Für den Weg ins Stade de France
ein paar heimatliche Klänge für die 24:
Als der isländische Schriftsteller Jón Kalman Stefánsson noch ein – wie heißt es so schön – „unbeschriebenes Blatt“ war, arbeitete er in der Fischindustrie, um das Geld für den Druck seines ersten Buches zusammenzubringen. Als er schließlich den Arbeitskollegen stolz den selbstverlegten Gedichtband zeigte – kurze Gedichte, jedes auf seiner eigenen Seite – sprach einer aus, was alle dachten: „Platzverschwendung!“.
Wenn Worte Fische wären, wenn sich ihr Wert danach bemäße, wie viele sich im Netz befinden, wenn es dabei um lang und breit ginge, und wie leicht sie sich zerlegen ließen, trockene Worte, gesalzene, aalglatte und solche, die nur zur Zierde eingefangen werden …
Das isländische Wort skrúðmælgi bedeutet „Zier-Geschwätz“. Skrúð (Pracht, Zier, Ornament) findet sich auch im Wort skrúðgarður, Ziergarten. Vor über 100 Jahren schuf der Schulvorsteher von Núpi im Dýrafjörður mit seinen Schülern eine Gartenanlage, die noch heute besteht. Skrúður, wie er sie nannte, war ursprünglich mehr ein Nutzgarten als ein Ziergarten. Hier findet sich heute unter anderem auch ein Kraut, das in den 1920er Jahren als Zierpflanze nach Island kam. Mit seinen feinen weißen Blütendolden und dem üppigen Blattwerk bietet skogarkerfill, der Wiesenkerbel, einen angenehmen Anblick, hat sich aber inzwischen als wahre Landplage erwiesen, denn er verbreitet sich explosionsartig und laugt die Böden aus.
Kann man den aus den Ziergärten ausgebrochenen Kerbel mit Ziergeschwätz bekämpfen? Jein.
Die Gemeindeverwaltung Ísafjarðarbær kündigte kürzlich ein Experiment zur „ökologischer und nachhaltiger Vernichtung von Kerbel“ an unter Hinweis, dies sei die Formulierung in skrúðmælgi.
Nun ist blumiges Geschwätz allerorts nötig, wenn es gilt, Projektfördermittel zu ergattern oder/und einem Vorhaben einen wissenschaftlichen Anstrich zu verleihen. Jedoch in einer schönen Form der Selbstironie folgte der ziergeschwätzigen Formulierung sogleich die mannamál-Fassung. Mannamál heißt menschliche Sprache und hat als Gegensatz zu skrúðmælgi die Bedeutung „Klartext“ oder, was hier besser passt: „in unverblümter Sprache“. In dieser entblättert sich das Projekt als vielblättrige Aufgabe für zwei Mutterschafe und ihrer vier Sprösslinge.
Ein paar Worte zum historischen Kontext: Einst bevölkerten unzählige Schafe auch kleine und größere isländische Orte, sicherlich oft zum Verdruss der Bewohner, die Wert auf Zier- und Nutzgärten legten. Schafe sind Feinschmecker und lieben die kulinarische Abwechslung, sie haben sicherlich dafür gesorgt, dass sich Zierpflanzen nicht zu sehr verbreiteten. Jedoch scheint das Wissen, ob Schafe besonders gerne Kerbel fressen und wenn, wie viel, seit Reduzierung der Schafbestände und Einführung der vor jedem Ortseingang in die Straße eingelassenen Tiersperren (Viehgatter bzw. rimlahlið genannt) verlorengegangen zu sein.
Nun sind die hornlose dunkelwollige Svarta-Hrönn und die hellhaarige gehörnte Ljúfa auf Probe bei der Gemeinde angestellt, um im Dorf Suðureyri, das besonderen Wert auf seine nachhaltig betriebene Fischerei legt, den Kerbel abzuarbeiten und dabei ihre vier Lämmlein anzulernen. Zu diesem Zwecke wurde ein kerbelreiches Areal zwischen zwei Häusern am Ende der Hauptstraße mit doppeltem Elektrozaun umrahmt und ein Informationsschild aufgestellt. Die Mutterschafe machten sich anfänglich entzückt an die Arbeit, während die Lämmlein den herben Kerbelgeschmack sozusagen mit der Muttermilch aufsogen.
Das abzufressende Areal umfasst auch das Denkmal für den Dichter Magnús Hj. Magnússon, der hier in einer Kate am Abhang über dem Ort seine letzten Lebensjahre verbracht und der Nachwelt unter anderem 4.000 Tagebuchseiten aus fast einem Vierteljahrhundert hinterlassen hat. Er hatte das Häuschen, das er zwei Jahre vor seinem frühen Tod erwarb, Þröm (Ecke, Kante) getauft und daher nannte man ihn Skáldið á Þröm, den Dichter an der Kante.
