Menningararfur

Der Bürgermeister der Gemeinde trat an das Rednerpult, begrüßte die Gäste der Konferenz, und bedankte sich dafür, dass so viele der Einladung gefolgt waren. War doch die Einladung allgemein an alle Mitglieder der Gemeinde gerichtet, und nicht nur an  vorher bestimmte Personen.

Lljósmynd: © Kári Þór Jóhannsson, Fiskbúð Sjávarfangs

Nur die Sitzordnung war vorherbestimmt, denn jeder der großen runden Tische im Konferenzraum der Stadtverwaltung war vor Beginn der Konferenz mit einem Aufsteller versehen worden, der in englischer Sprache die Gäste darauf hinwies, welche Sprache an diesem Tisch gesprochen werde: „Philippinisch“, „Thailändisch“, „Polnisch“, „Englisch“, „Französisch“, „Deutsch“, „Isländisch“, etc. An jedem dieser Tische saß ein Muttersprachler, der – da bereits langjähriges Mitglied der Gemeinde – auch die Landessprache fließend beherrschte, damit ein jeder allen anderen gleichgestellt sei, und nicht durch Sprachbarrieren an der Teilnahme behindert.

Der Bürgermeister der Gemeinde stellte am Beginn seiner Rede zur Begrüßung der Teilnehmer seine Stadt vor. An Einwohnern zähle sie 2.560 Mitbürger, wobei zu erwähnen wäre, dass 30 % der Mitbürger nicht in diesem Land aufgewachsen seien, sondern in 29 anderen Nationen der Welt. Die Konferenz habe das Ziel, von diesen zu erfahren, mit welchen Schwierigkeiten und Hindernissen sie konfrontiert seien, und durch welche Maßnahmen die Gemeinde dem abhelfen könne. Aus diesem Grund werde jedem Teilnehmer eine umfangreiche Liste an Fragen vorgelegt, mit der Möglichkeit, dass ein jeder seine persönliche Antwort als Betroffener abgeben könne. Zu diesem Zweck sei jedem Teilnehmer ein Notizzettel-Block zur Verfügung gestellt worden, damit jeder seine Antwort in seiner Muttersprache darauf niederschreiben könne. An jedem Tisch sitze eine Person, die nicht nur dessen Muttersprache spreche, sondern auch die Landessprache. Diese Person werde die Antwort jedes Teilnehmers am Tisch zu jeder einzelnen Frage sammeln, und am Ende jede einzelne Antwort vortragen, so dass alle Teilnehmer alle Antworten erfahren. Da damit zu rechnen sei, dass die Konferenz deswegen mehrere Stunden in Anspruch nehmen werde, habe man für das leibliche Wohl vorgesorgt, und es sei ein Buffet vor dem Konferenzraum für alle Teilnehmer bereitgestellt.

Lljósmynd: © Kári Þór Jóhannsson, Fiskbúð Sjávarfangs

Unweit des Konferenzraums, in dem Gebäude, in welchem die Universität der Gemeinde untergebracht, befindet sich eine weitere Lehranstalt, die mit der Bezeichnung „Schule für lebenslanges Lernen“ wohl am besten beschrieben. Im Rahmen deren Angebots werden didaktisch und methodisch durchdachte Sprachkurse in zweckdienlicher Form bereitgestellt, die aufeinander aufbauen, von professionellen Pädagogen durchgeführt, mit dem Ziel, die Schüler in die Lage zu versetzen, in der Landessprache kommunizieren zu können. Und so ist es keineswegs ungewöhnlich, in einem Klassenzimmer elf Schüler vorzufinden, die aus drei Kontinenten kommend, und sechs verschiedene Muttersprachen sprechend, von einem Mitschüler zum anderen gehen, mit diesem einen freien Dialog zu einer bestimmten Situation in der Landessprache führen, die Lehrerin bei den sich durchwechelnden Zweiergruppen dabei mithört, und bei Bedarf bei einem Schüler dessen praktizierte Aussprache, Wörter und Grammatik korrigiert.

Für die Schüler der Sprachkurse ist von Vorteil, dass in der Gemeinde auch das Büro der Gewerkschaft aufzufinden ist. Verhält es sich doch so, dass jeder Lohnempfänger des Landes per Gesetz automatisch Gewerkschaftsmitglied ist, daher die Unternehmen bei der Lohnabrechnung neben der Steuer auch den Gewerkschaftsbeitrag abführen, der auf 1 % des Bruttolohns festgesetzt. Was dazu führt, dass die Gewerkschaft dem Teilnehmer der Sprachkurse 75 % der Kursgebühren erstattet.

Lljósmynd: © Kári Þór Jóhannsson, Fiskbúð Sjávarfangs

Es ist verständlich, dass ein Außenstehender, dem Kultur bis dahin noch fremd, sich mit der Frage konfrontiert sieht, was denn das Bewirkende sei, die zu solcherart Bewirktem führe. Dabei wäre die Antwort naheliegend, und vom isländischen Staatspräsident Guðni Th. Jóhannesson bereits mit einem einzigen Satz beantwortet: “Wir können die Regierung auswechseln, aber wir können nicht die Wähler auswechseln.”