Ónytjungur: „Ist die Annahme Unsinn, dass sich Lebendes von Lebendem ernähre?“
Tilvera: „Es stellte sich die Frage, was Lebendes sei, und was nicht.“
Ónytjungur: „Sagen wir, die Fähigkeit, sich selbst zu erhalten und zu reproduzieren.“
Tilvera: „Demnach Bakterien, Archaeen, Pilze, Pflanzen, Tiere und Menschen. Womit wir bei anorganischer und organischer Chemie angelangt …““
Ónytjungur: „… und im weiteren Verlauf bei Individuen, denen allen gemein ist, dass sie voneinander unterscheidbaren Wesen angehören, zu jedem Wesen mehr als ein Individuum existiert, allesamt das Vermögen aufweisen, sich reproduzieren zu können, wobei mit Reproduktion das Wesen gemeint, und nicht das Individuum.“
Tilvera: „Falls du unter Wesen nichts anderes als Gattung verstehst. Wobei anzumerken wäre, dass das konkrete Individuum etwas ist, und sein Wesen etwas anderes.“
Ónytjungur: „Wir beide sitzen im Augenblick vor dem Geburtskanal alles Lebendigen.“
Tilvera: „Da ist nur das Meer, und nichts weiter.“
Ónytjungur: „Du vergisst, dass du hier am Rand einer tektonischen Platte sitzt, vor dir der Mittelatlantische Rücken liegt, und dort unten Schwarze Raucher zugange sind.“
Tilvera: „Demnach beim Verursacher einer Wirklichkeit dergestalt, in welcher das konkrete Individuum etwas ist, und sein Wesen etwas anderes.“
Ónytjungur: Es also sinnvoll wäre zu sagen, dass zwei Absichten vorliegen müssten, und dass in beiden Absichten entweder zwei verschiedene Vermögen erfasst sind, wobei jede der beiden für sich zu erfassen wäre, oder aber mit einem einzigen Vermögen, dann jedoch in zwei verschiedenen Zuständen.
Tilvera: „Nun wirst du kryptisch. Was ist Absicht? Was hat dies alles mit der Fähigkeit der Menschen zu tun, ihre Gedanken auf etwas richten zu können?“
Ónytjungur: „Ich kann mich nicht erinnern, von Menschen gesprochen zu haben. Dein Problem ist, dass du bei dem Wort Absicht annimmst, über den Bezeichner wäre die Fähigkeit des Menschen bezeichnet, seine Gedanken auf etwas richten zu können, und daraus schließt, es müsse sich demnach um Vorhaben, Vorsatz, Plan oder Beweggrund handeln.“
Tilvera: „Nun, das Wort Absicht benennt, dass nach etwas gestrebt werde, das Gerichtetsein auf etwas, demnach Vorhaben, Vorsatz, Plan oder Beweggrund.“
Ónytjungur: „Du übersiehst, dass es genauere Wörter als intendere geben könnte.“
Tilvera: „Als da wären?“
Ónytjungur: „Wie wäre es mit tilgangur, im Sinne von Zweck? Denn wenn ich Absicht sage, meine ich keineswegs ásetningur im Sinne von Beschluss, Vorsatz und Vorhaben, auch nicht áform im Sinne von Plan, Beweggrund und Motiv.“
Tilvera: „Nun wirst du aber pingelig.
Ónytjungur: „Wie du willst. Es kann aber durchaus sein, dass es triftige Gründe dafür gebe, diese sechs Wörter nicht in einen Topf werfen zu wollen, und dann solange umzurühren, bis daraus ein Brei entstehe, der dann als intendere aufgetischt. Wie dem auch sei, ich meine Absicht ausschließlich im Sinne von Zweck, und nicht darüber hinaus. Und wenn ich Zweck sage, dann nicht im Sinne von finis, da dies ja wieder der Beweggrund für eine zielgerichtete Tätigkeit. Mehr im Sinne von markmið, also vom Gebrauch oder Verwendungszweck her betrachtet, und nicht von augnamið her, was eine Zielvorgabe bezeichne.“
Tilvera: „Nun gut, einigen wir uns darauf, dass immer dann, wenn du Absicht sagst, du nur Zweck im Sinne von Gebrauch und Verwendungszweck meinst, und nichts darüber hinausgehendes. Und weiter?“
Ónytjungur: „Bekanntlich lassen sich ja Prozesse in zwei Richtungen betrachten. Die eine verfolgt die Richtung vom Beschluss her bis zum Erreichen des beabsichtigten Ziels, thematisiert daher diese Form der Bewegung, die andere verfolgt die Richtung vom Ergebnis ausgehend zurück zu dessen Ausgangspunkt. Die Frage ist, zu welchen Erkenntnissen kommen beide, und im Falle, diese wären nicht identisch, widersprächen sich vielleicht sogar, welche wäre dann die richtige, und welche die falsche?“
Tilvera: „Und von welchem Ergebnis sprichst du?“
Ónytjungur: „Von dem, das sich uns beiden zeigt, dem Gebrauch und Verwendungszweck. Ist es nicht so, dass es die unterschiedlichsten Wesen gibt?“
Tilvera: „Begnügte ich mich damit, Form mit Inhalt gleichzusetzen, beginge ich dann nicht den logischen Fehler, von Ähnlichkeit auf Gleichheit zu schließen, diese irrtümlich anzunehmen, und bei vorhandenen Abweichungen diese einzufordern?“
Ónytjungur: „Und verhält es sich nicht so, dass sich reproduzierende Wesen von reproduzierenden Wesen ernähren, und ohne reproduzierende Wesen, die als Ernährung dienen würden, es das reproduzierende Wesen, das sich durch diese ernähre, gar nicht geben könnte, niemals gegeben hätte?
