt es eine billiger Möglichkeit, die Welt kennenzulernen?

Sicherlich nicht. Es sei denn, einer würde erst gar nicht in das fremde Land geschickt, da er zwar die besten Noten beim Erlernen der Fremdsprache am Bundessprachenamt erzielte, allerdings in der Fremde kein Auto reparieren könne wie der Kollege, der beim Sprachunterricht mit Pauken und Trompeten durchfiel.

Es hätte allerdings zu Beginn seiner Verpflichtung Experten gegeben, welche den derart Getriebenen ein Talent zur „Systemanalyse“ bescheinigten. Kein Mensch konnte erklären, was damit gemeint ist, allerdings sei seiner Auffassung nach die Natur unbestreitbar ein System, dessen Analyse durchaus interessant sein könne. Also, nichts wie weg, habe er daher beschlossen, so schnell wie möglich und rein ins Studium. Gab es doch das Gebiet der vergleichenden Verhaltensforschung, in welchem auch ausgedehnte Reisen in diverse Kulturen jenseits von Urlauben möglich sind.

Es hätte jedoch in dem Land die Regulierung gegeben, dass ein Studium der Zoologie auf dem zweiten Bildungsweg nicht möglich sei.

War nicht davon zu lesen, dass das Schwarmverhalten der Buntbarsche mit Hilfe von Computerprogrammen analysiert wurde, die Analyse zu dem Ergebnis kam, man brauche nur das Gehirn eines Buntbarsches operativ entfernen, schon wäre er als Führer des Schwarms anerkannt? Ei verbibbsch. Es sei auch davon zu hören gewesen, dass gerade ein neues Studienfach namens „Informatik“ angeboten werde, obschon niemand erklären konnte, was es denn mit dem Begriff „Informatik“ auf sich habe. Vermutlich irgendetwas mit Computer.  

Bekanntlich lebe der Mensch nicht nur von Brot allein, und da ein Informatikstudent neben dem Studium damals mehr im Monat verdienen konnte als ein Professor der Informatik an der Hochschule, war es es um den Geflüchteten geschehen, da seine Sucht nach ausreichendem Einkommen größer gewesen sei als seine Sehnsucht nach vergleichender Verhaltensforschung.

Und da in so genannten wissenschaftsbasierten Informationsgesellschaften allzu gerne Rolle mit Kompetenz verwechselt wird, er weder Kompetenzen noch eine bedeutende Rolle vorweisen kann, sei er zeitlebens ein Ónytjungur geblieben, der bei genauer Betrachtung nur seine Ruhe finden wollte.

Gut möglich, dass seine Erfahrungen ihm wenigstens die Sinne dahingehend geschärft haben könnte, endlich die konsequente Haltung und Geradlinigkeit eines Theo zu erreichen. Als damals Theo auf der Straße ein Aushilfslehrer, der sich im Unterricht nicht gerade mit Ruhm bekleckert hatte, mit seiner Gattin entgegenkam und stolz und freudig erregt ein Gespräch mit seinen Schülern beginnen wollte, hätte Theo abwehrend seine Hand ausgestreckt, gesagt, dass er privat nichts mit ihn zu tun haben wolle und wäre daraufhin schnurstracks seines Wegs weitergezogen. Ehrlich währt am Längsten.

Womit der Werdegang eines Ónytjungur seines Erachtens vermutlich hinreichend beschrieben wäre. Sollte ein Mensch mit einem solchen Lebenslauf öffentlich hausieren gehen? Besser nicht. Hat dieser beschriebene Mensch sein Leben dazu genützt, „Karriere“ zu machen? „Karriere“ sähe anders aus.

Genau genommen sei er ständig auf der Flucht gewesen, um sein „Selbst“ zu beschützen; und wüsste nach 65 Jahren immer noch nicht, was denn dieses sein „Selbst“ eigentlich sei. Es sei halt dumm gelaufen.  

Die Wohnzimmerkrieger

Bæjarins Besta

Die Trolle Sagnfræðingur und Svikahetja lagen auf dem von der Sonne gewärmten Stein inmitten des Blumenteppichs von Hornstrandir und kamen angesichts der farbenfrohen Blumenarten, welche friedlich sich nebeneinander entwickelten, zu dem Entschluss, sich damit etwas die Zeit zu vertreiben, Annahmen anhand von Gegenüberstellungen einer Überprüfung zu unterziehen.

Sagnfræðingur: „Es gibt nicht nur eine Frontlinie, es sind stets deren sechs, denn die zwei Blöcke an Nationen, die gegeneinander antreten, bilden nur die horizontale Sicht ab. Die alle Nationen umfassende vertikale Sicht benennt allerdings zusätzlich fünf weitere Frontlinien.“

Svikahetja: „Als da wären?“

Sagnfræðingur: „Nun, einmal jener Teil, welcher bereit ist, sich mit Waffen auf das Gebiet einer anderen  Nation in kriegerischer Absicht zu begeben und diese dort einsetzt, dann jener Teil, der nur dazu bereit ist, Waffen innerhalb  der eigenen Nation gegen einen Eindringling aus einer anderen Nation  einzusetzen, und schließlich jener Teil, der aus grundsätzlichen Erwägungen es strikt ablehnt, einen anderen Menschen zu töten.“

Svikahetja: „Ich zähle bisher nur drei weitere Frontlinien.“

Sagnfræðingur: „Nun, dies waren nur jene Frontlinien, welche sich hinsichtlich des persönlichen Gebrauchs von Waffen unterscheiden. Es wären noch jene hinzuzuzählen, welche zwar persönlich keine Waffe gebrauchen, allerdings dieses von anderen Menschen erwarten, beziehungsweise fordern.“

Svikahetja: „Demnach die lautstarke Mehrheit.“

Sagnfræðingur: „Sie werden die Wohnzimmerkrieger genannt, also jene, welche sich in dem Wahn befinden, dass für andere zu gelten habe, was für sie selbst keine Gültigkeit haben dürfe. Gibt es dafür nicht längst einen exakten Begriff?“

Svikahetja: „Nun, diese gehen von dem Grundsatz aus, dass Menschenwürde nicht nur teilbar sei, sondern teilbar sein müsse. Der Begriff hierfür ist auch längst hinlänglich bekannt. Im Englischen gibt es dafür das Wort Nimby, eine Abkürzung für die Entscheidung ‚Not in my backyard‘, anderenorts das Sankt Florian Prinzip genannt: ‚Heiliger Sankt Florian, verschon’ mein Haus, zünd’ and’re an!‘“.  