Die Kindheit des 1873 geborenen Magnús war durch Krankheit und grausame Behandlung geprägt. Er bezog viele Jahre lang Armenunterstützung, verfasste Auftrags-Liebesgedichte, gereimte und ungereimte Nachrufe und Eingaben, arbeitete als Tagelöhner in der Fischverarbeitung und als Wanderlehrer. Die Verführung einer 14-jährigen Schülerin brachte ihn 1911 für ein Jahr ins Gefängnis nach Reykjavík. Vier der sechs Kinder, die er zusammen mit seiner Lebensgefährtin hatte, starben früh.
Die über 23 Jahre geführten täglichen Tagebucheinträge, die immer mit einer kurzen Wetterbeschreibung beginnen, zeigen, wie eng vertraut der Außenseiter als Liebesbote, Nachrufer und Geschichtentransporteur mit den Geschicken seiner Mitmenschen war. Neben Einblicken in das Leben, Denken und Dichten von Magnús bieten die Tagebücher daher auch mannigfache sozialgeschichtliche Informationen.
Magnús schreibt in einem 1914 verfassten Lebensrückblick, vom neunten Lebensjahr bis 1896 habe er das Gefühl gehabt, überall offenbare sich ihm das Antlitz Gottes. „Mir war, als höre ich die ganze Natur einstimmen in den Klang der Offenbarung des Göttlichen und ich sei auch inmitten dieser Stimmenflut. Mir schien mein Ich so klein in diesem himmlischen Glanz.“
Aus diesen knappen Zeilen macht Halldór Laxness eine blumige, wenn nicht gar eine etwas ziergeschwätzige Erweckungsszene, die sich allerdings mit der Aussage, dass sich das Göttliche nicht über Worte offenbart, selbst wieder zurücknimmt:
„Niemand auf dem Hof ahnte, dass der Junge in direkter Verbindung zu Gott stand, und niemand auf dem Hof hätte es verstanden. Alle auf dem Hof hörten weiter das Wort Gottes aus einem Buch. Nur er wusste, dass diese Menschen Gott nie verstehen würden, selbst wenn sie tausend Jahre lang sein Wort hörten, und Gott würde vermutlich kaum darauf verfallen, sie an sein Herz zu nehmen.“
Magnús, dem Ziergeschwätzigkeit wohl ebenso fremd war wie laxnessche Ironie, hat die Passage über den Klang der Offenbarung des Göttlichen in seinen Lebenslauf eingefügt, um die Entstehung seines Vierzeilers zu erklären, der da lautet:
„Þegar sálar augum á
alheims lít ég búa.
Ó, hvað lítill er ég þá
í öllum þessum grúa.“
(Wenn ich mit den Augen der Seele auf des Weltalls Bewohner sehe, oh, wie winzig bin ich da in diesem ganzen Schwarm)
Der Klang der Offenbarung des Göttlichen hat nach Laxness, der den ersten Teil seiner Weltlicht-Tetralogie danach benannt hat, auch den Künstler Ragnar Kjartansson und den Komponisten Kjartan Sveinsson zu einer gleichnamigen Produktion inspiriert, die 2014 an der Volksbühne Berlin Premiere hatte. Wer heute Laxness‘ Weltlicht liest, ahnt nicht, dass der „Ljósvikingur“ tatsächlich existierte. Laxness hat nicht verheimlicht, Magnús zum Vorbild für die Romanfigur Ólafur Kárason genommen zu haben, was für seine Zeitgenossen ja auch offensichtlich war. Doch in welchem Umfang er aus dessen Aufzeichnungen schöpfte, lassen erst die von Sigurður Gylfi Magnússon 1998 unter dem Titel Kraftbirtingarhljómur Guðdómins (Klang der Offenbarung des Göttlichen) veröffentlichten Tagebuchauszüge von Magnús Hj. Magnússon erkennen.
In den Westfjorden entstand 2012 ein Theaterstück über Magnús, und sicherlich ist auch sein Todestag, der sich am 30. Dezember 2016 zum einhundertsten Male jährt, ein Anlass, dort seinem Werk wieder zu begegnen.
Erst einmal aber sind die verwitterten Stufen hinauf zum Magnús-Denkmal für Menschen gesperrt. Da Schafe gern menschliche Bauten und Straßen nutzen, erkundeten Svarta-Hrönn, Ljúfa und ihre Sprösslinge das steinreiche Monument sofort; inzwischen dient ihnen das Fundament als Terrasse, Aussichtsplattform und Schattenspender.
