Die Trolle Grúskari und Kjaftaskúmur liegen unweit von Hnifsdalur auf dem Dach eines Kofi und betrachten das Polarlicht, welches ein rotes Kleid angezogen hat.
Kjaftaskúmur: „Gibt es Neues von Ónytjungur?“
Grúskari: „Wie du weißt, leidet er immer noch unter dem Malheur, bei seiner Geburt nicht unter Unseresgleichen aufwachsen zu dürfen, da er flugs einer Familie als Wechselbalg untergeschoben wurde. Vermutlich befindet er sich noch in der imaginalen Welt, wo Geistiges verkörperlicht und Körperliches vergeistigt wird.“
Kjaftaskúmur: „Daher wohl auch sein übersteigertes Interesse an fremdartigen Kulturkreisen, steckt er doch ständig seine Nase in Angelegenheiten, welche ihn eigentlich nichts angingen.“
Grúskari: „Nun, er ist davon getrieben, auf seinen Reisen endlich vertrauenswürdige Zusammenhänge zu entdecken, da er immer noch einer erklärenden Orientierung entbehre …“
Kjaftaskúmur: „Wie kommt‘s? Die Welt erfreut sich da draußen geradezu an einer wahren Sintflut an Orientierungshilfen, wird regelrecht hiervon überschwemmt, und bestünde diese Sintflut nicht aus Worten, sondern aus Wasser, keine Arche wäre groß genug, um sich vor ihr in Sicherheit zu bringen.“
Grúskari: „Er ist wohl aus Erfahrungen heraus zu der Ansicht gelangt, dass er einer anderen Erklärungsebene bedarf, da ihm die vorhandenen Erklärungsebenen zu viele Widersprüchlichkeiten enthielten.“
Kjaftaskúmur: „Widersprüchlichkeiten? Meint er Unstimmigkeiten?“
Grúskari: „Unstimmigkeiten ließen sich beseitigen. Wohl eher Unvereinbarkeiten.“
Kjaftaskúmur: „Wozu gibt es Lehrer? Diese sind studiert und wissen sich in der Kunst, Unvereinbarkeiten auflösen zu können, gut zu helfen.“
Grúskari: „In der Tat. Er war auch sehr wissbegierig und konnte damals den ersten Schultag kaum erwarten, solange, bis ihm die Lehrerin am zweiten Schultag mitteilte, dass er eine Missgeburt sei, ihm mit einem Rohrstock ständig auf die Finger schlug, seine Zieheltern einbestellte und diesen dringend auftrug, sie sollten bei den Hausaufgaben seinen linken Arm auf den Rücken binden, damit er endlich mit der rechten Hand schreibe.“
Kjaftaskúmur: „Nun, es gab sicherlich pädagogische Gründe für diese Maßnahme, sonst hätten die Kultusministerien diese nicht angeordnet. Für was gibt es Geistliche, welche darin geschult wurden, sich um hilfsbedürftige Seelen zu kümmern und den Verzagten Trost zu spenden.
Grúskari: „Welche meinst du? Jene, welche bei einer Zeremonie Panzer und Haubitzen segnen und es noch nicht einmal zustande bringen, untereinander sich einig darin zu sein, ob die ein und dieselben Person jüdischen Glaubens sei oder nicht, Christ sei oder nicht, Moslem sei oder nicht?“
Kjaftaskúmur: „Nun gut, er hätte sich als offenbarte Missgeburt auch an einen Arzt wenden können, damit seine Plage ein Ende finde.“
Grúskari: „Er hatte begründete Zweifel, dass dieser geeignet gewesen wäre, ihn von seiner schweren Last zu befreien, denn seiner Erfahrung nach war wohl eher dessen Gegenteil zu erwarten. War er doch jahrelang Augenzeuge, wie Eltern aufgetragen wurde, den Köper ihres kleines Kindes jahrelang jede Nacht in eine Gipsform zu schnallen, in welchem dann das Kind gezwungen war, jede Nacht mit gestreckten Armen und Beinen auf dem Rücken zu liegen, da beide Arme und Beine mit einem Band an der Gipsform zu fixieren waren. Da wäre doch ein auf den Rücken gebundener Arm wohl das kleinere Übel, oder etwa nicht?“
Kjaftaskúmur: „Dumm gelaufen. Und was wäre dann seiner Ansicht nach eine Erklärungsebene, welche solcherart Unvereinbarkeiten beseitigen könne? Handelt es sich bei ihm dann nicht vielmehr um eine abhängige Kreatur, da er immer noch an seinen kindischen Wunden hängt, diese liebevoll leckt, statt sich bei allseits anerkannten Koryphäen hilfreichen Rat zu holen, welcher geeignet wäre, die von ihm als Unvereinbarkeiten wahrgenommenen Sachverhalte in Luft aufzulösen?“
Grúskari: „Führt dies nicht zu so etwas wie einer griechische Tragödie? Damals wurde der Chorführer als Koryphäe bezeichnet, nun wird diese Titulierung solchen Personen zuteil, welche durch außergewöhnliche Leistungen hervorstachen, also Autoritäten und Sachkundige eines bestimmten Sachgebiets.“
Kjaftaskúmur: „Wieso sollte es in eine Art von griechischer Tragödie enden, wolle sich einer in die Hände von Experten begeben?“
Grúskari: „Du willst mir hier nicht allen Ernstes erzählen, dass jener Lehrer, Pfarrer und Arzt nicht genau dies taten, oder glaubst du etwa, deren Handlungen wären auf deren eigenem Mist gewachsen?“
Kjaftaskúmur: „Nun, die Zeiten ändern sich“.