Sagnfræðingur: „André Beaufre, Général d’armée, stellte in seinem Buch ‚Revolutionierung des Kriegsbildes‘ fest, dass alle Aspekte der bürgerlichen Gesellschaft, die Sozialordnung, Wirtschaft, Informationswesen, etc. zu Teilen des Schlachtfeldes geworden seien.“

Svikahetja: „Gilt es nicht, Menschen in ihrer Not beizustehen? Dies nicht zu tun, wäre doch unterlassene Hilfeleistung, oder etwa nicht?“

Sagnfræðingur: „Offensichtlich hatte es sich bei dem General noch nicht herumgesprochen, dass sich die Form der kriegerischen Handlungen in den letzten zwei Jahrtausenden etwas geändert hat.“

Svikahetja: „Als da wäre?

Sagnfræðingur: „Falls ich richtig informiert bin, gab es einst zwei Formen. In der einen Form überfielen Bewaffnete Unbewaffnete, ermordeten, beraubten, vergewaltigten und versklavten diese, in der anderen Form standen sich die bewaffneten Beherrschten unter einem Herrscher sich den bewaffneten Beherrschten eines anderen Herrschers gegenüber und beschränkten sich darauf, sich gegenseitig in einem Event zu ermorden, welcher Schlacht genannt. Wobei in den Geschichtsbüchern festzustellen wäre, dass dies unabhängig von der Herrschaftsform geschah, also sowohl von so genannten Verfassungsstaaten praktiziert wurde, welche laut dem Stagirit dem Gemeinwohl zugewandt seien, demnach den Herrschaftsformen Königtum, Politie und Aristokratie,  als auch von deren Ableitungen, welche dem Eigennutz dienen, also der Oligarchie, Demokratie und Tyrannis.“

Svikahetja: „Nun, wie wir wissen, gibt es heute nur noch jene Herrschaftsformen, in welchen  entweder eine Minderheit aus einem Herrscher und seiner Entourage herrscht, oder eine Masse ihre politischen Entschlüsse als Mehrheit, demnach durch Gewalt durchsetzt. Und?“

Sagnfræðingur: „Verhält es sich nunmehr seit Jahrzehnten nicht so, dass die Form längst nicht mehr stattfindet, in welcher sich die bewaffneten Beherrschten unter einem Herrscher sich den bewaffneten Beherrschten eines anderen Herrschers gegenüberstanden und sich dabei darauf beschränkten, sich gegenseitig in einem Event zu ermorden? Wogegen ja nichts einzuwenden wäre, da bei dieser Form ja nur Bewaffnete gegen Bewaffnete antreten, kein Unbewaffneter dabei zu Schaden kommt, einmal davon abgesehen, dass die daran teilnehmenden Beherrschten zu dieser Tat entweder gezwungen wurden, oder aus Überzeugung daran teilnahmen.“

Svikahetja: „Nun, wir befinden uns nunmehr im Zeitalter der chirurgischen Schläge, sind demnach wieder zu der Form des sauberen Kriegs zurückgekehrt.“

Sagnfræðingur: „Wie wir wissen, dürfte dies einmal als die dreisteste Lüge der so genannten wissenschaftsbasierten Informationsgesellschaften in die Analen eingehen.  Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass die Anzahl der unbewaffneten Kinder, Frauen und Männer, welche in diesen so genannten sauberen Kriegen ermordet wurden, mittlerweile Abermillionen Menschen zählen.“  

Svikahetja: „Nun, dies sind mittlerweile keine zivilen Opfer mehr, sondern nur noch  Kollateralschäden.“

Sagnfræðingur: „Falls die Teilnahme an einem Krieg, sei dies nun durch Truppen oder Lieferung von Waffen, die einzige Ultima Ratio bliebe, um sich nicht des Tatbestands der unterlassenen Hilfeleistung schuldig zu machen, müssten sich demnach dort unten nur Feiglinge und Mitleidlose tummeln, wie etwa Mohandas Karamchand Gandhi. Wie willst du dir dann aber erklären, dass dieser Gemeinschaft dort unten trotz des Umstandes, über keinerlei bewaffnete Streitkräfte zu verfügen, es dennoch gelang, fremde Besatzer von ihrem Land zu vertreiben?“

Svikahetja: „Wie meinen?“

Sagnfræðingur: „Verhält es sich nicht so, dass fremde Truppen einst dieses Land nicht verlassen wollten, obschon deren bekanntgegebener Grund für die Invasion, dieses Land vor Feinden schützen zu müssen, schon längst nicht mehr vorhanden war, da der Feind bedingungslos kapituliert hatte?“

Svikahetja: „Soweit mir bekannt, handelten sie mit dem Treibholz, welches die Treibholzbucht nicht mehr verlassen wollte, einen Vertrag aus, welcher die Besatzung für eine bestimmte Zeitspanne legalisierte, erhielten im Gegenzug dafür die Mitgliedschaft in  der NATO, ohne jedoch jemals hierfür eigene Truppen aufstellen zu müssen, als Sahnehäubchen obendrauf sollen sie sich auch noch den   Bau des internationalen Flughafen Keflavík ausbedungen haben.“

Sagnfræðingur: „Waren dies nicht die Nachfahren jener Menschen, von denen erzählt wird, sie hätten einst andere Länder als Bewaffnete überfallen, dort in der Regel Unbewaffnete ermordet, beraubt, vergewaltigt und versklavt?“

Svikahetja: „So ist es. Ihr Verstand hatte sich weiter entwickelt seit jener Zeit.“

Sagnfræðingur: „Demnach ist es folglich durchaus möglich, dass der Mensch etwas durch Bildung dazulerne?“

Svikahetja: „Durchaus. Kein Politiker dort unten käme auf die skurrile Idee, Streitkräfte aufzustellen oder Waffen zu exportieren. Ein solcher würde – um es mit den Worten von Guðbergur Bergsson auszudrücken – konfirmiert und zu den Schwachsinnigen gezählt werden. Es war davon zu hören, dass einmal einer versucht haben soll, heimlich die Küstenwache mit Maschinenpistolen auszustatten. Als er dabei ertappt wurde, flüchtete er sich in die steile Behauptung, es sei ein Geschenk aus Norwegen gewesen, was der edle Spender prompt als Lüge entlarvte. Die Staatsbürger zeigten dem Dummkopf exemplarisch auf, worin der Unterschied zwischen Politie und Demokratie bestehe. Die Aufgabenteilung der Herrschaftsform Politie, welche keineswegs die Herrschaftsform der Mehrheit, sondern die Herrschaftsform von Arete, führte umgehend dazu, dass die Waffen wieder zurück geschickt wurden. Allerdings verhinderte diese Aufgabenteilung die Möglichkeit, dass sich kriegerisches Gehabe auf Worte beschränken könne, um danach Gefallene als Helden zu ehren, ohne sich an deren Tod jemals auch nur im Geringsten schuldig zu fühlen.“

Sagnfræðingur: „Nun, sie trösten sich über diesen Verlust mit dem Lesen von Sagen und Gedichten hinweg, da in diesen mehr Leben aufzufinden als an jedem Kriegerdenkmal.“.