Doch den Kerbel, so schien es, hatten sie wohl gründlich satt. Bei näherem Hinsehen stellte eine botanisch versierte Person fest, dass die Schafe den herben Wiesenkerbel (skógarkerfill) tatsächlich ganz abgefressen haben, die ähnlich aussehende Süßdolde (spánarkerfill) aber nicht anrühren. Dieses, auch Spanierkerbel genannte Kräutergartengewächs, das nach Anis duftende Blütendolden und üppigeres Blattwerk hat, breitet sich zusammen mit dem Wiesenkerbel in Suðureyri und anderen Orten der Westfjorde ungehindert aus.
Von Süßdolden und anderem süßen Zierzeug lassen sich Ljúfa und Svarta-Hrönn offensichtlich nicht beeindrucken, sind sie es doch gewohnt, ihre Lämmer hinauf in die Berge zu führen, wo die Vegetation karg, aber herbwürzig ist. Magnús, hat bei seinen vielen Gängen von Fjord zu Fjord (damals führten nur Pfade über die Bergpässe) auch botanische Studien betrieben und 43 verschiedene Kräuter gezählt.
Der mit 43 Jahren verstorbene Skáldið á Þröm hätte sich kaum darum geschert, welches Schaf heutzutage am Hang herumklettert, wenn nur kein Schurke (illmenni) die Blume des Glücks ausrottet (upprætir hamingjublóms). Doch wo wächst sie?
„Wer sie entdeckt“, schreibt Halldór Laxness in der oft zitierten Passage über die schönste Blume, die an einem verborgenen Ort lebt, „für den gibt es keine andere Blume mehr. Den ganzen Tag denkt man an sie. Wenn man schläft, träumt man von ihr. Man stirbt mit ihrem Namen auf den Lippen.“ (Weltlicht IV, Kap. 22).
Den Dichterpfaden, die ins blumige Reich der Metaphern führen, folgen Ljúfa und Svarta-Hrönn nicht. Sie träumen allenfalls davon, befreit von Elektrozäunen, Ziergeschwätz und -gewächs 43 namenlose Bergkräuter zu verkosten, die schönsten auf den Lippen zergehen zu lassen und genüsslich wiederzukäuen.
Ónytjungur: „Lass uns mit unseren Sprachübungen fortfahren. Oder ist dir die Lust an geheimnisvoll klingendem sinnlosen Geschwätz verloren gegangen, weil du möglicherweise abgehört wirst?“
Tilvera: „Keineswegs. Wie wäre es mit dem Unterschied zwischen Tätigkeitsform und Leideform? Verhält es sich bei diesen Formen doch so, dass die eine Form tätig beschreibe, wodurch ein Subjekt vonnöten, das durch tätige Handlung empfange, demnach untätig.“
Ónytjungur: „Es ist offensichtlich, dass für jede tätige Handlung ein Empfänger notwendig. Wie verhält es sich mit dem Gegenteil von tätig, mit untätig? Ist unterlassen nicht auch tätig, demnach handeln?“
Tilvera: „Auch unterlassen ist tätig. Tun und Unterlassen sind nur Mittel.“
Ónytjungur: „Wie verhält es sich bei reden und schweigen?“
Tilvera: „Auch reden und schweigen sind nur Mittel.“
Ónytjungur: „Worum-willen?“
Tilvera: „Einer Absicht folgend, einem Zweck dienend, um ein Ziel zu erreichen.“
Ónytjungur: „Und wo keine Absicht vorhanden? Ich frage nur, denn ich bin kein Scholastiker. Nicht von so genannten höherem Bildungswesen geprägt.“
Tilvera: „Jede Handlung wirkt sich auf den Handelnden unmittelbar selbst aus, sei diese nun Tun oder Unterlassen, sei diese mit Absicht, oder ohne diese. Ob einer das nun will, oder nicht will. Was soll deine Frage?“
Ónytjungur: „Es heißt, Handlungen würden sich aus drei Wirklichkeiten zusammensetzen, aus Mittel und Zweck, und einer Beziehung zwischen beiden solcher Art, dass diese Aussagen bereitstelle, ob das Mittel der Handlung dem Zweck entspreche oder nicht.“
Tilvera: „Ich verstehe immer noch nicht.“
Ónytjungur: „Wenn es so ist, dass Handlungen, also tun und unterlassen, nur dann Handlungen sind, wenn diese sich aus den genannten Wirklichkeiten zusammensetzten, wäre angesichts des Zustandes, in dem sich die Welt im Augenblick uns beiden zeigt, nicht danach zu fragen, welche Zwecke da eigentlich verfolgt wurden? Ich meine, bezogen auf reden und schweigen.“
Tilvera: „Die durch das Mittel reden und schweigen verfolgten Zwecke gehorchen den zugrunde liegenden Absichten.“
Ónytjungur: „Demnach beruht der Zustand, in dem sich die Welt im Augenblick uns beiden zeigt, allein auf Absicht. Wessen Absicht? Denn Absicht erfordere notwendig wenigstens einen, der Träger der Idee. Geht doch Idee jeder Absicht voraus, da Absicht ohne Idee nicht möglich.“
Tilvera: „Demnach fragst du nach den Ideen, die zu jenem Zustand führten, in dem sich die Welt im Augenblick uns beiden zeigt.“