Tilvera: „Die Produzenten einmal davon ausgenommen. Es war davon zu lesen, dass Wasser allein auf Dauer nicht genüge.“
Ónytjungur: „Einmal davon ausgehend, das Biotop dort unten im Meer, am Schwarzen Raucher, ist der Ursprung des Lebenden, es gebe uns nicht, und auch sonst nichts Lebendes. Nur dieses Biotop dort unten im Meer am Schwarzen Raucher. Wovon wäre dann auszugehen, damit jenes, was nun ist, auf jenes zurückgeführt werden kann, was dort beginnt?“
Tilvera: „Dass sich irgendwann einmal die Bakterien wohl sich nicht mehr damit begnügt haben, organische Verbindungen aus anorganischen Stoffen aufzubauen, dazu nicht mehr die Oxidation von Schwefelwasserstoff nutzen wollten oder konnten, sich zu voneinander unterscheidbaren Wesen entwickelt haben müssen, in der Art, dass vom Produzenten ausgehend das eine Wesen das andere über Nahrungsnetze ernähre?“
Ónytjungur: „Dazu müssten sie sich aber erst soweit zueinander unterschieden haben, dass das eine Wesen das andere ernähren könne, und dies genau auf eine solche Art und Weise, dass dabei keine Lücken auftreten, denn eine Lücke …“
Tilvera: „… hätte dazu geführt, dass ein Wesen keine Nahrung gefunden hätte, oder ein Wesen nicht als Nahrung für irgendein Wesen tauglich war.“
Ónytjungur: „Im ersten Fall hätten die Voraussetzungen gefehlt, dass dieses Wesen überhaupt entstehe, im zweiten Fall wäre es nur ein Schmarotzer. Alle anderen wären aber einer negativen Rückkoppelung unterworfen. Denn es wird von einer Regel erzählt, der zufolge ein Überangebot an Nahrung zu einer größeren Population führe.“
Tilvera: „Was wiederum einen größeren Bedarf an verfügbarer Nahrung nach sich ziehe. Dies setze sich dann solange fort, bis mit der Zeit immer weniger Nahrung zur Verfügung stehe, da von immer mehr verzehrt, worüber ein Punkt erreicht werde, wo die Dauer, noch Nahrung zu finden, größer ist als die Dauer, die einer ohne Nahrung überlebe.“
Ónytjungur: „Was die Entwicklung der Nahrungssuchenden umkehre, da deren Zahl nun nicht mehr steige, sondern sich reduziere.“
Tilvera: „Was der Nahrung wiederum die Gelegenheit gebe, sich so weit zu erholen, dass deren Population wieder zunehme. Denn es ist davon auszugehen, dass der letzte Nahrungssuchende verendet bevor er die letzte noch vorhandene Nahrung findet.“
Ónytjungur: „Womit zwar nur das Ergebnis beschrieben, das aus diesem Biotop dort unten im Verlauf der Zeit entstehen wird, gesetzt den Fall, es gebe weder dich noch mich, noch sonst irgendetwas Lebendes. Womit aber auch die Absicht beschrieben, im Sinne von markmið, dem Gebrauch und Verwendungszweck, denn das Ende ist bereits in den Anfang gesteckt. Nicht aber geklärt wäre, ob in beiden Verwendungszwecken, da das konkrete Individuum ja etwas ist und sein Wesen etwas anderes, die beiden Verwendungszwecke mit zwei verschiedenen Vermögen zu erfassen sind, wobei jede der beiden für sich zu erfassen wäre, oder aber mit einem einzigen Vermögen, dann jedoch in zwei verschiedenen Zuständen.“
Tilvera: Was aber nur für dich gilt, da du mit dem Intellekt das Wesen und die Form der Sache erfasst, und mit dem Sinn das Individuum jenes Wesens. Zu diesem Unfug neigt bekanntlich nicht jedes Ende der Nahrungskette.“
Ónytjungur: „Nun, dafür ist mir wenigstens aufgefallen, dass das konkrete Individuum etwas ist und sein Wesen etwas anderes. Ist dir eigentlich aufgefallen, dass jenes Ende der Nahrungskette, von dem du vermutlich sprachst, wenigstens in einem Punkt einer Meinung ist, da alle dessen Exemplare ausnahmslos davon ausgehen, die Krönung der Schöpfung zu sein, und dies unabhängig davon, ob sie von einer vorhandenen Letztbegründung ausgehen oder eine solche in Abrede stellen?“
Tilvera: „Nicht nur das. Es ist mir zudem aufgefallen, dass alle Exemplare dieses Endes der Nahrungskette in diesem Punkt sich einig sind, obschon die einen davon ausgehen, dass dieses Ergebnis durch Zufall entstanden sei, und die anderen vom Vorhandensein einer Determinierung. So gegensätzlich ihre Ansichten auch sein mögen, in dem einen Punkt sind sich seltsamerweise alle Exemplare ausnahmslos einig. Da ist es gut, dass wir beide erfreulicherweise nur Trolle geworden sind, die zu nichts taugen.“
Ónytjungur: „Du vergisst ein altes Lied. Dort wird gesagt
Haltur riður hrossi,
hjörd rekur handarvanur,
daufur vegur og dugir,
blindur et betri
en brenndur sé,
nýtur manngi nás.“ 1)
Tilvera: „Kenne ich. Es überliefert Wissen, erzählt davon, dass der Hinkende reiten könne, der Handlose hüten, und der Taube noch zum Kampf tauge.“
Ónytjungur: „Und dass blind sein besser sei als verbrannt werden, denn der Tote tauge zu nichts.“
1) entnommen aus „Hávamál og Völuspá“, Gísli Sigurðsson, SVART Á HVÍTU, Reykjavik 1986, S. 27