Svikahetja: „Wie aber könnte ermöglicht werden, dass auch die Wohnzimmerkrieger bei den anderen Nationen diese Evolution durchlaufen?“

Sagnfræðingur: „Nur durch schmecken. Die Literatur bietet daher schon seit tausend Jahren solchen Wohnzimmerkriegern eine Anleitung, welche geeignet ist, ihren groben Unfug entweder zu unterlassen, oder wenigstens konsequent zu sein, denn alles andere könne allen Ernstes nur als Geschwätz und Ochlokratie aufgefasst werden.“

Der Troll Sagnfræðingur fasste Svikahetja bei der Hand und beide sangen voller Hingabe die isländische Empfehlung für Wohnzimmerkrieger.

(16) Ósnjallur maður
hyggst munu ey lifa,
ef hann við víg varast.
En elli gefur
honum engi frið,
þótt honum geirar gefi.

(16) Ein erbärmlicher Mensch
glaubt für immer zu leben
wenn er sich vor der Schlacht hütet.
Alter jedoch gibt
ihm keinen Frieden
auch wenn die Speere ihn gewähren

1) Anm.: Vers 16, „Hávámál og Völuspa“, Gísli Sigurðsson, Svart á Hvítu, Reykjavik 1986

Pan(nen)demie

Ónytjungur betrachtete am Abend gerade das bunte Treiben unten in der Stadt, als sein Freund  Ferðamaður den Öskjuhlíð heraufkam.

Ónytjungur: Sei willkommen, Ferðamaður. Was gibt es Neues über die wissenschaftsbasierte Informationsgesellschaft zu berichten? Ich hoffe, nur Gutes.“

Ferðamaður: „Wäre nicht erst zu klären, was du mit dem Begriff wissenschaftsbasierte Informationsgesellschaft meinst?“

Ónytjungur: „In der Tat. Soweit mir bekannt, gibt es da jene, in welcher nicht die Ergebnisse zählen, sondern nur Rollen und Privilegien, und solche, in welchen die Rolle nichts zählt, auch keine Privilegien gewährt werden, und nur dem Ergebnis rege Aufmerksamkeit zuteil wird. Auch in der Art der Beschaffung von Informationen ließen sich diese unterscheiden, in jene, welche als Haptiker Erfahrungen aus einer Vielzahl an Büchern schöpfen, vorzugsweise aus Philosophie, Literatur und Wissenschaft, und solche, welche sich lieber in so genannten sozialen Netzwerken tummeln und die Lektüre von Gedichten dahingehend bewerten, dass diese nicht mehr angemessen sei. Du erinnerst dich sicherlich noch an jenen Gast im Restaurant des BSÍ Terminals, der nach Weihnachten aus zwei prall gefüllte Einkaufstaschen nach und nach einen Gedichtband nach dem anderen herausholte, jeden an einer bestimmten Seite aufschlug, die gesamte Fläche des großen Tisches mit all den aufgeschlagenen Gedichtbänden pflasterte, um dann bei einer Tasse kräftigen Kaffees Stunde für Stunde einen Band nach dem anderen heranzuziehen und darin mit Genuss zu schmökern? Weswegen fragst du?“

Ferðamaður: „Ja, er hatte sich entweder in der Bókaflóð eingedeckt oder zahlreiche gute Freunde. Nun, woher ich komme, pflegt man lieber den Hang zum Zweitbuch, gut sichtbar im Wohnzimmerschrank, vorzugsweise Bildbände, Ratgeber oder sonst etwas Repräsentatives. Ich fragte, weil ich mir keinen Reim darauf machen kann, weswegen die Ergebnisse bei zwei unterschiedlichen wissenschaftsbasierten Informationsgesellschaften derart auseinander klaffen.“

Ónytjungur: „Als da wäre?“

Ferðamaður: „Nun, wie du sicherlich bereits erfahren hast, treibt sich gerade weltweit eine infektiöse organische Struktur herum, welcher reihenweise Menschen zum Opfer fallen, also daran sterben.“

Ónytjungur: „Hat sich auch hier oben herumgesprochen. Sind nicht alle wissenschaftsbasierten Informationsgesellschaften gleichermaßen von der infektiösen organischen Struktur betroffen? Ich erinnere mich, dass dort unten diese infektiöse Struktur zuerst entdeckt wurde, als Einheimische aus einem Ort  namens Ischgl krank zurückkehrten, und der Epidemiologe dort unten das Kaff bereits am 5. März darüber informierte. Reim dich oder ich fress dich.“

Ferðamaður: „Wie kommt es dann, dass dort unten die Letalitätsrate bei 0,1 % liegt, trotz einer  Infektionsrate von 45,5 % und anderenorts die Letalitätsrate bei 0,7 % trotz einer geringeren Infektionsrate von nur  21,6 %? Sicherlich hast du hierzu auch einen passender Reim  in deinem Portfolio.“

Ónytjungur: „Nun ja, hier treiben sich nur ungefähr 368.720 poten-tielle Opfer herum, anderenorts geht die Anzahl in mehrere Millionen, wie auch dir bekannt sein dürfte.“

Ferðamaður: „Ist dies dein Reim? Du entpuppst dich als Laubendichter?“

Ónytjungur: „Ich sage nur die Wahrheit.“

Ferðamaður: „Zweifellos, allerdings unterschlägst du dabei wesentliche Eigenschaften, was ich von dir bisher nicht gewohnt.“

Ónytjungur: „Welche wesentlichen Eigenschaften, du Naseweis.“

Ferðamaður: „Zum Beispiel jene, dass es dort unten nur eine Gesundheitsbehörde gibt, welche sich um ungefähr 368.720 potentielle Opfer sowie um die zusätzlich anreisenden Passagiere am internationalen Flughafen Keflavík zu kümmern hat, dort hingegen sich sage und schreibe 376 Gesundheitsbehörden um die Angelegenheit kümmern, im schlimmsten Fall für nur 338.218 potentielle Opfer. Zudem wurden hier alle Einreisenden – Jacke wie Hose,  ob nun geimpft, ungeimpft oder getestet – einem PCR-Test unterzogen, 5 Tage zur Quarantäne in eine kostenlose Unterkunft verwiesen, erhielten nach 5 Stunden das Ergebnis des ersten PCR-Tests und nach 5 Tagen Quarantäne das Ergebnis des zweiten PCR-Tests auch innerhalb von 5 Stunden, erst danach durften alle raus. Welchen Reim machst du dir nun darauf?“