Ónytjungur: „So ist es. Die durch das Mittel reden und schweigen verfolgten Ideen.“
Tilvera: „Wolltest du nicht über den Unterschied von Tätigkeitsform und Leideform sprechen?“
Ónytjungur: „So ist es. Diese Formen beziehen sich allerdings auf Sprache, demnach auf reden und schreiben, nicht jedoch auf schweigen. Nun gibt es neben Ideen auch noch Gedanken, und nicht jeder Gedanke ist Idee, es ist noch nicht einmal geklärt, ob Gedanken in Sprache stattfinden oder nicht. Oder ist dir die Frage unbekannt: Hast du den Gedanken, ehe du den Ausdruck hattest?“ Was könnte geantwortet werden? Und was auf die Frage: Worin bestand der Gedanke, wie er vor dem Ausdruck vorhanden war?“
Tilvera: „Erfolgten Gedanken in einer Sprache, wäre kein Aufwand erforderlich, das Erhaltene in adäquate Sätze zu quetschen. Wie wir beide wissen, ist es jedoch …“
Ónytjungur: „Und redete ich dann das in Sätze einer Sprache gequetschte, ist es dann so, dass ich erschaffen werde während ich rede, oder so, dass ich schaffe, während ich rede? Ich frage nur, denn das eine wäre ja die Leideform, das andere die Tätigkeitsform.“
Tilvera: „Sowohl das eine, wie auch das andere.“
Ónytjungur: „Soso. Was konntest du feststellen auf deinen Reisen? Ich meine, in Bezug auf Sätze, die auf solche Art und Weise einer Öffentlichkeit zugänglich gemacht?“
Tilvera: „Ich stellte fest, dass in den letzten tausend Jahren auf diese Weise Texte in solchem Umfang entstanden, dass bei genauer Betrachtung dieser Entwicklung in Summe ein exponentieller Verlauf zu konstatieren ist.“
Ónytjungur: „Wenn es so ist, dass Texte die Eigenschaft besitzen, Wissen herzustellen, so frage ich mich, wie es dann dazu komme, dass sich nach solch exponentiellem Verlauf aneinandergereihter Sätze, Texte, Bücher, die einer Öffentlichkeit zugänglich gemacht, sich die Welt in dem Zustand befinde, in dem sie im Augenblick ist.“
Tilvera: „Es verhält sich so, dass schon während noch Satz an Satz zu reihen, diese zu Text verwebend, ungezählte Unterlassungen und deren Gegenteil geschehen, die noch unvollständigen Sätze den Fakten daher nur hinterher eilen, ohne diese jedoch jemals einholen zu können. Ziehen solche Texte dann auch noch bereits vorhandene Texte aus der Vergessenheit in die Erinnerung, im Glauben, darüber etwas am gegenwärtigen Zustand ändern zu können, so übersieht diese Handhabung die faktische Mitteilung, dass diese Texte vergessen wurden, da ihnen keine Beachtung in hinreichendem Maße zuteil wurde, und es einer gewissen Naivität bedarf, anzunehmen, dies werde sich nun anders verhalten.“
Ónytjungur: „Wie verhält es sich mit den Gegenständen, die auf solche Art und Weise einer Öffentlichkeit zugänglich gemacht?“
Tilvera: „War vor Entwicklung der Medien wie Zeitung, Buch, Radio, TV und Internet die umgebende Welt für den darin sich Aufhaltenden noch nachvollziehbar, zeigt diese sich nun komplex. Wo vordem nur Wissen über unmittelbar umgebende Welt, trat die gesamte Welt, bzw. das, worüber Informationen – in welcher Form und zu welchem Zweck auch immer – her- und bereitgestellt. Mit dem Ergebnis, dass die gesamte Welt als eine solche aufgefasst, die durch solch selektierten Informationen beschrieben, damit als bereits vollumfänglich bzw. wenigstens hinreichend von breiter Masse beurteilt und angesehen.“
Ónytjungur: „Wird darüber nicht ein Irrtum herstellt, mit fatalen Folgen? Werden doch darüber Vorstellungswelten generiert, die einzig das Beschriebene als das Gegebene auffassen, und das Nichtbeschriebene als Nichtgegebenes, somit als irrelevant vernachlässigen, da es nicht beschrieben, auf welche Art und Weise auch immer.“
Tivera: „Das Problem ist, dass bei dieser Gattung in der Masse stets nur jener Gockel gehört wird, der am lautesten kräht.“
Ónytjungur: „Wäre dann nicht zu sagen, dass vordem aus unmittelbar umgebender Welt, die nur aus jenem sich zusammensetzte, was die jeweils unmittelbar umgebende Welt abwarf, sich hinreichender Sinn für jene ergab, die sich darin aufhielten? Wogegen der Sinn, den nun die Völker draußen in der großen Welt mit ihrem ganzen internationalen Denken im Bildungskoffer herstellen, sich einem nicht erschließe, es sei denn, einer gehe davon aus, so etwas erfülle bereits an sich einen Sinn, oder führe zu einem?“