Grúskari: „Was hat die Zeit damit zu schaffen? Sind es nicht vielmehr die Ideen, welche sich mit der Zeit ändern?“
Kjaftaskúmur: „Nun, die Schwarmintelligenz wird schon dazu führen, dass sich die besten Ideen durchsetzen werden.“
Grúskari: „Du meinst jenes Gebaren, welches dazu führte, dass in Afrika und Nordamerika ganze Völker abgeschlachtet wurden, nur weil diese nicht bereit waren, den Preis für die Früchte solcher Ideen zu bezahlen?“
Kjaftaskúmur: „Nun, es ist ja noch nicht aller Tage Abend.“
Grúskari: „Was die Frage aufwerfe, wie lange eine Hoffnung aufrechterhalten werden könne, ohne dass diese erfüllt werde. Verhält es sich doch so, dass der Inhalt der Wahrnehmung und der Sinnesorgane sich in einer kontinuierlichen Änderung befinden, also einem ständigen Veränderungsprozess unterworfen sind.“
Kjaftaskúmur: „Will sagen?“
Grúskari: „Dass im Falle, es ist vorher in der Vernunft kein allgemeines Wissen vorhanden, es dann auch nicht möglich sei, konkrete Sinneswahrnehmungen ins Allgemeine, ins Abstrakte, in Ideen umzuwandeln.“
Kjaftaskúmur: „Welcher Art könne dieses Wissen sein“? Erworben durch die Fähigkeit des Übergangs vom Einzelnen zum Allgemeinen? Gibt es doch zwei Methoden der Behandlung. Die eine ist die analytische Methode, die andere ist die zusammensetzende Methode. Die analytische Methode beschränkt sich auf Funktionen und Eigenschaften, die zusammensetzende Methode auf die Eigenschaften der Funktionen und deren Ordnung.“
Grúskari: „ Nun, wäre hierzu nicht die Denkmethode laterales Denken vonnöten, um gegebene Pauschalisierungen als solche erkennen zu können, wie auch den Unterschied zwischen Pauschalisierung und Generalisierung?“
Kjaftaskúmur: „Nun, Pauschalisierungen sind bekanntlich Ergebnisse von Dumpfbacken für Dumpfbacken, das Recht auf Meinungsfreiheit in Anspruch nehmend, allerdings mit der Einstellung betrieben, Argumente und Widerlegungen als schädlich einzustufen. Soweit mir bekannt, wendet im Gegensatz hierzu die Generalisierung analytische und zusammensetzende Methode an, von konkreten Beobachtungen ausgehend zu einer Abstraktion, indem die ermittelten Eigenschaften säuberlich getrennt einem Träger zugeordnet werden.“
Grúskari: „Was allerding vergeblich wäre.“
Kjaftaskúmur: „Wie meinen?“
Grúskari: „Nun, gesetzt den Fall, es entstünde hieraus ein wohldefinierter Begriff, so wäre damit keineswegs sichergestellt, dass alle unter dem Begriff sich jenes vorstellten, was der Begriff aussage.“
Kjaftaskúmur: „Wie kommts?“
Grúskari: „Nun, soweit bekannt, werden manche Begriffe durch Wesen dort im Tal durch Selbstbezeichnungen aus primitiven Beweggründen heraus einfach okkupiert, was einen Bedeutungswandel im Sinne einer Bedeutungsverschlechterung nach sich ziehe, der Begriff daher nicht mehr verwendbar wäre, sei er auch noch so durch saubere Generalisierung entstanden.“
Kjaftaskúmur: „Beispiel?“
Grúskari: „Der Begriff Querdenker.“
Kjaftaskúmur: „ Was wäre zu tun, um diesem Unfug eine Ende zu setzen?“
Grúskari: „ Woher kann ich das wissen? Ich bin weder Generalist noch Spezialist. Verhält es sich nicht so, dass der Generalist von immer mehr immer weniger weiß, bis er von Allem nichts mehr weiß, und der Spezialist von immer weniger immer mehr weiß, bis dass er von Nichts alles weiß? Willst du mit mir ein Lied singen?“
Der Troll Grúskari ergreift die Hand von Kjaftaskúmur und beide tanzen singend einen Reigen.
(05) Vits er þörf
þeim er víða ratar.
Dælt er heima hvað.
Að augabragði verður
sá er ekki kann
og með notrum situr. 1)
(05) Einsicht als Bedürfnis
wer vielerorts den eigenen Weg findet.
Leicht ist es nur zuhause.
Dem werden die Augen mit Spott geöffnet,
der ohne Wissen ist
und bei Weisen sitzt.
1) Anm.: Vers 5, „Hávámál og Völuspa“, Gísli Sigurðsson, Svart á Hvítu, Reykjavik 1986