 Ónytjungur: „Möglicherweise sind diesen dort die Hände gebunden …“

Ferðamaður: „Wieder daneben.“

Ónytjungur: „Nun bin ich s, der sich darauf keinen Reim machen kann. Hättest du auch eine Erklärung parat, welche auf vorhandene Plausibilität überprüfbar ist?“

Ferðamaður: „Wäre einen Versuch wert. Wie dir sicherlich bekannt sein dürfte, ist es die Zeit, welche bei einer Pandemie Leben rettet, oder etwa nicht?“

Ónytjungur: „Das ist eine Binsenweisheit, die keinen Wissenszuwachs bringt, da dies dort unten bereits jeder ABC-Schüler kennt. Und?“

Ferðamaður: Wie lange dauert es dort unten, bis die Infektionskette der infektiösen organischen Struktur unterbrochen wird?“

Ónytjungur: „Nun, die Gesundheitsbehörde dort unten hat umgehend selbst eine Warn-App entwickelt und bereits im April 2020 freigegeben. Die Ergebnisse von PCR-Tests wurden bereits spä-testens nach 5 Stunden mitgeteilt, war einer positiv, wurden dessen Kontakte umgehend aus der Warn-App von der Gesundheitsbehörde ausgewertet und gefährdete Kontaktpersonen unmittelbar per Anruf informiert, dass sich diese in Quarantäne zu begeben haben,  …“

 Ferðamaður: „… und erzielten damit eine 7-Tage Inzidenz von Null. Mir bekannt.“

Ónytjungur: „Und anderenorts?“

Ferðamaður: „Die verließen sich auf Antigen-Tests, Schüler mussten eine OP-Maske tragen.“

Ónytjungur: „Ei verbibbsch. Verhält es sich nicht so, dass Antigen-Tests sehr ungenau sind und OP-Masken bei einem Maskenball angebrachter wären?“

Ferðamaður: „Nun, glaubwürdige Quellen berichten, dass ein großer Online-Händler alle seine Mitarbeiter täglich am Eingang jedes Logistikzentrums einem Antigen-Test unterzieht und nur jene in den Betrieb lässt, welche negativ getestet wurden.“  

Ónytjungur: „Eine weise Maßnahme.“

Ferðamaður: „Dumm nur, dass die Anzahl an Mitarbeitern, welche an der Pforte negativ getestet wurden, kurz danach jedoch wegen Symptomen in einem PCR-Test positiv getestet wurden und deren Anzahl zunimmt.“

Ónytjungur: „Coup de théâtre! Taugen die Antigen-Tests nichts?“

Ferðamaður: „Du weißt ja, wo schnelles Geld gemacht werden kann, musst du auf Betrüger und Vetternwirtschaft nicht lange warten. Zudem sind dort die Behörden immer noch dabei, die feilgebotenen Produkte zu testen, um für die gutgläubigen Anwender die Spreu vom Weizen zu trennen.“

Ónytjungur: „Nach zwei Jahren? Da ist es doch gut, dass die geringe Anzahl von Konsumenten hier große Online-Händler nur müde abwinken lässt, da nix zu verdienen wäre, und dass die Bevölkerung dort unten noch über zwei Beine verfügt, alle Anbieter von Produkten ihre Geschäfte folglich nicht zu schließen brauchen. Wieso sind die dort nach zwei Jahren immer noch nicht damit fertig, die Spreu vom Weizen zu trennen? Steckt darin nicht ein sehr großes Gefahrenpotential?“

Ferðamaður: „Þetta er ekki til umræðu. Zudem zöge ich es vor, über jenes, von dem ich weiß, von einem Anderen zu hören. Ich fliege morgen nach Portugal.“ 

Ónytjungur: „Wie kommt’s?

Ferðamaður: „Ich habe Sehnsucht, einen oder eine Fadista zu hören.“

Ónytjungur: „Fado? Sehnsucht nach Liedern über vergangene Zeiten? Sehnsucht nach besseren Zeiten? Unglücklich verliebt?“

Ferðamaður: „Weit gefehlt, das Liedgut umfasst auch Werke zu sozialen Missständen.“

Ónytjungur: „Oder treibt sich dort die infektiöse organische Struktur nicht herum?“

Ferðamaður: „Weit gefehlt. Obschon dort seit Langem mehr als 90 % vollständig geimpft sind, steigt weiterhin kontinuierlich die Infektionsrate und liegt nun bei 33,6 %.“

Ónytjungur: „Nun denn, so sei es meinetwegen. Hast du vorher noch Lust, mit mir ein Lied zu singen?“

Ferðamaður fasste Ónytjungur bei der Hand und beide tanzten einen Reigen um Perlan herum.

(75) Veita hinn
er vætki veit,
margur verður af aurum api.
Maður er auðigur,
annar óauðigur,
skylit þann vítka vár. 1)

(75) Gewähre dem,
der nichts weiß;
oft wird Reichtum nachgeäfft.
Ein Mensch ist reich,
ein anderer arm,
keinem ein Vorwurf
wegen Unglück & Pech.

1) „Hávámál og Völuspa“, Gísli Sigurðsson, Svart á Hvítu, Reykjavik 1986 

Anmerkung: Am 30. März 2022 berichtet DER SPIEGEL:

Das Paul-Ehrlich-Institut hat vielen Antigenschnelltests ein gutes Zeugnis beim Omikronnachweis ausgestellt. Zu Unrecht, meint der Münchner Virologe Oliver Keppler, die Studie sei unzulänglich. Kritik gibt es vor allem an der Stichprobe. Der Münchner Virologe Oliver Keppler hält die günstige Bewertung von Corona-Schnelltests durch das bundeseigene Paul-Ehrlich-Institut (PEI) für falsch. Der Leiter der Virologie an der Münchner Ludwig Maximilians-Universität (LMU) wirft den Studienautoren des PEI vor, dass eine Arbeit, die das PEI in der vergangenen Woche veröffentlicht hat, wissenschaftlichen Standards nicht genüge. Keppler kritisiert unter anderem, dass die Zahl der Proben für eine verlässliche Studie viel zu gering gewesen sei. …

Es wurde eine viel zu kleine Zahl an respiratorischen Proben pro Virusvariante untersucht, nämlich 4, verglichen mit 50 bis 100 in den meisten internationalen Studien“, schreibt Keppler in seiner Bewertung der PEI-Studie. Die PEI-Daten erfüllten wissenschaftliche Mindeststandards nicht und seien daher nicht aussagekräftig.