Tivera: „Du vergisst, dass diese Entwicklung dazu führte, dass nun jeder ein Selfie machen kann, was vorher nicht möglich war. Was zur Vermehrung des Glücksgefühls beitrug.“
Ónytjungur: „Und wie geht es jenen, die deren Ansicht nach durch das Nichtbeschriebene hinreichend umrissen, und nun mit dem Modalverb soll bearbeitet? Ich meine jene, die auf solche Art und Weise selektierter Informationen von breiter Masse nicht erfasst, also die Nichtbeschriebenen? Wären diese dann nicht das Opfer jener Beweggründe, die dazu führten, dass eben diese Informationen aus der Vielfalt der Informationen entnommen, und nicht die sonst noch vorhandenen?“
Tivera: „Was nicht beschrieben, ist irrelevant, sonst wäre es ja beschrieben.“
Ónytjungur: „Und was wäre gewonnen, würden auch diese sich beschreiben? Ich frage nur, da du feststelltest, dass die Texte, die einer Öffentlichkeit zugänglich gemacht, bereits einen solchen Umfang angenommen, dass bei genauer Betrachtung dieser Entwicklung in Summe ein exponentieller Verlauf zu konstatieren war.“
Tivera: „Nun, es wäre wenigstens geäußert. Vielleicht ließe sich darüber ein spezieller Dachschaden reparieren, von dem immer mehr Angehörige dieser Gattung befallen.“
Ónytjungur: „Von welchem Dachschaden redest du?“
Tivera: „Stell dir eine Promenadenmischung vor. Was würdest du sagen, wenn eine Promenadenmischung auf die Idee käme, sie sei eine ganz besondere Sorte, und gar keine Promenadenmischung, daher erhaltenswert wäre, sich abgrenzen müsse, koste es auch was es wolle, da sie keine Promenadenmischung werden wolle.“
Ónytjungur: „Dass diese Kreatur an einem erheblichen Dachschaden leidet. Was war die Promenadenmischung denn vorher, als sie noch keine Promenadenmischung war. Diese Kreatur hat vergessen, dass sie vorher nichts anderes war, als sie heute ist: ein Hund.“
Tivera: „Nun wäre anzumerken, dass ich nicht von der Gattung Hund spreche, sondern von einer anderen Gattung. Es leiden dort auch bei weitem noch nicht alle an solch einem Wahn, obschon festzustellen ist, dass der Anteil der davon Befallenen merklich zugenommen hat. Es ist davon zu hören, dass speziell solche davon befallen, die vor vielen Jahren aus Afrika einwanderten, die Wissenschaft hat da sieben Mütter ermittelt, und sich in Folge nun etwas darauf einbilden, etwas Besonderes zu sein, da sie mangels ausreichender Sonne mit der Zeit Farbstoffe verloren haben.“
Ónytjungur: „Nun, es reagieren nicht alle gleich auf mangelnde Sonnenbestrahlung der Haut. Vielleicht sollten die Befallenen mehr Fettfische essen. Hier essen sie Fettfische, wie du weißt, und mir ist hier noch keiner begegnet, der vom Wahn befallen wurde, er sei eine ganz besondere Sorte, und keine Promenadenmischung, er sich daher abgrenzen müsse, um keine Promenadenmischung zu werden, da er vergessen hat, dass er schon längst eine ist.“
Tivera: „Und gäbe es hier einen solchen Trottel, so scheiterte er an der Tatsache, dass ihm hier das Vokabular nur „við“ anböte, also nur ein wir beide, was nur bei einem Dialog sinnvoll, und für obskure kollektive Vereinnahmung zum Zwecke kollektiver Ausgrenzung völlig untauglich.“
Ónytjungur: „Was sinnvoll ist. Denn nur in diesem Rahmen gilt, dass einer sowohl erschaffen wird, während er redet, als auch schafft, während er redet. Alles andere beschleunigt ja nur den exponentiellen Verlauf von Texten, die einer Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Haben die dort keine Dichter, so wie bei uns hier? Ich habe davon gehört, dass sich die Kreaturen, von denen du sprachst, sich nun auch noch für gebildet halten, nur weil ihnen irgendeiner bestätigte, sie hätten studiert, und sich daher nun für Real-Philosophen halten, als Gegensatz zu Abstraktions-Philosophen.“
Tivera: „Übersehen solche nicht, dass im Falle, sie sagen, es gebe eine theoretische und eine reale Philosophie, es nur so ist, als hätten sie gesagt, Philosophie ist das, was ich unter Philosophie verstehe, und nichts anderes?“
Ónytjungur: „Du weißt ja: Aus einem Buch kann kein Philosoph herausschauen, wenn ein Affe hineinschaut. Womit zu sagen wäre: Angenommen, dass alles, was wir beide bisher gesagt haben, nicht davon überzeugt, ein logischer Beweis zu sein, dann ist es nur fair zu sagen, dass die Frage eine ist, in der wir uns einig darin sind, uns unterscheiden zu müssen.“
Tivera: „Du bist aber heute wieder sehr unhöflich.“
Ónytjungur: „Der Unterschied zwischen höflichen und freundlichen Wesen ist, dass freundliche Wesen niemals höflich sind, und höfliche Wesen niemals freundlich.“
Tivera: „Denn sind sie freundlich, brauchen sie nicht höflich sein, und sind sie unfreundlich, beinhaltet höflich ohnehin nur eine faustdicke Lüge.“
Ónytjungur: „Sie soll Zeichen für Respekt und Anstand sein, so ist zu lesen.“
Ónytjungur: „Was ist zu halten von einem, der Gespräche anderer belauscht, die nicht für ihn bestimmt, diese niederschreibt, und dann auch noch einer Öffentlichkeit zur Verfügung stellt?“
Tilvera: „Das lässt sich einfach beantworten, wo Verbrecher belauscht werden, da diese Verbrecher sind. Allerdings wird der Inhalt in solchen Fällen nicht einer Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt, sondern einem Richter, und es ist auch ein Richter notwendig, der vorab prüft, ob ein hinreichender Tatverdacht bestehe, dass es sich dabei um Verbrechen handeln könne, die da besprochen. Es ist davon zu hören, dass es auch Leute gebe, die zwar dafür bezahlt werden, dies aber nur unter der Voraussetzung, dass sie eben nicht den Inhalt einer Öffentlichkeit zugänglich machen, sondern nur gewissen Leuten, die keine Richter sind. Dann gibt es noch Leute, die nicht dafür bezahlt werden, dass sie den Inhalt einer Öffentlichkeit zugänglich machen, es aber dennoch tun, da sonst Verbrechen im Verborgenen blieben, mit Duldung der Richter. In diesem Fall führt es dazu, dass die Öffentlichkeit ausgesprochen dankbar dafür ist. Was seinen Ausdruck darin findet, sich über die vor ihnen verborgen gehaltene Wirklichkeit empören zu können, oder darüber, dass sie nun nicht mehr verborgen, sondern ans Tageslicht gebracht. Da aber in solchen Fällen kaum einer an der Wirklichkeit interessiert, sondern nur daran, sich über etwas empören zu können, entsteht keinem Einzigen daraus ein Schaden, ausgenommen eben jener Person, die da ohne Entgelt arbeitete, um den getäuschten Artgenossen von der Wirklichkeit zu erzählen. Es erinnert mich an den Satz eines Schweizer Dichters: Alles Gute geschieht nur durch die Not, das heißt die Freiwilligkeit, nicht durch den Zwang, das heißt die Nötigung.“
Ónytjungur: „Was das Resultat für die unentgeltliche Arbeit erkläre. Es entstand darüber Zwang, da die Öffentlichkeit damit genötigt wurde, die Wirklichkeit zu kennen, was dazu führt, dass sie sich – vor die Wahl gestellt – doch lieber für die Fiktion entscheidet, war diese doch aus Freiwilligkeit heraus angenommen. Das ganze Unterfangen also nur vergeblich, nur dazu führt, dass jene Leute, die auf Unterschied zwischen Wirklichkeit und Fiktion hinweisen, mit allen Mitteln gejagt werden, um sie einsperren zu können. Hatte dieser Dichter, an dessen Satz du dich erinnerst, nicht auch notiert: Dieser hielt sich ans Einzelne und änderte das All. Jener predigte das Universale und änderte weder das All noch das Einzelne?“
Tilvera: „Nun, ihm war damals vermutlich der mittlerweile bereits 800 Jahre alt gewordene Satz noch unbekannt: Da ich dem aufrichtigen Rat und den Einzelheiten anhänge, lassen diese beiden mir unter den Menschen keinen Freund.“
Ónytjungur: „Lass mich raten. Es erging dem Dichter wie denjenigen, die nun Whistleblower geheißen.“
Tilvera: „Was die Vergeblichkeit anbelangt, hinsichtlich der breiten Masse, liegst du nicht falsch. Dessen Erkenntnisfähigkeit wurde ihm ebenso zum Verhängnis wie diejenige der Hinweisgeber. Allerdings hatte er wie diese keine andere Wahl. Er hatte sogar festgehalten, dass er gar keine andere Wahl habe: Man kann nicht etwas voll erkennen und nicht tun. Das Erkennen geht unmerklich in die Tat über.“
Ónytjungur: „Wobei anzumerken wäre, dass die Enthüller wissen, dass einer der gebräuchlichsten Irrtümer jene Annahme ist, dass über Erkenntnisse sammeln notgedrungen auch die Erkenntnisfähigkeit zunehme. Ganz im Gegensatz zu solchen, die gegen Entgelt Gespräche belauschen, die nicht für sie bestimmt waren, deren Inhalt sie aber nicht einer Öffentlichkeit zugänglich machen, sondern nur gewissen Leuten.