Für solche Untersuchungen braucht es ausreichend große Probensets, um statistische Vergleichbarkeit zu erzielen“, heißt es in Kepplers Stellungnahme. Darüber hinaus seien weitere Untersuchungen mit in Zellkulturen expandierten Virusvarianten durchgeführt worden, obwohl die klinische Aussagekraft dieser Methode mittlerweile stark bezweifelt werde. „Man hat fast den Eindruck, hier wurde ein »Jugend Forscht«-Projekt durchgeführt.“

Die vielen Alltagsberichte von mehrfach falsch-negativen Antigenschnelltests selbst bei symptomatischen Menschen, bei denen dann erst Tage später per PCR Covid-19 diagnostiziert wird, sollten uns allen zu denken geben“, schrieb Keppler – und kritisierte das PEI scharf: „Für eine mit Millionen durch den Bund geförderte Bundesbehörde, deren genuine Aufgabe und Verantwortung es ist, diese Fragen fundiert und verlässlich für das Pandemiemanagement in unserem Land zu klären, ist dies fast vier Monate nach Erstbeschreibung von Omikronfällen in Deutschland viel zu spät, inhaltlich dünn und in der Aussagekraft fraglich.

Balu im Cafe Hresso

Wenig ist auf Ísland mehr geächtet als Anwendung von Gewalt.

Das völlige Fehlen von Mimikry verbindet sich auf Ísland – bei Individuen wie auch bei der Gemeinschaft insgesamt – mit absoluter Ächtung jeglicher Gewaltanwendung. Wenig verdeutlicht dies mehr, als eine gewaltsame Auseinandersetzung in der Hitze eines mitternächtlichen Pubs, wenn zu Live-Musik tanzend Individuen angetrunken aneinander geraten. 

Eine junge Frau sitzt allein an einem großen Tisch vor ihrem Bier und erwartet erkennbar, dass sie sich heute nicht allein amüsieren sollte. Sie fällt auf in dem Trubel, da die Nachkommen der Elfen und Tröll eigentlich nie alleine, sondern immer wenigstens zu zweit oder gar in kleinen Gruppen von Pub zu Pub ziehen, andere treffen, und in aller Regelmäßigkeit wiederum in kleinsten Gruppen, nun neu gemischt und zusammengesetzt, bald auch wieder den nächsten Pub ansteuern; in ihrem Verhalten irgendwie an Amöben erinnernd, die auf optimalste Art und Weise futterreiche wie futterarme Terrains durchmessen.

Ein stattlicher Bursche in Lederjacke springt in dieses Treiben, springt mit einem weitausholdenden Schritt in den Pub, zieht – für alle Anwesenden bestens sichtbar – auf der Tanzfläche eine spektakuläre One-Man-Show als Little-Travolta ab. Arme kurbeln, Hüfte schwingt, zum Abschluss der Vorstellung der spektakuläre Kniefall. Um sich dann – der Aufmerksamkeit aller Anwesenden gewiss, obschon kein einziger hinsah, da mit Interessanterem beschäftigt – gemessenen Schrittes an die Theke der Bar zu begeben, und nach der Bestellung eines Drinks sich nach alleinstehenden Seelen weiblichen Geschlechts umzusehen.

Die beiden haben sich gefunden. Bei gemeinsamen Cocktails und erotischem Gereibe an der Bar verrenken sich daraufhin beide sichtlich angeheitert lasziv auf der Tanzfläche in ihr Vergnügen. Der Bursche geht, von Erfolg gesättigt, zurück an die Bar, und gefällt sich dort in angeregten Gesprächen mit den Barmädchen, seine frische Eroberung allein vor sich hin wiegend auf der Tanzfläche zurücklassend.

Das ruft Balu den Bär ins Geschehen. Er trennt sich, ebenfalls allein sitzend, von seinem Glas Wasser; und – einer reifen Birne nicht unähnlich, mit verträumtem Gesichtsausdruck eines Balu – schwebt er nun zur Tanzfläche, mit dem gleichen tänzelnden Unterleib wie eben jener Bär, wie ein Gockel, mit seligem Lächeln im Nirwana der Verzückung sich aufhaltend, um mit der Alleingelassenen, von dieser hoch willkommen, in den siebten Himmel von Fred Astaire zu entschweben.

Solcherlei Verhalten war aber mit dem Selbstverständnis der billigen John-Travolta-Imitation nicht vereinbar, die daraufhin ihr Whiskyglas  nahm, sich von den Barmädchen abwandte, zur Tanzfläche schritt, und den Inhalt des Glases der frischen Eroberung über deren langes Haar schüttete.

Schon strömten zielstrebig aus allen vier Ecken des Pubs die in Schwarz gekleideten Türsteher auf den Burschen zu.

Wer sich nun eine zünftige Schlägerei oder wenigstens erregte Wortgefechte erwartet hatte, kam leider nicht auf seine Kosten. Die Türsteher, alle vier von Beruf Polizisten, welche sich Nächtens über einen zweiten Job im Pub durchs Leben bringen, argumentierten mit den sanftesten, freundlichsten Stimmen und gütigsten Gesichtern solange auf deeskalierende Weise mit dem Burschen, bis dessen erregte und angetrunkene Stimme immer leiser wurde, er sich verständig zeigte, und die Polizisten sich mit einem festen Händedruck von ihm verabschieden konnten. Als beim Hinausgehen die Durchnässte ihm in ihrer Frustration noch einen Fußtritt nachschicken wollte, packte sie einer der Türsteher und trug sie wieder zur Bar zurück, statt sie auch des Pubs zu verweisen.

Wenn nun jemand gehofft hatte, Umstehende würden dieses Spektakel von der unfreiwilligen Dusche bis zur Entfernung des Gewalttäters schaulustig begleiten, wurde dieser herb enttäuscht. Nicht ein einziger würdigte diese Szenerie mit einem Blick. Sie hatten ein interessanteres eigenes Leben, um sich an Ungewöhnlichem Aufregung verschaffen zu müssen, gingen sozusagen, wie Isländer es ausdrücken, in ihrer eigenen Spucke, und wollten darüber hinaus dem begießenden Pudel, da er in ihren Augen sein Gesicht verloren hatte, in aller Freundschaftlichkeit die Peinlichkeit wegen Aufmerksamkeit ersparen.

Ein Vergleich mit Gepflogenheiten in Vergnügungsstätten jener Länder, in welchen Feuerriesen hausen, erübrigt sich.

Es ist nachvollziehbar, dass als Ergebnis eines vom Milch-Absatzkartell des Elfenlands unter den Schülern ausgelobten Poesie-Wettbewerbs folgende Zeilen eines Schülers als Erkenntnis herauskamen, welche die Elfenkinder dann morgens auf den Milchkartons täglich beim Frühstück studieren konnten:

Þá
Mér fannst svo gaman
að kvelja hann
og enginn
þorði að klaga mig


Ég sá hann í dag,
hann er frægur.
Ég öfunda hann,
því hvað er ég?
Ekkert! 1)

Übersetzung:

Damals
war ich so glücklich
ihn zu peinigen
und keiner
wagte mich anzuklagen.