Tilvera: „Wird doch mit dem Wort Erkenntnis benannt, was bloßes Kennen von Daten, unter dem Vorwand, darüber hinausgehende Einsicht und Verstehen erlangen zu wollen, was nicht der Fall ist.“
Ónytjungur: „Es daher in privatem Bereich, so in diesem keine Verbrechen besprochen, sowohl gute Gründe dafür gebe, dass ein Gespräch nur unter zwei Gesprächspartnern erfolge, andere davon ausgeschlossen werden, als es auch gute Gründe für solche Gespräche gebe, von der eine Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen. Und es jedes Einzelnen zustehendes natürliches Recht ist, zu entscheiden, was dem einen und dem anderen zugeordnet werde, und was nicht.“
Tilvera: „Nun, die Nicht-Enthüller vertreten den Standpunkt, dass es keinem konkreten Individuum zustünde darüber zu entscheiden, was dem einen und dem anderen zuzuordnen sei, und was nicht, da es zwingend notwendig, Menschen zu schützen. Wer nichts zu verbergen habe, brauche sich deswegen auch keine Sorgen zu machen.“
Ónytjungur: „Und wer von den Abgehörten etwas zu verbergen habe, auch nicht, denn die Verbrecher nutzen dann einfach andere Kommunikationskanäle. Was sagt dir die Zahl 1984 ?“
Tilvera: „Dass der Verfasser des Textes ein hoffnungsloser Optimist war, bei der Betrachtung seiner Artgenossen.„
Ónytjungur: „Wir haben nun zwar betrachtet, was von einem zu halten ist, der Gespräche anderer belauscht, die nicht für ihn bestimmt, diese niederschreibt, und dann auch noch einer Öffentlichkeit zur Verfügung stellt. Allerdings war dabei stets die Rede von wirklichen Geschehnissen, nicht aber von möglichen Geschehnissen, die es gar nicht gibt, die nur Fiktion, so wie wir beide.“
Tilvera: „Es hat sein Gutes, dass wir nur für Fiktion gehalten. Wir hatten dafür gute Gründe, wie du weißt. Es kann auch nichts Sinnvolles dabei herauskommen, wäre es anders. Es entstünde daraus auch für niemanden ein Nutzen, allerdings für uns beide ein erheblicher Schaden. Worauf willst du hinaus?“
Ónytjungur: „Wir werden abgehört.“
Tilvera: „Wie? Wo? Wann?“
Ónytjungur: „Vielleicht gerade jetzt und hier.“
Tilvera: „Ich sehe niemand. Und zu welchem Zweck sollte das dienen?“
Ónytjungur: „Nun, die dahingehende Technik ist ja bereits sehr fortgeschritten, wie Du weißt. Es dürfte sich um einen Trottel handeln, dem nichts Besseres einfällt, als sein Leben damit zu vergeuden, sich hier herumzutreiben, unsere Gespräche abzuhören, die weder für ihn noch für andere bestimmt, und diese einer Öffentlichkeit zu präsentieren.“
Tilvera: „Welcher Beweggrund wäre es, der ihn zu solchem Unfug treibe?“
Ónytjungur: „Es ist nur einer denkbar. Wie dir bekannt sein dürfte, wird diesem Land immer mehr Wohlwollen entgegengebracht.“
Tilvera: „Nun, wir beide wissen, dass dieses Wohlwollen kein Wohlwollen ist, sondern vielmehr nur verwendet wird, um sich mit Hilfe dieses wenig bekannten Landes selbst durchzubringen. Hauptsächlich durch Reisen, die solchen selbst berühmt machen sollen, aber das Land hier fast so unbekannt lassen wie zuvor. Es muss schon ein ausgemachter Volltrottel sein, der glaubt, er könne dies ausgerechnet dadurch erreichen, dass er Erfundenes bzw. Erdachtes veröffentliche, das nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat.“
Ónytjungur: „So ist es. Ich sehe, du liest Texte isländischer Dichter, sonst hättest du Bergsson nicht gerade zitieren können. Und doch muss sich solch ein Schmarotzer hier herumtreiben, der mangels eigener Ideen uns abhört. Wogegen erst einmal nichts einzuwenden wäre, außer der Tatsache, dass unsere Gespräche eindeutig nur für uns beide bestimmt sind, nicht aber für andere. Zudem hätten wir nichts zu verbergen, außer der Antwort auf die Frage, ob wir Wirklichkeit oder Fiktion sind. Welcher Teufel hat ihn aber geritten, auf die Idee zu kommen, nicht für sich behalten zu wollen, was er sich durch Unverfrorenheit erschlichen? Dass dem so ist, konnte ich auf meiner letzten Reise feststellen. Ich fand unsere letzte Unterhaltung, Wort für Wort, in einem dieser Dinger, die sich die Menschen zulegten, um ihr eigenes immer mehr schwindendes Gedächtnis zu ersetzen, und nun glauben, darin wäre das gleiche aufzufinden, wie vordem in ihrem Gedächtnis noch möglich. Was nicht der Fall ist, wie wir beide wissen.“
Tilvera: „Fehlen doch dort all jene Informationen, die im Gedächtnis vorhanden, und Gedächtnis erst zu Gedächtnis machten. In diesen Dingern stehen jedoch nur noch Worte. Als wären Worte bereits Information.“
Ónytjungur: „Was sie nicht sind. Sie sind nur Konstrukt, noch nicht einmal Konzept. Dazu kommt, dass dort als Gegenwart ausgegeben, was Vergangenheit ist. Denn wer macht sich schon die Mühe, vorhandene Prozesse jedes Einzelnen angemessen abzubilden. Es sind demnach noch nicht einmal Worte, es sind nur Stempel.“
Tilvera: „Die mit Aussage verwechselt. Nun, sie glauben auch, dass sich Intelligenz messen lasse, obschon sie noch nicht mal über eine Definition verfügen, was sie da messen. In solchen Dingern sind die Worte unserer Unterhaltungen nun abgelegt?“
Ónytjungur: „Muss uns das tangieren? Der Dummkopf weiß noch nicht einmal, dass wir auch über eine eigene Sprache verfügen, die nur wir beide verstehen, er aber nie verstehen wird, da er sie zu keiner Zeit je erlernen wird, da unsere Diné bizaad, und nicht die seine. Er daher nur belauscht, wenn wir beide uns in seiner Sprache unterhalten, damit unsere Fähigkeit nicht einroste, um in Übung zu bleiben, da wir seine Sprache sonst verlieren würden.“
Tilvera: „Und dieser Einfallspinsel veröffentlicht daher nur unsere Sprachübungen, und nichts darüber hinaus. Lassen wir ihm also seine lächerliche Spielerei. Gut möglich, dass er sonst nichts mehr mit seinem Leben anzufangen wüsste, und wir wären dann auch noch dafür verantwortlich, wenn ihm auch das noch entzogen.“
Ónytjungur: „Nun, sollte er auch dieses Gespräch belauscht haben, so hoffe ich für ihn, dass ihm endlich bewusst werde, dass er nicht nur reine Sprachübungen aufzeichnet, und nichts darüber hinaus, sondern zudem auch noch solche, die keinen Flynn-Effekt enthalten, mangels vorhandener Grundlage. Wir beide würden auch keinen einzigen IQ-Test bestehen, mag er auch das aktuellste und empirisch am besten untersuchte Strukturmodell der Intelligenz sein.“
Tilvera: „Verwechseln diese Modelle doch greina mit skilja, also erkennen, wahrnehmen, unterscheiden mit verstehen. So wird nur Umfang gemessen, der auch noch von Interesse abhängig. Da dem so ist, entstünde auch keinem ein Schaden dadurch, sollte dieser Schwachkopf unsere Gespräche, die weder für ihn und sonst irgendeinen bestimmt, ohne die gebotene Zurückhaltung auch noch Beifall heischend herumposaunen. Betreiben wir doch bei unseren Sprachübungen nur Schabernack, da die Übungen sonst einfach zu strohtrocken wären.“
Ónytjungur: „Und will einem der Schabernack nicht schmecken, aus welchen Gründen auch immer, mag dieser Trost darin finden, dass unser beider IQ sich erheblich unterscheide von dem seinen.“
Tilvera: „Was meinst du, hat er uns gerade wieder belauscht?“