Jetzt
sah ich ihn heute,
er ist berühmt.
Ich beneide ihn;
was bin ich?
Nichts!  

1) Autor unbekannt

Einsicht als Bedürfnis

Lljósmynd:  © Ragnar Ómarsson

Die Trolle Grúskari und Kjaftaskúmur liegen unweit von Hnifsdalur auf dem Dach eines Kofi und betrachten das Polarlicht, welches ein rotes Kleid angezogen hat.

 Kjaftaskúmur: „Gibt es Neues von Ónytjungur?“

Grúskari: „Wie du weißt, leidet er immer noch unter dem Malheur, bei seiner Geburt nicht unter Unseresgleichen aufwachsen zu dürfen, da er flugs einer Familie als Wechselbalg  untergeschoben wurde.  Vermutlich befindet er sich noch in der imaginalen Welt, wo Geistiges verkörperlicht und Körperliches vergeistigt wird.“

Kjaftaskúmur: „Daher wohl auch sein übersteigertes Interesse an fremdartigen Kulturkreisen, steckt er doch ständig seine Nase in Angelegenheiten, welche ihn eigentlich nichts angingen.“

Grúskari: „Nun, er ist davon getrieben, auf seinen Reisen endlich vertrauenswürdige Zusammenhänge zu entdecken, da er immer noch einer erklärenden Orientierung  entbehre …“

Kjaftaskúmur: „Wie kommt‘s? Die Welt erfreut sich da draußen geradezu an einer wahren Sintflut an Orientierungshilfen, wird regelrecht hiervon überschwemmt, und bestünde diese Sintflut nicht aus Worten, sondern aus Wasser, keine Arche wäre groß genug, um sich vor ihr in Sicherheit zu bringen.“

Grúskari: „Er ist wohl aus Erfahrungen heraus zu der Ansicht gelangt, dass er einer anderen Erklärungsebene bedarf, da ihm die vorhandenen Erklärungsebenen zu viele Widersprüchlichkeiten enthielten.“

Kjaftaskúmur: „Widersprüchlichkeiten? Meint er Unstimmigkeiten?“

Grúskari: „Unstimmigkeiten ließen sich beseitigen. Wohl  eher Unvereinbarkeiten.“

Kjaftaskúmur: „Wozu gibt es Lehrer? Diese sind studiert und wissen sich in der Kunst, Unvereinbarkeiten auflösen zu können, gut zu helfen.“

Grúskari: „In der Tat. Er war auch sehr wissbegierig und konnte damals den ersten Schultag kaum erwarten, solange, bis ihm die Lehrerin am zweiten Schultag mitteilte, dass er eine Missgeburt sei, ihm mit einem Rohrstock ständig auf die Finger schlug, seine Zieheltern einbestellte und diesen dringend auftrug, sie sollten bei den Hausaufgaben seinen linken Arm auf den Rücken binden, damit er endlich mit der rechten Hand schreibe.“

Kjaftaskúmur: „Nun, es gab sicherlich pädagogische Gründe für diese Maßnahme, sonst hätten die Kultusministerien diese nicht angeordnet. Für was gibt es Geistliche, welche darin geschult wurden, sich um hilfsbedürftige Seelen zu kümmern und den Verzagten Trost zu spenden.

Grúskari: „Welche meinst du? Jene, welche bei einer Zeremonie Panzer und Haubitzen segnen und es noch nicht einmal zustande bringen, untereinander sich einig darin zu sein, ob die ein und dieselben Person jüdischen Glaubens sei oder nicht, Christ sei oder nicht,  Moslem sei oder nicht?“

Kjaftaskúmur: „Nun gut, er hätte sich als offenbarte Missgeburt auch an einen Arzt wenden können,  damit seine Plage ein Ende finde.“

Grúskari: „Er hatte begründete Zweifel, dass dieser geeignet gewesen wäre, ihn von seiner schweren Last zu befreien, denn seiner Erfahrung nach war wohl eher dessen Gegenteil zu erwarten. War er  doch jahrelang Augenzeuge, wie Eltern aufgetragen wurde,  den Köper ihres kleines Kindes jahrelang jede Nacht in eine Gipsform zu schnallen, in welchem dann das Kind gezwungen war, jede Nacht mit gestreckten Armen und Beinen auf dem Rücken zu liegen, da beide Arme und Beine mit einem Band an der Gipsform zu fixieren waren. Da wäre doch ein auf den Rücken gebundener Arm wohl das kleinere Übel, oder etwa nicht?“

Kjaftaskúmur: „Dumm gelaufen. Und was wäre dann seiner Ansicht nach eine Erklärungsebene, welche solcherart Unvereinbarkeiten beseitigen könne? Handelt es sich bei ihm dann nicht vielmehr um eine abhängige Kreatur, da er immer noch an seinen kindischen Wunden hängt, diese liebevoll leckt, statt sich bei allseits anerkannten Koryphäen hilfreichen Rat zu holen, welcher geeignet wäre, die von ihm als Unvereinbarkeiten  wahrgenommenen Sachverhalte in Luft aufzulösen?“

Grúskari: „Führt dies nicht zu so etwas wie einer griechische Tragödie? Damals wurde der Chorführer als Koryphäe bezeichnet, nun wird diese Titulierung solchen Personen zuteil, welche durch außergewöhnliche Leistungen hervorstachen, also Autoritäten und Sachkundige eines bestimmten Sachgebiets.“

Kjaftaskúmur: „Wieso sollte es in eine Art von griechischer Tragödie enden, wolle sich einer in die Hände von Experten begeben?“

Grúskari: „Du willst mir hier nicht allen Ernstes erzählen, dass jener Lehrer, Pfarrer und Arzt nicht genau dies taten, oder glaubst du etwa, deren Handlungen wären auf deren eigenem Mist gewachsen?“

Kjaftaskúmur: „Nun, die Zeiten ändern sich“.

Grúskari: „Was hat die Zeit damit zu schaffen? Sind es nicht vielmehr die Ideen, welche sich mit der Zeit ändern?“

Kjaftaskúmur: „Nun, die Schwarmintelligenz wird schon dazu führen, dass sich die besten Ideen durchsetzen werden.“

Grúskari: „Du meinst jenes Gebaren, welches dazu führte, dass in Afrika und Nordamerika ganze Völker  abgeschlachtet wurden, nur weil diese nicht bereit waren, den Preis für die Früchte solcher Ideen zu bezahlen?“

Kjaftaskúmur: „Nun, es ist ja noch nicht aller Tage Abend.“

Grúskari: „Was die Frage aufwerfe, wie lange eine Hoffnung aufrechterhalten werden könne, ohne dass diese erfüllt werde. Verhält es sich doch so, dass der Inhalt der Wahrnehmung und der Sinnesorgane sich in einer  kontinuierlichen Änderung befinden,  also einem ständigen Veränderungsprozess unterworfen sind.“

Kjaftaskúmur: „Will sagen?“

Grúskari: „Dass im Falle, es ist vorher in der Vernunft kein allgemeines Wissen vorhanden, es dann  auch nicht möglich sei, konkrete Sinneswahrnehmungen ins Allgemeine, ins Abstrakte, in Ideen umzuwandeln.“

Kjaftaskúmur: „Welcher Art könne dieses Wissen sein“? Erworben durch die Fähigkeit  des Übergangs vom Einzelnen zum Allgemeinen? Gibt es doch zwei Methoden der Behandlung. Die eine ist die analytische Methode, die andere ist die zusammensetzende Methode. Die analytische Methode beschränkt sich auf Funktionen und Eigenschaften, die zusammensetzende Methode auf die Eigenschaften der Funktionen und deren Ordnung.“

Grúskari: „ Nun, wäre hierzu nicht die Denkmethode laterales Denken vonnöten, um gegebene Pauschalisierungen als solche erkennen zu können, wie auch den Unterschied zwischen Pauschalisierung und Generalisierung?“

Kjaftaskúmur: „Nun, Pauschalisierungen sind bekanntlich  Ergebnisse von Dumpfbacken für Dumpfbacken, das Recht auf Meinungsfreiheit in Anspruch nehmend, allerdings mit der Einstellung betrieben, Argumente und Widerlegungen als schädlich einzustufen. Soweit mir bekannt, wendet im Gegensatz hierzu die Generalisierung analytische und zusammensetzende Methode an, von konkreten Beobachtungen ausgehend zu einer Abstraktion, indem die ermittelten Eigenschaften säuberlich getrennt einem Träger zugeordnet werden.“

Grúskari: „Was allerding vergeblich wäre.“

Kjaftaskúmur: „Wie meinen?“

Grúskari: „Nun, gesetzt den Fall, es entstünde hieraus ein wohldefinierter Begriff, so wäre damit keineswegs sichergestellt, dass alle unter dem Begriff sich jenes vorstellten, was der Begriff aussage.“

Kjaftaskúmur: „Wie kommts?“

Grúskari: „Nun, soweit bekannt, werden manche Begriffe durch Wesen dort im Tal durch Selbstbezeichnungen aus primitiven Beweggründen heraus einfach okkupiert, was einen Bedeutungswandel im Sinne einer Bedeutungsverschlechterung nach sich ziehe, der Begriff daher nicht mehr verwendbar wäre, sei er auch noch so durch saubere Generalisierung entstanden.“

Kjaftaskúmur: „Beispiel?“

Grúskari: „Der Begriff Querdenker.“

Kjaftaskúmur: „ Was wäre zu tun, um diesem Unfug eine Ende zu setzen?“

Grúskari: „ Woher kann ich das wissen? Ich bin weder Generalist noch Spezialist. Verhält es sich nicht so, dass der Generalist von immer mehr immer weniger weiß, bis er von Allem nichts mehr weiß, und der Spezialist von immer weniger immer mehr weiß, bis dass er von Nichts alles weiß?  Willst du mit mir ein Lied singen?“

Der Troll Grúskari ergreift die Hand von Kjaftaskúmur und beide tanzen singend einen Reigen.

(05) Vits er þörf
þeim er víða ratar.
Dælt er heima hvað.
Að augabragði verður
sá er ekki kann
og með notrum situr.
1)

(05) Einsicht als Bedürfnis
wer vielerorts den eigenen Weg findet.
Leicht ist es nur zuhause.
Dem werden  die Augen mit Spott geöffnet,
der ohne Wissen ist
und bei Weisen sitzt.

1) Anm.: Vers 5, „Hávámál og Völuspa“, Gísli Sigurðsson, Svart á Hvítu, Reykjavik 1986

Wie die Zukunft, schwarz und bitter?

Lljósmynd:  © Bernhild Vögel

Die isländische Sprache kennt zwei Verben für das deutsche Wort „schreiben“: „skrifa“ und „kvitta“. Intelligentere  Zungen behaupten, das Verb „skrifa“ solle nur  für die Herstellung literarischer Werke angewendet werden, für alles weitere genüge auch das Verb „kvitta“.

Im Jahr 1986, als überÍsland noch bei  „Völker draußen in der großen Welt … die meisten meinten, es sei von Eskimos bewohnt, die sich von Läusen ernährten“ und „es sich nur wenige leisten können, zwischen den Landesteilen hin und her zu rasen, mit Fahrrad auf dem Auto und Boot auf dem Wohnanhängerdach, ein so häufiger Anblick auf deutschen Straßen, wenn es hinaus ‚in die Natur‘ geht“-  um es mit den Worten von Guðbergur Bergsson auszudrücken -,  lag in der Buchhandlung Eymundsson der Band 3/1986, Ausgabe 143 von „die horen“ zu isländischer Nachkriegsliteratur, Kunst und Kultur, mit dem Titel „Wenn das Eisherz schlägt“, herausgegeben von Franz Gíslason, Sigurður A. Magnússon und Wolfgang Schiffer.

Dem Dichter Siguðrur Pálsson in seinem Gedicht „Auf der Straße des Gedichts“ folgend, war es damit möglich, isländische Dichtkunst der Gegenwart auch in deutscher Übersetzung zu lesen. Erfreulicherweise haben gute Gedichte kein Verfallsdatum, da zeitlos.  

Da weder Dichter noch Literat, möge daher für diese Bekanntmachung die Tätigkeit „kvitta“ angewendet werden:

Es mag sein, dass manche Leser Gedichtbände wie einen Maßkrug auf ex hinunterspülen. Eine angemessene Annäherung wäre allerdings, Gedichte wie einen guten roten Tropfen aus Barrique-Lagerung zu genießen, Schlückchen für Schlückchen schlürfend, mit viel Sauerstoff vermischt und mit Pausen dazwischen, um den Schluck im Abgang voll wirken zu lassen. Bei manchen Gedichten bleibt der Nachklang ein Leben lang,  so wie auch bei dem Gedichtband „Dass die Erde einen Buckel werfe“, Gedichte von Wolfgang Schiffer in deutscher Sprache, erhältlich am 21. Februar 2022 im deutschen Buchhandel, herausgegeben vom ELIF-Verlag. 1)

Nun, der Genuss gelänge sicherlich auch ohne Alkohol, zum Beispiel bei einer Kanne Kaffee. Ein Getränk, welches auf Ísland in jener Zeit, als noch kein Alkohol in den Restaurants und Cafes ausgeschenkt wurde, in 1 Literkannen serviert wurde. Demnach in jener Zeit, als auch noch keiner fragte, wie man denn den Kaffee wünsche. Heutzutage, wo die diversen möglichen Varianten mit der Anzahl an Varianten zu wohlfeilem Hunde- und Katzenfutter konkurrieren, mag der  Gourmet auf jene Art und Weise antworten, welche „smart Icelandic“ genannt wird : „Wie die Zukunft, schwarz und bitter.“

Nur soviel: Solange es Gedichte gibt, gibt es auch Anlass zur Hoffnung, dass die Zukunft nicht schwarz und bitter werde.  Es wäre daher zu wünschen, dass eines Tages das Gedicht „Lamento und Eingeständnis“ des Dichters Wolfgang Schiffer als öffentlicher „Sprechakt“ (Manifest) von allen Lesern unterzeichnet werden könne, mit dem Versprechen, von nun an damit zu beginnen, diesem Irrsinn abzuschwören und im Sinne des Verfassers durch Taten und Unterlassungen die Welt endlich in eine Lebenswertere aktiv zu verändern.

Bleibt noch zu wünschen, dass alle Gedichte des Dichters Wolfgang Schiffer eines Tages auch in isländischer Übersetzung erhältlich sind, und dass er fortsetzen möge, indem er noch weitere Gedichte hinzufüge; dass seine Hände weiterhin um seine Gunst buhlen, um es mit den Worten des Dichters Werner Friebel auszudrücken:

Die Hände buhlen um meine Gunst

Fleißig zieht die Rechte
Tintenbahnen über’s Blatt:
Hüpft unterwürfig dienstbereit,
meinen Gedanken Form zu geben;

derweil die Linke ruht
und katzenartig eingerollt
den Augenblick erschnurrt,
meinem Mund den Wein zu reichen.

1) „Dass die Erde einen Buckel werfe“. Gedichte, ELIF Verlag, Nettetal 2022, ISBN 978-3-946989-43-1

Gesetzt den Fall, es gebe …, dann …

Lljósmynd:  © Kári Þór Jóhannsson, Fiskbúð Sjávarfangs

Ónytjungur: „Verhält es sich nicht so, dass die Vorstellungskraft die Formen der  Sinneswahrnehmungen auch dann bewahre, wenn diese nicht mehr existieren?“

Lesandi: „Ich wüsste nicht, was dagegen spräche.“

Ónytjungur: „Und könnte es sein, dass die Tätigkeit des Zusammenfügens dieser Formen und ihrer Unterscheidung voneinander zu denjenigen Fähigkeiten gehört, die nicht zur Vorstellungskraft selbst gehören?“

Lesandi: „Vermutlich. Durch diese Tätigkeit kann einer sich bekanntlich auch vorgestellte Dinge erdenken, die unrealistisch sind, wie im Traum oder in den Träumen des Wachseins.“

Ónytjungur: „Gut. Nennen wir vorerst jene Instanz, welche diese Tätigkeit ausübt, die Kombinierende. Könnte es sein, dass  diese Fähigkeit  in ihrer Tätigkeit mit dem Gedächtnis verbunden ist?“

Lesandi: „Nun, wie sonst könne einer sich die Wahrnehmungen erneut vor Augen führen, stammten diese nun von den äußeren Sinnesorganen oder von den inneren Fähigkeiten wie Phantasie oder der  Kombinierenden. Wozu fragst Du?“

Ónytjungur: „Somit wäre es bei einem, welcher sowohl zu Sinneswahrnehmungen fähig,  als auch über Vorstellungskraft verfüge, für die Kombinierende durchaus eine Möglichkeit, fragte diese nach dem ‚Was wäre wenn‘?“

Lesandi: „Mit anderen Worten ‚Gesetzt den Fall, dass …‘ ? Nun, es war davon zu hören, dass der gegenwärtige isländische Staatspräsident  Guðni Th. Jóhannesson vor seiner Präsidentschaft Dozent an der Universität Ísland war. Ein Gegenstand seiner Forschungstätigkeit sei zum Beispiel die Methode  “Efsaga” (“Was wäre wenn”)  gewesen, an der Universität Reykjavík, Fakultät für Geschichte und Philosophie. Du willst mir gegenüber hoffentlich nicht behaupten, Du könntest dazu etwas Sinnvolles beitragen.“

Ónytjungur: „Wirke ich auf Dich, als würde ich unter Größenwahn leiden? Nein, ich würde diese Methode als Laie nur zu gerne einmal selbst anwenden. Ich hatte hierzu äußere Sinneswahrnehmungen aus dem Gedächtnis entnommen, womit sich dann die  Kombinierende zu beschäftigen hatte. Da ich – wie Du weißt – nur dazu fähig bin, etwas mehr oder weniger klar zu beschreiben,  wird es wohl das Beste sein, ich rufe die Fragestellung aus meiner Erinnerung zurück:               

 ‚Einmal angenommen, dass einer Lehre gefolgt werden könne oder nicht, also diese praktiziert werde oder nicht, so ist festzustellen, dass durch diese Lehre, da gelehrt, Festsetzungen der Art getroffen wurden, welche das, was sich innerhalb der Lehre befinde, von dem abgrenze, was außerhalb der Lehre sich befände.
Wie wäre dann eine Lehre beschaffen, zu welcher sich nichts außerhalb ihrer selbst etwas feststellen ließe, da alles innerhalb?
Wäre diese nicht eine Lehre, deren Eigenschaften aussagten, dass diese nicht gelehrt werden kann, und daher nur praktiziert werden könne?
Würde dies nicht auch bedingen, dass es nur eine einzige solche Lehre geben könne, und diese längst von allen praktiziert wird?
Denn gäbe es deren mehrere, worin könnten sich diese schon unterscheiden, da keine von ihnen gelehrt?
Und da nicht gelehrt, was könne da die Feststellung begründen, es gäbe auch nur einen Einzigen, der sie nicht praktizierte?
Wäre dann, aus dieser Sicht, erstens diese Lehre nicht eine Lehre von der Einheit, und daher per se einzigartig, und zweitens die Wege des Wissens so zahlreich wie die Anzahl der bisherigen Menschen?
Und wäre dies dann nicht auch der einzige Punkt, in welchem die Vielfalt dieser Lehre sich doktrinär ausdrückte?‘

Untersuche ich nun – ausgehend von der Annahme – die Folge daraus resultierender Ableitungen auf deren Gültigkeit, so entdecke ich darin nur vernünftige Schlussfolgerungen. Bin ich auf dem Holzweg?“

Lesandi: „Woher soll ich das wissen. Wie Du weißt, ist das Auge der Zufriedenheit für jeglichen Mangel zu schwach, so wie das Auge der Unzufriedenheit die schlechten Dinge ans Licht bringt.“